„Meine Erzählweise ist nicht besonders plotgetrieben“

18.10.2024

8 min Lesezeit

Autor*in:
Markus Wölfelschneider

Dieses Jahr erschien Yandé Secks Debütroman „Weiße Wolken“, der größtenteils in Offenbach und Frankfurt spielt. Wir haben uns mit ihr an einem Ort getroffen, wo sie während der Arbeit am Buch Inspiration fand.

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„Die Cafés im Frank­fur­ter Nordend habe ich schon fast alle durch“, sagt Yandé Seck und macht ihr Fahr­rad an einem Verkehrs­schild fest. Die Rede ist von den vielen Cafés, die in ihrem Roman „Weiße Wolken“ als Schau­plätze dienen und in denen die Haupt­fi­gu­ren oft klärende Gesprä­che führen. Nach der Veröf­fent­li­chung hat sich Seck dort gerne mit Jour­na­list*innen getrof­fen, um über das Buch zu reden. Dass in ihrem Roman so viele Cafés vorkom­men, erklärt Seck übri­gens mit ihrer Vorliebe für „Sex and the City“. „Ich gehöre zur Gene­ra­tion, die mit der Serie groß­ge­wor­den ist.“

Heute also mal kein Café. Statt­des­sen laufen wir auf asphal­tier­ten Wegen über die Ober­rä­der Felder. Ein Sonn­tags­pa­zier­gang bei schö­nem Wetter im Niemands­land zwischen Offen­bach und Frank­furt. Eine Auto­bahn und eine S-Bahn-Trasse begren­zen das weit­läu­fige Gelände, auf dem mit Graf­fiti über­säte Gewächs­häu­ser stehen, in denen – so vermu­ten wir jeden­falls – Kräu­ter für die berühmte Grüne Soße ange­baut werden. Urba­ni­tät trifft auf Idylle. „Während der Arbeit an meinem Roman war ich hier regel­mä­ßig joggen und habe über die Figu­ren nach­ge­dacht“, verrät Seck. Die Musik, die sie dabei auf den Ohren hatte, schaffte es sogar als Play­list ins Buch. Songs von Mac Miller, Frank Ocean und Kend­rick Lamar sind darauf zum Beispiel vertre­ten.

Foto: Neven Allgeier
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Yandé Seck
Foto: Neven Allgeier

Ein Debüt zwischen psychologischer Tiefe und popkultureller Leichtigkeit

„Weiße Wolken“ ist Secks lite­ra­ri­sches Debüt. Dieses Jahr wurde es bei dem renom­mier­ten Verlag Kiepen­heuer und Witsch veröf­fent­licht. Es geht um zwei unter­schied­li­che Schwes­tern, die sich mit ihrer Rolle als Mutter in einer Patch­work­fa­mi­lie bezie­hungs­weise als Schwarze Frau in einer weißen Mehr­heits­ge­sell­schaft ausein­an­der­set­zen. Zazie ist so etwas wie eine poli­ti­sche Akti­vis­tin mit guten Argu­men­ten und berech­tig­ter Wut, die sich aber manch­mal selbst im Weg steht und über­all aneckt. Dieo führt ein vergleichs­weise ange­pass­tes und bürger­li­ches Leben im Frank­fur­ter Nordend. Es gibt Anspie­lun­gen auf theo­re­ti­sche Konzepte und akade­mi­sche – etwa rassis­mus­kri­ti­sche – Diskurse. Der Roman ist aber auch eine wahre Fund­grube, was popkul­tu­relle und lite­ra­ri­sche Refe­ren­zen betrifft. Bei all der Schwere und psycho­lo­gi­schen Tiefe der verhan­del­ten Themen bleibt „Weiße Wolken“ stets ein wunder­bar leich­ter, unter­halt­sa­mer, poin­tiert erzähl­ter Fami­li­en­ro­man.

Weil sie Kinder- und Jugend­the­ra­peu­tin werden wollte, studierte Seck zunächst Medi­zin, wech­selte dann aber zu Erzie­hungs­wis­sen­schaf­ten als sie fest­stellte, dass sie auch dieser Weg ans Ziel führte. „Eigent­lich war es eher die Idee meiner Mutter und meiner Oma, dass ich Medi­zin studie­ren sollte“, sagt sie. „Das Studium war nie so rich­tig meins.“ Heute wohnt Seck mit ihrem Mann und den zwei Söhnen – einer im Kinder­gar­ten, der andere im Teen­ager­al­ter – in Offen­bach. Dort arbei­tet sie auch als Thera­peu­tin. Außer­dem ist sie Dozen­tin am Fach­be­reich Erzie­hungs­wis­sen­schaf­ten an der Frank­fur­ter Goethe-Uni.

Foto: Neven Allgeier

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Am Weges­rand entde­cken wir zwei Mäuse­ba­bys. Seck erzählt davon, wie sie vor weni­gen Wochen bei einem Strand­spa­zier­gang in Irland, wo die Fami­lie ihres Mannes lebt, auf einen toten Delphin gesto­ßen ist – was einige Erklä­run­gen nötig machte. „Wenn man mit Kindern unter­wegs ist, hat man noch mal einen ganz ande­ren Blick auf die Natur“, sagt sie. Seck wurde in Heidel­berg gebo­ren, wo sie einen Teil ihrer Kind­heit verbrachte. „Dort hatte ich eine Freun­din, die großer Bibi-Blocks­berg-Fan war. Wir haben Kasset­ten mit Geschich­ten aufge­nom­men, die wir uns ausge­dacht hatten – samt dazu passen­der Geräu­sche“, erzählt Seck von ersten Erfah­run­gen mit lite­ra­ri­schen Welten. Als Teen­ager fiel ihr die Auto­bio­gra­fie „Mein Leben“ des Lite­ra­tur­kri­ti­kers Marcel Reich-Rani­cki in die Hände. „Mich hat faszi­niert, wie hier jemand von seiner inni­gen Bezie­hung zu fiktio­na­len Welten berich­tet“, erin­nert sich Seck an eine ihrer frühen prägen­den Lektü­re­er­fah­run­gen.

„Vor vier Jahren wurde unser jüngs­ter Sohn hin und wieder fremd­be­treut. In diesen Stun­den habe ich mich dann nicht nur an meine Doktor­ar­beit gesetzt, sondern auch den Dingen Raum gege­ben, die sich sonst noch so in mir regen“, erzählt Seck. Auf diese Weise entstand „Weiße Wolken“. Einige Kapi­tel wurden von einer Reise in den Sene­gal – dem Herkunfts­land ihres Vaters – inspi­riert, die sie zuvor unter­nom­men hatte. Sie habe den Text – zumin­dest am Anfang – nicht wirk­lich mit Blick auf spätere Leser*innen geschrie­ben, sagt Seck. „Das sieht man alleine schon daran, dass ich einer Neben­fi­gur den Namen des Trau­zeu­gen meines Mannes gege­ben habe. Später ließ sich das dann nicht mehr ändern, weil es im Roman eine Anspie­lung auf das Kinder­buch ‚Wo die wilden Kerle wohnen‘ gibt, wo die Haupt­fi­gur eben­falls Max heißt.“

Foto: Neven Allgeier

“Nicht die Hand­lung steht im Mittel­punkt, sondern die Figu­ren.”

Yandé Seck

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Foto: Neven Allgeier
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Das Potenzial zu einer Romanverfilmung?

Ihr Manu­skript gab sie zunächst Leuten aus ihrem Umfeld zu lesen. „Das war eine erste Berüh­rung mit der Reali­tät. Ich wollte heraus­fin­den: Ist das über­haupt Etwas, hat das Bestand.“ Eine Lese­probe schickte Seck an verschie­dene Verlage. „Ich musste erst einmal lernen, wie das Busi­ness funk­tio­niert – nämlich so, dass man sich am besten von einer Agen­tur vertre­ten lässt. Eine Lite­ra­tur­agen­tin kümmerte sich schließ­lich um alles Weitere. Beson­ders toll findet Seck, dass „Weiße Wolken“ dieses Jahr für die Reihe „Books at Berli­nale“ ausge­wählt wurde. Als eines von welt­weit zehn Büchern, die das Poten­tial für eine Verfil­mung haben, wurde es dort Film­schaf­fen­den vorge­stellt. „Ob wirk­lich mal ein Film daraus wird, zeigt sich vermut­lich erst in ein paar Jahren.“

Hat Seck schon Ideen für den nächs­ten Roman? „Meine Erzähl­weise in ‚Weiße Wolken‘ ist nicht beson­ders plot­ge­trie­ben. Nicht die Hand­lung steht im Mittel­punkt, sondern die Figu­ren. Viel­leicht sollte ich das nächste Mal alles anders machen und zur Abwechs­lung mal einen Thril­ler schrei­ben“, sagt sie und lacht. Im Herbst stehen nun einige Lesun­gen an. Aber auch mal eine Auszeit vom Lite­ra­tur­be­trieb zu nehmen ist ihr wich­tig. „Dieses Jahr ist so viel passiert, das muss ich erst einmal sacken lassen“, sagt Seck. „Sonst kann es schnell passie­ren, dass einem alles Schöne und Inter­es­sante, das man erlebt, einfach so durch die Finger rinnt.“

Diesen Monat ist Frank­fur­ter Buch­messe. Seck wird nicht mit dabei sein. „Während die Buch­messe statt­fin­det, besu­che in meine Schwes­ter in Vilnius, die dort studiert. Die Messe hatte ich total verges­sen als wir den Termin verein­bart haben. Ich glaube, dass hinter dieser Fehl­leis­tung ein Bedürf­nis steht“, sagt Seck. Ihr Unter­be­wusst­sein habe ihr eine Botschaft geschickt. „Es geht darum, mich darauf zu besin­nen, dass ich auch ein Fami­li­en­le­ben habe und nicht nur aus ‚Weißen Wolken‘ bestehe.“

Foto: Neven Allgeier

Yandé Seck

„Weiße Wolken“

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