Die jungen Jahre des Joan Miró waren geprägt von seinem konservativen Elternhaus, bis er aufbrach und die Freiheit suchte, die er schließlich in Paris finden sollte.

Anfang 1920, Miró ist keine 27 Jahre alt, geht er nach Paris, dem Nabel der Kunstwelt. Schnell war der Künstler berüchtigt für seine Wortkargheit. Anfangs hatte er sein Atelier direkt neben jenem des surrealistischen Malers André Masson (1896-1987), mit dem er lebenslang befreundet blieb. Masson wurde bereits vom großen Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler vertreten, der schließlich auch bei Miró vorbeischaute. Doch dessen notorischer Unwille, über seine Kunst zu reden, ließ das Geschäft mit Kahnweiler platzen.

Bei einer anderen Gelegenheit, während einer lebhaften Debatte, verweigerte Miró jegliche Äußerung, was Masson derart enervierte, dass er zu einem Seil griff, es dem Nachbarn um den Hals legte und ihm die Todesstrafe androhte, falls er nicht endlich Stellung bezöge. Miró aber schwieg. Eine Fotografie von Man Ray erinnert an diesen Vorfall.

Die übliche Operette 

Vielleicht lag Mirós Schweigen in den Kämpfen begründet, die seine Anfänge ausmachten: Seine Mutter, Dolores Ferrà i Oromí, war Tochter eines Kunsttischlers aus Mallorca, wo Miró später einen Großteils seines Lebens verbringen sollte. Sein Vater, Miquel Miró i Adzeries, selbst Sohn eines Schmiedes, war Goldschmied und Uhrmacher, der sich durch Ehrgeiz und Fleiß hochgearbeitet hatte.

Joan Miró, 1934, Photo: Man Ray, Image via fondationbeyeler.ch

Mirós Elternhaus, das gleichzeitig den Laden des Vaters beherbergte, wurde zum Ort der üblichen Operette: Die Mutter weinte viel, einerseits aus Rührung über das künstlerische Talent ihres einzigen Sohnes, andererseits weil wohl eher nicht zu erwarten stand, dass Miró eines Tages den Fußstapfen seines Vaters folgen sollte. Er war ein verträumter Schüler, der 1907, als er 14 Jahre alt war, auf die Handelsschule geschickt wurde, damit aus ihm doch noch etwas Vernünftiges werde. Gleichzeitig schrieb sich Miró in der Kunstakademie La Lonja ein. 

In solchen Kreisen vergeblich 

Die Handelsschule und La Lonja: Beides muss schrecklich für ihn gewesen sein. In La Lonja galt er als schlechter Schüler, besonders seine Handhabung des Materials stieß auf Ablehnung. Was als unbeholfen galt, war allerdings keine Minderbegabung, sondern ein ungewohnter, unorthodoxer Umgang mit dem Material. Doch zuerst kam die Handelsschule. Sich dem väterlichen Willen zu widersetzen, wäre in solchen Kreisen freilich vergeblich gewesen.

Lonja de Barcelona, Image via Wikimedia Commons

Wieso sonst hatte Jean-Baptiste Camille Corot (1796-1875) Jahre in der familiären Tuchhandlung verbracht, bevor er zum Großvater der Impressionisten wurde? Wieso sonst hatte Harry Heine, bevor er sich Heinrich Heine (1797-1856) nennen sollte, freilich vergeblich, ein Tuchgeschäft betrieben? Auch Paul Cézanne (1839-1906) sollte zunächst die Bank seines Vaters übernehmen, bevor er zum Wegbereiter der Klassischen Moderne wurde. 

Mirós erkältete Seele 

Der erste Feind eines Künstlers, so scheint es, war stets die eigene Familie. Miró begann also eine bürgerliche Laufbahn und arbeitete als Buchhalter in einer Drogerie. Doch dieses Leben eignete sich für ihn ebenso wenig, wie für Gustave Flaubert (1821-1880) das Jurastudium: beide ergriff eine Art pathologischer Überdruss, der im Zusammenbruch endete und erst danach die Laufbahn als Künstler, respektive Schriftsteller freimachte.

Mutter, Schwester, Vater und Joan Miró (vlnr), Image via Wikimedia Commons

1911 hatte sich Mirós Seele erkältet, und sein Körper litt unter dem Typhusfieber. Seine Familie war in höchster Sorge und kaufte ein Landhaus in Montroig, südwestlich von Barcelona. Hier fand Miró wieder zu Kräften. Der Vater ließ seinen Sohn endlich gewähren, er durfte Künstler werden. Montroig sollte auch später zu einem Zufluchtsort werden. In seinen ersten Künstlerjahren verbrachte Miró dort den Sommer. 

Ein Hoch auf den Dilettantismus 

1912 bis 1915 besuchte Miró eine private Kunstschule in Barcelona, wo er unter anderem Josep Llorens Artigas kennenlernte, mit dem er Jahre später seine Keramiken schaffen wird. 1916 schloss sich Miró in Barcelona der Künstlerszene an, die sich in der Galerie Josep Dalmau traf. Er sah Arbeiten von Pablo Picasso und Juan Gris, Marcel Duchamp und Fernand Léger, Werke der Fauvisten und las Avantgarde-Zeitschriften. Francis Picabia, der den Dilettantismus forderte, begeisterte ihn besonders: „Picabia und andere haben mich aufgerüttelt, weil sie sich nicht in bildnerische Probleme einigeln wollten, weil sie sich vielmehr darüber lustig machten.“ (Miró)

Doch in Barcelona konnte Miró nicht bleiben und zog 1919 nach Paris. Wer in Barcelona bliebe, gebe seinen Geist auf, und es gehe darum ein internationaler Katalane zu sein, kommentierte er. In Paris näherte sich Miró den Dadaisten und Surrealisten und machte sich besonders Freunde bei den avantgardistischen Schriftstellern und Poeten. André Breton, nannte ihn, der eigentlich immer zu eigenständig, zu sehr „bande à part“ war, um in eine Schublade gesteckt werden zu können, den „surrealistischsten aller Surrealisten“. 

Der Geist eines Buchhalters 

In Paris vollendet Miró im Winter 1922 nach neun Monaten Arbeit sein Schlüsselwerk „La ferme“ („Der Bauernhof“), welches er im Sommer 1921 in Montroig begonnen hatte und in dem er seinem Geburtsort als Künstler ein Denkmal setzt. Das Gemälde ist von einem Detailrealismus, der ein wenig vom Geist eines Buchhalters kündet, der Inventur macht: kein noch so kleines Detail fehlt.

Es ist eher eine Aneinanderreihung als eine Komposition, und dennoch wirkt das Bild nirgends kleinlich. Zwar wird das Meisterwerk ausgestellt, doch keiner will es haben. An den Abenden übt sich Miró im Boxsport und lernt Ernest Hemingway kennen. Der Schriftsteller wird drei Jahre nach Fertigstellung des Bildes den Kaufpreis von 5.000 Francs zusammenkratzen, um das Bild seiner Frau zum Geburtstag zu schenken und es nie wieder herzugeben. 

Mitten im Bürgerkrieg 

Mittlerweile aber hatte Miró seine Malweise geändert und damit auch sein Tempo. Er hatte die Realität und die Räumlichkeit über Bord geworfen, die Bildgründe seiner Bilder ähneln den verwaschenen Mauern alter Bauernhäuser. 1924 malt Miró seinen katalanischen Bauern mit Gitarre: ein Strichmännchen, das die Figuren von A.R. Penck (*1939) vorwegnimmt. In der Rechten hält er eine Pfeife, aus der scharfer Tobak Funken sprüht, in der Linken, da müssen wir dem Maler glauben, eine Gitarre. Ferner trägt der Bauer die traditionelle Kopfbedeckung der männlichen Landbevölkerung Kataloniens, eine Barettina, die an die phrygische Mütze der Französischen Revolution gemahnt.

Dreizehn Jahre später, 1937, mitten im Spanischen Bürgerkrieg, wird Miró erneut einen katalonischen Bauern malen: auf einem heute verschollenen Wandbild für den Pavillon der Spanischen Republik auf der Pariser Weltausstellung, das damals gegenüber von Picassos "Guernica" hing. "Guernica" war eine Anklage, Mirós Schnitter ein Sinnbild des Widerstandes und des Freiheitskampfes gegen die Faschisten. 

Miró trat mit der Aussage an, er wolle die Malerei ermorden. Ob seiner poetischen, leichten Bildwelten mag dies zunächst erstaunen. Doch Miró befreite sich tatsächlich von der Last einer verstaubten Tradition, um neu zu erfinden was die Malerei ausmacht: Form und Farbe.

Miró bei der Arbeit am Wandgemälde „Der Schnitter“ im Pavillon der Spanischen Republik, auf der Pariser Weltausstellung von 1937, Image via pinterest.com

VON ANFANG AN IM BILDE

Das kostenlose Digitorial zu JOAN MIRÓ
Das Digitorial: JOAN MIRÓ. WANDBILDER, WELTENBILDER