Zwei Größen der Kunstwelt mit kaum zu überschätzendem Einfluss auf eine ganze Künstlergeneration: Was verbindet diese beiden Ausnahmekünstler?
Zwei Giganten, deren Einfluss auf die Entwicklung der Malerei ebenso wie auf ihr Publikum nicht in Zahlen zu messen ist: Hier der New Yorker Jackson Pollock (1912-1956) und dort der Katalane und Wahl-Mallorquiner Joan Miró (1893-1983). Der eine auf Grund seiner berühmten Maltechnik liebevoll „Jack the dripper“ genannt, der andere losgezogen, um „die Malerei zu ermorden“. Aus dem Mord wurde eine Erweiterung des Begriffs, das Aufbrechen von Konventionen war beiden bei etlichen Unterschieden und großer Eigenständigkeit gemein. Als roh, als ursprünglich und kraftvoll werden sowohl Mirós als auch Pollocks Arbeiten gern bezeichnet; auch der Begriff des Rückgriffs auf kindliche und somit eben zu einem großen Teil: unbewusste Malweisen fällt immer wieder.
Als Sigmund Freud, der heute weltberühmte Neurologe und Begründer der Psychoanalyse, am 4. November 1899 sein Buch „Die Traumdeutung“ vorlegte, ahnte er wohl durchaus, wie radikal neu seine hier niedergeschriebenen Thesen waren – dass nicht nur die moderne Psychologie und Psychiatrie, sondern schlicht ein wesentlicher Teil der westlichen Geistes- und Kunstgeschichte ab diesem Zeitpunkt sich hierdurch verändern sollte, konnte er so wahrscheinlich trotzdem nicht abschätzen. Die Entdeckung des Unbewussten (heute fälschlich gern als „Unterbewusstsein“ bezeichnet) bedeutete für die einen Schock und Kränkung, für die anderen einen Befreiungsschlag.
Die entfesselte Kraft
Etliche Künstler und Intellektuelle beschäftigten sich mit den neuen Thesen oder nahmen später selbst eine Analyse in Anspruch – die Therapie wurde schon zu Lebzeiten Freuds von verschiedenen Ärzten fortentwickelt, um neue Aspekte erweitert und verändert. Auch Jackson Pollock konsultierte 1939 bis 1940 einen Arzt für psychoanalytische Sitzungen; seine Zeichnungen und Malereien wurden zum Mittel, durch das Pollock Dr. Henderson seine eigenen inneren Zustände zum Ausdruck bringen wollte (und das der Arzt im Übrigen nach dem Tod des Künstlers unter großer Kritik und Empörung veröffentlichte).
Bei Miró wiederum zeigt sich insbesondere die Rezeption seiner Arbeiten stark beeinflusst von psychoanalytischen Begriffen und Methoden: Wenn sein Enkel Joan Punyet Miró die Bilder seines Großvaters erklärt, dann fallen Wörter wie Libido und Todestrieb; an der Middlesex University wurde vor rund dreizehn Jahren Annalisa Salvi mit einer Doktorarbeit promoviert, die sich ganz mit der psychoanalytischen Ästhetik von Mirós (wie hier herausgearbeitet wird: eben letztlich überhaupt nicht) kindlichem Malstil beschäftigt.
Niemals deckungsgleich
Ob Jackson Pollock und Joan Miró tatsächlich künstlerisch Zugang zu ihrem Unbewussten fanden, lässt sich seriös natürlich niemals feststellen. Das Dilemma des theoretischen Konstrukts: es kann reale Phänomene beschreiben, aber mit diesen niemals deckunsgsgleich sein. So ähnlich sich Pollock und Miró beide in grundlegenden Fragen und in ihrer Faszination der Kraft des Unbewussten waren, so sehr beide eine ursprünglichere Form der Malerei zurücksehnten, so sehr arbeiteten sie fortwährend an der Erreichung eben dieser.
Stanley Meisner, der für das „ Smithsonian Magazine“ einen Besuch in Joan Mirós Studio 15 Jahre zuvor Revue passieren ließ, arbeitete genau diesen Aspekt heraus: Was beim Jahrhundertkünstler so leicht und spontan daherkam, war in Wahrheit das Ergebnis lebenslanger Disziplin. Für plumpe Psychologisierungen hat der darüber hinaus eher Spott übrig: „Was passiert, passiert im Innern,“ zitiert Miró im Artikel das Ende eines katalonischen Sprichworts, nur um dann schnell gegenzusteuern: „Im Innern?“ kichert er und macht eine affektierte Handbewegung, „Uhh!“ Womit er denen, die ihn gern immerzu als Künstler mit dem reichen, quasi permanent nach außen getragenen und jederzeit zugänglichen Innenleben charakterisieren, eine charmante Abfuhr erteilt.
Wer hat’s zuerst gemalt?
Die berühmte Henne-und-Ei-Frage ist im Falle von Jackson Pollock und Joan Miró vielleicht doch ein wenig müßig zu beantworten: Nicht einmal, dass manche Ideen zu ganz bestimmten Zeiten in ganz besonders hoher Konzentration durch den künstlerischen Äther zu schwirren scheinen, bis sie schließlich auf der Leinwand physisch werden (in der Wissenschaft ist dieses Phänomen als „multiple discovery“ theoretisch beschrieben). Sondern vor allem deshalb, weil im Erkennen des jeweils Anderen – um hier noch einmal die Psychoanalyse zu bemühen – nicht zuletzt das eigene Erkennen steht, ergo das eine ohne das andere nicht möglich wäre.
Auch Jackson Pollock und Joan Miró scheinen im Werk des jeweils anderen eine Spielart ihrer eigenen Arbeitsweise oder auch nur einen Ausblick auf das, was noch möglich werden könnte, erkannt zu haben: Mirós Bilder wie „Oiseau de feu / Firebird“ oder „Oiseau lune jaune / Yellow moonbird“ aus den frühen 60er-Jahren erinnern stark an die Pollockschen Drip Paintings, während umgekehrt Mirós frühere Arbeiten mit ihren frei ineinanderlaufenden Farbflächen (zu ihrer Zeit ein absolutes Novum) für Jackson Pollock wichtiger Impulsgeber auf dem Weg zur vollendeten Abstraktion und zur komplett absichtsfreien Malerei waren. Vor der Entdeckung der Surrealisten wie damals unter anderem eben Joan Miró waren Pollocks Sujets ausschließlich gegenständlicher Natur.
Ein eremitishes Dasein
Gemeinsam ist beiden Künstlern aber eben auch, dass sie sich nicht auf wenige Vorbilder und Ideengeber beschränkten, sondern im Gegenteil quasi alles als Inspirationsquelle zu nutzen wussten – von japanischen Tuschezeichnungen und antiken Höhlenmalereien bei Miró bis zu den Psychoanalysestunden, die Jackson Pollock in Anspruch nahm. Demgegenüber stand bei beiden ein streckenweise fast schon eremitisches Dasein, quasi als Kontrapunkt zur ständigen Ideensicht, notwendiges Moment der Sammlung und Konzentration.
Jackson Pollock arbeite gern in seinem Gartenhaus auf Long Island, das er 1945 mit seiner Frau Lee Krasner bezog, und Joan Miró galt als äußerst familiärer Mensch, der insbesondere in späteren Jahren die mallorquinische Beschaulichkeit der Großstadt und den Briefaustausch mit geschätzten Künstlern dem ständigen Austausch in Künstlerbars vorzog. Vor einigen Jahren war Pollocks Werk übrigens tatsächlich zu Gast bei Miró, oder zumindest bei dem Erbe, das jener der Welt hinterlassen hat: 2012 präsentierte die Fundació Joan Miró in Barcelona „Explosion! The legacy of Jackson Pollock“, die neben Schlüsselwerken aus Pollocks Œuvre auch dessen kaum zu überschätzenden Einfluss auf eine ganze Künstlergeneration umfasste. Was wiederum nur eine weitere Gemeinsamkeit darstellt.