„Kunst erschafft alle Gottheiten“: Jonathan Messe ruft einen Aphorismus vom Podest herab, ein Besucher ruft zurück: „Glaubst Du nicht, dass erst die Schöpfung kommt und dann die Kunst?“. Daraufhin Meese: „Ich glaube an die Schöpfungskraft der Kunst“.
Meeses „Künstlerführung“ in der SCHIRN am 12. November ist keine konventionelle, akademische Tour: Meese zeigt keine Kunstwerke und vermittelt keine Kontexte. Was die Besucher zu sehen bekommen, ist eine Propaganda-Performance zur „Diktatur der Kunst“, wie er in seinem Manifestangekündigt hatte.
Provokation ist Programm
In der einstündigen Performance fordert Meese ein neues ästhetisches Programm: Künstler und Kunsttheoretiker sollten sich nicht so ernst nehmen. Kunst ist nicht von Biografie, Kontext oder dem Rezipienten abhängig, sondern entsteht aus sich selbst heraus. Und nichts ist schlimmer als Mittelmäßigkeit und Narzissmus, die Meese in der Durchdemokratisierung der Menschen ausfindig macht.
Im Gegensatz zum „durchdiplomierten“ Kunstbetrieb sind die „Weltenwandler“ für ihn die wahren Künstler, weil sie ihr Ich nie in den Vordergrund gestellt haben. „Diese Typen haben sich nicht verbiegen lassen“. Hinter Meese sieht man Bilder von Adolf Wölfli (1864–1930), dem Outsider-Übervater, der den Großteil seines Lebens in der „Bernischen kantonalen Irrenanstalt Waldau“ verbrachte – und dort einen enormen Korpus an Zeichnungen, Gemälden, Schriften und Notenblättern hinterließ.
Podcast
Provokation ist Teil von Meeses Performance – und das Publikum geht mit. „Machtergreifung“, „Diktatur der Kunst“ und Verweise auf „Hitler“ sind Schlagworte, die Meese in seiner Abarbeitung an der Autorität der Macht verwendet. Gestisch und rhetorisch persifliert das „Prinzip Meese“ die Diktatur der Nationalsozialisten.
Hakenkreuz, Hammer und Sichel tauchen als Motive auch beim Outsider-Künstler August Walla (1936–2001) auf: Bei Walla stehen sie im Kontext seines Wahns. Der Künstler aus Gugging glaubte, in seiner Kindheit von Nationalsozialisten und Kommunisten entführt worden zu sein.
Leben in einer lauwarmen Zeit
Meese fordert, dass die Kunst aus den Menschen herausfließen soll – auch wenn die Künstler für die Kunst nicht wichtig sind: „Die Kunst produziert die Dinge selbst“. Die Selbstschöpfungskraft der Kunst bedient sich nur des Menschen, um ihre Werke zu vollbringen: „Die Künstler lassen die Kunst an sich abspielen“. Kunst soll autonom betrachtet werden, ohne Beschäftigung mit der Biografie des Künstlers, den Zeitumständen und dem Rezipienten. „Wenn die Kunst in den Spiegel sieht, sieht sie nur sich selbst“.
Hier eine formalistische Renaissance zu vermuten, ist weit gefehlt, denn die ästhetische Programmatik ist auch politisch: Frei nach Shakespeare soll die Welt zur Bühne werden, die Menschen der Kunst dienen, die Kunst die Herrschaft übernehmen. Meeses radikalste Forderung ist eine Abkehr vom politischen System der Bundesrepublik: „Geht nicht mehr wählen, denn sonst müsst ihr Euren Kindern später erklären, warum wir in einer so lauwarmen Zeit leben“.
Nach 60 Minuten ist „Ende der Durchsage“: Der Propagandaminister der Kunstdiktatur springt vom Podest und verlässt die Ausstellungsbühne. „Natürlich bin ich peinlich. Das ist die Aufgabe des Künstlers“.