„Mit der Vision und Kraft der Kunst treibt die Klima Biennale Wien den Paradigmenwechsel für eine lebenswerte Zukunft auf unserem Planeten voran“, so heißt es im Mission Statement der ersten Ausgabe der Klima Biennale Wien. Kann sie ihr ambitioniertes Versprechen einhalten?
Seit den 2010er-Jahren hat sich das Selbstverständnis des Ausstellungsformats Biennale grundlegend verändert. Entgegen den Vorreitern wie der kürzlich eröffneten 60. Biennale di Venezia liegt der Fokus nicht mehr auf Weltausstellungen mit nationalen Vertretungen, sondern bewegt sich hin zu einer Veranstaltung, die vermehrt gesellschaftspolitisch wirken möchte. Dezentrierung der Ausstellungsorte, Kollektivität sowie die Öffnung gegenüber einem breiteren Publikum sind charakteristisch für diese neuen Entwicklungen, die sich der Verantwortung als ortsspezifisches Format bewusst sein wollen. Kritisiert werden die Biennalen vor allem von den Quellen ihrer Inspiration: Aktivist*innen, die jene Techniken für ihre Proteste einsetzten. Sie bemängeln zumeist die Kommerzialität der Veranstaltungen, ihre prekären Arbeitsverhältnisse oder ihre lediglich symbolpolitische Wirkkraft.
Demokratisierung des Ausstellungsbetriebs
Die am 5. April eröffnete Klima Biennale in der Stadt Wien positioniert sich mit ihrem Kernthema der Klimakrise in genau diesem Spannungsfeld. Unter dem Motto „100 Tage, 100 Partner*innen, 1 Vision“ veranstaltet das Festival verschiedenste, über die gesamte Stadt verteilte Ausstellungen, Workshops, Diskussionen und Vorträge. Der Fokus auf Teilhabe zeigt sich nicht nur in den organisierten Veranstaltungen: der Eintritt folgt dem Prinzip „pay as you wish“. Einmalig gezahlt ermöglicht der Festivalpass unbeschränkten Eintritt zu (fast) allen Formaten.
Diese Demokratisierung spiegelt sich auch in den Ausstellungen wider. Neben Gruppenausstellungen, die auf internationalem Niveau agieren, gibt es die stadtübergreifende Initiative „Immediate Matters“. Mittels einer öffentlichen Ausschreibung wurden freie Kunsträume – eine der Stärken der Wiener Kunstszene – dazu aufgerufen, sich mit jungen Künstler*innen für Ausstellungen in ihren Räumen zu bewerben. Zusätzlich engagieren sich auch etablierte Institutionen der Stadt, wie unter anderem das Belvedere 21, die Kunsthalle Wien, das Weltmuseum Wien und das Museum Angewandte Kunst.
Trotz dieser dezentralen Organisation und dem diversen Angebot verfügt die Biennale über zwei Zentren, nämlich der Biennale Zentrale im KunstHausWien sowie dem Nordwestbahnof. Beide Areale zeigen jeweils eine Gruppenausstellung, die bis zum Ende der Biennale am 14. Juli geöffnet sind. Das KunstHausWien bezeichnet sich selbst als „erstes grünes Museum“, da es den sichtbaren wie unsichtbaren Museumsbetrieb nachhaltig gestaltet. Diesem institutionellen Diskursraum steht das Areal des Nordwestbahnhofs entgegen.
Der ehemalige Bahnhof ist ein Stadtentwicklungsgebiet, das zum grünen Stadtquartier mit leistbarem Wohnraum transformiert werden soll – ein Schnittpunkt der Werte des Festivals. Für die Biennale bietet der Ort mit seinen ebenerdigen Hallen eine Begegnungsstätte, deren Räume die Ausstellung „Songs for the Changing Season“ beherbergen.
Utopie als Antwort
Dieser poetische Titel der Ausstellung im Nordwestbahnhof (kuratiert von Lucia Pietroiusti und Filipa Ramos) verweist bereits auf die Fragen, denen sich die Werke annähern: Wie begegnen wir einer sich ökologisch immer weiter verändernden Welt? Wie wandeln sich die Verhältnisse zwischen den Lebewesen? Die gezeigten Werke verhandeln keine Gesellschaftsanalysen, sondern nähern sich den Beziehungen zwischen Flora und Fauna in Szenerien der Empathie, verortet in Gegenwart und Zukunft. In einer internationalen und generationenübergreifenden Auswahl von 12 Künstler*innen wie Kollektiven öffnet die Ausstellung ein visuelles Diskursfeld.
Eine der Positionen ist die kürzlich verstorbene Bildhauerin Lin May Saaed, die mit zwei Reliefs vertreten ist. „Bee Relief II“ (2018) ist ein in Polystyrol geschnitztes Relief, zentral angebracht auf einer Holzplatte. Durch die Befestigung an schmalen Stahlseilen schwebt das Relief mitten im Raum. Der sanfte Lichteinfall im Ausstellungsraum legt sich in die verschieden bearbeiteten Oberflächen des Reliefs. Diese sind segmentiert, gelbe und grüne Farbverläufe erstrecken sich zart über sie. In der rechten Bildecke kniet ein Imker, der die Hände vor der Brust hält, während vor dem Kopf ein Schwarm Bienen emporschwebt. Der Mensch erscheint in diesem Szenario keineswegs als Antagonist – die kniende Haltung suggeriert Demut. Lin May Saaeds Relief schafft eine berührende Symbiose zwischen Mensch und Natur, die zur Empathie gegenüber den kleinsten Lebewesen aufruft und die utopische Vision einer befreiten Existenz entwirft.
Blicke in die Gegenwart
Neben den Gruppenausstellungen in den Biennale Arealen zeigt das Belvedere 21 zwei nationale Positionen in Einzelausstellungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Im Erdgeschoss des Ausstellungshauses befindet sich die Ausstellung „Dog Days Bite Back“ des Künstlers, Aktivisten und Filmemachers Oliver Ressler. In der verglasten Ausstellungshalle stehen modulare Wände, die Raum schaffen für das breitgefächerte Œuvre.
Die eingangs erwähnten, möglichen Reibungspunkte zwischen Kunst und Aktivismus lösen sich in Resslers Werken vollkommen auf und verdichten sich zu einem produktiven Dialog. Neben Werken, die eine stärkere ästhetische Fokussierung haben, wie die Videoinstallation „Climate Feedback Loops“ (2023), die den Kreislauf der immer schnellere auftauenden Permafrostböden der Arktis thematisiert, stehen Videoarbeiten wie „Occupy, Resist, Produce“ (2014-18), welche in beinahe journalistischer Manier Arbeiter*innenkämpfe und deren kollektive Organisation begleitet. Resslers künstlerische Praxis bewegt sich unentwegt zwischen diesen Polen und erwirkt damit einen Sog der (Selbst-)Reflexion, die gerade im Kontext der Klima Biennale unausweichlich ist.
Verlässt man den Ausstellungsraum und begibt sich in das Untergeschoss des 21er-Hauses, kommt man zu der Ausstellung „Soil Fictions“ von Angelika Loderer. Sorgsam aufgereiht liegen in der kleinen Halle skulpturale Objekte. Wie der Titel bereits verkündet, ist der Boden das übergreifende Thema. Loderer essentialisiert, analysiert, kontextualisiert und befreit den Boden aus seinen verschiedenen Bedeutungen – als Träger und Behälter allen Lebens zugleich. Die Anordnung der Objekte gleicht einer Taxonomie des Sujets und zugleich der Skulptur per se. amorphe Objekte wie „Schüttloch“, für die verlassene Maulwurfsgänge als Negativform dienten, Teile der Werkgruppe „Investigate“, die Bewegungsabläufe von Händen und Füßen in Bronze abbilden, videografische Untersuchungen von Böden sowie von Pilzen überwachsene Fotografien sind unter anderem Elemente dieser Zusammenstellung. Loderer sensibilisiert den Blick für die vielfältigen Dimensionen des Bodens – als skulpturales Material ebenso wie als unverzichtbare Lebensgrundlage unseres Ökosystems.
Der Traum von Morgen
Den Anspruch, dass die Kunst mögliche Wege zu den brennenden Fragen der Gegenwart ebnet, erfüllen die Ausstellungen kompromisslos. Mal poetisch, mal mit scharfer Klarheit begegnen die Künstler*innen den Themen der Klima Biennale ohne Pathetik oder Didaktik. Trotz der fortschrittlichen Praktiken des Festivals wundert ein Blick auf die Sponsoren. Hauptfinancier ist unter anderem die Siemens AG Österreich, deren Dachorganisation erst 2020 in Kritik für die Beteiligung an einem Großauftrag fossiler Energieträger stand. Es stellt sich also die Frage: Ist es die Verantwortung der Kunst, die kritischen Ansprüche einer Biennale zu erfüllen? Dieser Widerspruch ist keineswegs neu im Kunstbetrieb, und mit dieser Biennale leider auch nicht besser beantwortet. Dennoch nimmt diese Kritik der Kunst nicht ihre Strahlkraft – denn sie träumen von dem Morgen, das wir noch nicht haben.