Brief von Helene Schjerfbeck an die Künstlerin Maria Wiik, August 1916
In Finnland wird Schjerfbeck als Nationalheldin verehrt. Aus Anlass ihres 150. Geburtstags wurde 2012 ein Selbstporträt der gefeierten Künstlerin auf einer finnischen 2-Euro-Gedenkmünze abgebildet.
Helene Schjerfbecks Karriere begann in einer für ihr Heimatland turbulenten Zeit. Die Nachbarländer Schweden und Russland haben jahrhundertelang um die Herrschaft in Finnland gestritten. Nach dem schwedisch-russischen Krieg (1808-1809) wurde Finnland als autonomes Großfürstentum Teil des Russischen Zarenreiches. Erst spät erkämpfte die finnisch-nationale Bewegung die Unabhängigkeit des Landes: Am 6. Dezember 1917 erklärte das russische Parlament Finnland zu einer unabhängigen Demokratie.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein hatten Frauen in der Regel keinen Zugang zum akademischen Studium. Das galt auch für Kunstakademien. Einer Frau wurde weder das Durchhaltevermögen für das Studium noch der notwendige kreative Einfallsreichtum zugetraut. Die einzige Alternative zur Akademie waren private Kunstschulen, deren Qualität jedoch nicht an ein Akademiestudium heranreichte. Zudem war das Aktstudium – eine wesentliche Grundlage künstlerischer Ausbildung – für Frauen nicht erlaubt. Künstlerinnen konnten sich dieses Wissen nur aus zweiter Hand, anhand von Büsten oder über das Kopieren von Werken anderer Künstler, erarbeiten.
1906 führte Finnland das Frauenwahlrecht ein und übernahm damit in Europa eine Vorreiterrolle. Helene Schjerfbeck betrachtete sich nicht als Feministin. Doch die damals noch junge Frauenrechtsbewegung beeinflusste auch ihren künstlerischen Werdegang. In dem fortschrittlichen Klima erkämpften sich Frauen unter anderem die Möglichkeit des Aktstudiums.
Paris war es am Ende des 19. Jahrhunderts gelungen, Rom als Hauptstadt der Künste abzulösen. Wer seine Karriere vorantreiben wollte, kam nach Paris. Hier traf sich die europäische Kunstszene, hier wurden neue Kunstrichtungen geboren. Das große Ziel aufstrebender Künstler war es, im Pariser Salon auszustellen. Diese 1663 ins Leben gerufene Kunstausstellung stand zu Beginn nur Akademiemitgliedern offen. Erst Ende des 17. Jahrhunderts war auch die Öffentlichkeit zugelassen. Der Salon entwickelte sich zu einem der wichtigsten künstlerischen Ereignisse des Jahres. Wem es gelang, die strenge Jury zu überzeugen, dem waren öffentliche Aufmerksamkeit und finanzieller Erfolg fast sicher.
Unter den verschiedenen Gattungen der Malerei genossen Historienbilder das höchste Ansehen. Wer als Künstler in diesem Genre erfolgreich war, hatte eine große Karriere vor sich. Historienbilder zeigen religiöse, mythische oder auch historische Szenen. Bildthemen werden dramatisch inszeniert, sollen große Gefühle wecken und eine höhere Moral vermitteln. Die menschliche Figur spielt eine zentrale Rolle in der Historienmalerei. Anatomische Kenntnisse und Bewegungsstudien waren deshalb eine wichtige Voraussetzung für künstlerischen Erfolg.
Staub flimmert in der Luft. Warmes Sonnenlicht strömt durch die Ritzen der tiefschwarzen Tür in den schattigen Raum. Obwohl auf dem Bild augenscheinlich nichts passiert, gelang es der damals 21-jährigen Helene Schjerfbeck, Spannung zu erzeugen. Die Fläche des Fußbodens wird mit chaotischen Pinselstrichen aufgelöst und steht im Kontrast zu den ansonsten klaren Flächen mit ihrer reduzierten Farbigkeit. An manchen Stellen ist die Farbe kräftig aufgetragen, an anderen schimmert die Leinwand durch. Indem sie die Raumtiefe malerisch in Farbflächen auflöste, erzeugte die Künstlerin mit subtilen Mitteln eine konzentrierte Stimmung. In „Die Tür“ zeigt Schjerfbeck bereits eine erstaunliche künstlerische Eigenständigkeit.
Schjerfbecks Bild „Die Genesende“ wurde 1888 im Pariser Salon ausgestellt und gewann auf der Pariser Weltausstellung 1889 die Bronzemedaille. Für einen Künstler – dazu noch für eine Frau aus Finnland – ein unglaublicher Erfolg. Allerdings hatte Ende des 19. Jahrhunderts die Kritik an den Auswahlkriterien des Salons zugenommen. Die Abgewiesenen begannen sich in Gegenausstellungen eigene Foren zu schaffen. Auch Schjerfbeck begann sich in einigen ihrer Arbeiten von traditionellen Vorgaben zu lösen.
Das Porträt im Hintergrund zeigt Erasmus von Rotterdam, einen Humanisten und Gelehrten des 15. Jahrhunderts. Es wiederholt ein Gemälde von Hans Holbein dem Jüngeren, das Schjerfbeck in ihre Komposition einfügt. Das Original hatte sie zuvor im Pariser Louvre studiert.
Beide Frauen haben eine ähnliche Körperhaltung wie der Mann auf dem Porträt an der Wand. So wird das Motiv aus zwei unterschiedlichen Perspektiven wieder aufgegriffen.
Malerisch sind die Körper der Frauen kaum modelliert. Sie wirken ebenso zweidimensional wie das Bild an der Wand. Deutlicher könnte Schjerfbeck nicht ausdrücken, dass für sie vor allem die Komposition im Vordergrund steht – und nicht die Personen selbst.
Die beiden Frauen sind gedankenverloren in ihre Lektüre vertieft. Dieser gesenkte Blick findet sich in vielen von Schjerfbecks Porträts wieder. Die Gesichter ihrer Figuren besitzen oft eine unnatürlich helle Farbe und wirken maskenhaft. Das Malerische gewinnt so Vorrang vor der realistischen Darstellung.
Im Zentrum des Bildes steht ein orangefarbener Punkt. Seine warm leuchtende Farbe bildet einen Kontrast zu den kühlen Tönen des Hintergrunds. Die Frau mit hochgestecktem Haar hat die Hände locker im Schoß gefaltet. Obwohl sie sich dem Betrachter zuwendet, bleibt ihr Gesicht anonym. Die großen Flächen, die reduzierte Formsprache und die klare Linienführung erinnern an die japanische Holzschnittkunst. Selbst in der Frisur und im kimonoartigen Gewand finden sich asiatische Anklänge. Die japanische Kunst war damals für viele Künstler eine Inspirationsquelle. Schjerfbeck hatte sie durch Künstlerkollegen in Pont-Aven kennengelernt, die mit den Stilmitteln des japanischen Farbholzschnitts experimentierten.
Rot gefärbte Lippen, schlanke Gliedmaßen, ein langer Hals, kürzer werdende Rocksäume und eine jungenhafte Silhouette: All das entsprach damals dem Bild einer modernen Frau. Auch Schjerfbeck war im Grunde eine moderne Frau: Sie bestritt ihren eigenen Lebensunterhalt, und als eine der wenigen weiblichen Künstlerinnen bewegte sie sich außerhalb gesellschaftlich gültiger Normen.
In Schjerfbecks Porträts sind die Gesichter der Frauen oft nur schemenhaft angedeutet. Ihr Ausdruck wechselt zwischen Träumerei, Traurigkeit, Arroganz und Langeweile, die als ein Phänomen der Moderne galt.
Von einer Freundin ließ sich Schjerfbeck Modezeitschriften zuschicken, ihre Kleidung schneiderte sie nach aktuellen Schnittmustervorlagen selbst. Die Beschäftigung mit französischen Modemagazinen weckte bei ihr sehnsüchtige Erinnerungen an ihren Paris-Aufenthalt.
„Le Chiffon“ war ein französisches Modemagazin aus den 1930er-Jahren, das sich Schjerfbeck regelmäßig nach Finnland senden ließ. Die französischen Modeblätter, die Schjerfbeck las, waren keine Haute-Couture-Magazine, sondern eher bescheidene, praktisch ausgelegte Publikationen, die sich vor allem an Frauen aus der Mittelschicht richteten.
2012 war Helene Schjerfbeck die Inspiration für die Herbst-/Winterkollektion von MES DAMES. Das schwedische Modelabel macht regelmäßig historische Frauen zum Thema ihrer Kollektionen.
Mit groben Pinselstrichen und wenigen Linien malt Schjerfbeck das markante Gesicht ihres vertrauten Freundes Einar Reuter. Seine hohe Stirn, die Wangenknochen und das Ohr höht sie mit Weiß. Ein ockerfarbener Strich im Hintergrund betont die Neigung seines langgestreckten Halses. Seinen Körper skizziert sie mit schwungvollen Linien und fast abstrakten Farbflächen. Im Kontrast dazu betont Schjerfbeck das Gesicht, indem sie Wangen und Hals rot einfärbt. Dadurch wirkt es lebendiger als der Körper, der sich nach unten hin malerisch auflöst.
Die durchdachte Komposition des Bildes zeugt von Schjerfbecks künstlerischer Raffinesse. Durch die Betonung der Einheit von Linie, Farbe und Form gelingt es ihr, mit minimalen Mitteln viel mitzuteilen. Die Körperhaltung des Mannes ist grob skizziert. Zwei kräftige, fast abstrakt wirkende weiße Striche betonen die starke Rückenmuskulatur. Mit Bedacht umrahmt die Malerin den Körper des Mannes mit kühnen, kräftigen Linien. Die helle Linie um seinen Kopf und den Körper steht kontrastreich auf der dunklen Umrandung und verleiht der Figur eine strahlende Aura.
Stenman versorgte Schjerfbeck mit Bildmaterial von anderen Künstlern. Und er forderte sie dazu auf, sich mit Motiven ihrer früheren Arbeiten erneut auseinanderzusetzen. Stenman war davon überzeugt, dass diese Werke sich gut verkaufen würden: Auch Künstler wie Pablo Picasso oder Edvard Munch hatten erfolgreich Werke anderer Künstler aufgegriffen und eigene Motive neu interpretiert. Zur Anregung schenkte Stenman der Malerin auch einen Ausstellungskatalog mit Schwarzweiß-Abbildungen von Werken El Grecos. Ende des 16. Jahrhunderts hatte El Greco, ein spanischer Maler griechischer Herkunft, einen ungewöhnlichen Stil entwickelt, der viele moderne Künstler inspirierte. Auch Helene Schjerfbeck begeisterte sich für seine Komposition und Lichtführung.
Die dramatische Geschichte des Kriegshelden Wilhelm von Schwerin ist ein Thema, das viele finnische Künstler aufgegriffen haben. Von dem Schriftsteller Johan Ludvig Runeberg wurden seine Heldentaten in der Gedichtsammlung „Die Erzählungen des Fähnrich Stahl“ verarbeitet. Der erst 15-jährige Leutnant wurde während des russisch-schwedischen Kriegs in der Schlacht von Oravais 1808 tödlich verwundet, als er mit seinen Männern einen Gegenangriff auf den heranrückenden russischen Gegner startete. Die Schlacht bildete den Wendepunkt des Krieges: Die Auseinandersetzungen endeten schließlich mit der Niederlage Schwedens und dem Beginn der russischen Herrschaft in Finnland.
Die erste Fassung entstand 1879, als Schjerfbeck erst 17 Jahre alt war. Die zweite malte sie 1886, kurz nachdem sie ihr Studium in Paris begonnen hatte. Die letzte Fassung entstand fast 40 Jahre später. Sie war zugleich das letzte Historienbild, das die Künstlerin anfertigte.
Eine besondere Malerin, ein außergewöhnliches Werk: In der SCHIRN können Sie Helene Schjerfbeck jetzt entdecken. Wissenswertes über die wichtigste Künstlerin der finnischen Moderne finden Sie auch im umfangreich bebilderten Katalog zur Ausstellung.