Wie die Pflanze durch den Asphalt

Unter dem Titel „EXAMEN 24 – Die Pflanze durch den Asphalt” lädt die Kunsthochschule Kassel zu ihrer diesjährigen Abschlussausstellung vom 11. bis zum 15. Dezember 2024 in die documenta-Halle ein.
Über 60 Absolvent*innen präsentieren ihre Abschlussarbeiten und beleben die Halle mit einem offenen Parcours, der dazu einlädt, diverse künstlerische und gestalterische Perspektiven zu entdecken.

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Der Titel ist von Philipp Lange, Kurator der diesjährigen Examensausstellung, bewusst metaphorisch gewählt: Das Bild der Pflanze, die den Asphalt mit eigener Antriebskraft durchbricht, erinnert an die persönlichen Herausforderungen, die im Laufe des Studiums mit kreativen Strategien überwunden werden müssen.
Asphalt, als ein Symbol des Anthropozäns, deutet hier die zweckgebundene Umwandlung der natürlichen Erdoberfläche an. Straßen und Plätze aus Asphalt markieren die menschliche Umformung von Landschaft zu Orten infrastruktureller Nutzung und so steht das Bild stellvertretend für erschwerte Lebensbedingungen in unserer heutigen Zeit

Der verglaste Eingang der documenta-Halle lässt den benachbarten Friedrichsplatz tief in das Gebäude hineinragen. Das Gefühl, sich in der Stadt zu befinden, bleibt auch nach dem Eintritt in das Gebäude präsent und wird durch die im Eingangsbereich hängende Ölmalerei von Andreas Ujbányi aufgegriffen. Mit dem verzerrten Rundumblick auf Kassel werden vor allem die Sehenswürdigkeiten der Stadt in den Innenraum integriert.

Andreas Ujbányi: Spektrum (point of view), 2024
Foto: Andreas Ujbányi
Tristan Marie Trotz: Der Weg ist weit. Bring weiche Schuhe mit, 2024 (multisensorische Rauminstallation)
Foto: Aryn Hurst

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Von der Miniaturabbildung Kassels wandert der Blick in die Tiefe der Halle hinein und macht Halt bei der Arbeit von Max Holicki und Yannick Stark. Das Duo präsentiert mit einer animierten Science-Fiction-Serie ein Projekt mit pädagogischem Ansatz, das Kinder für globale politische Themen sensibilisieren möchte. Der begleitende Knet-Workshop, sowie weitere Programmpunkte der Ausstellung werden auf der Sitz- und Liegemöbellandschaft von Tristan Marie Trotz stattfinden. Während des Ausstellungsbesuchs dient die zentrale Installation der kurzfristigen Regeneration. Sie ist eng verknüpft mit der aktuellen Thematik von Erschöpfungszuständen bei andauerndem gesellschaftspolitischen Engagement.

Max Holicki, Yannick Stark: Knetball Abenteuer mit Mika und Plim, 2024
Foto: Max Holicki, Yannick Stark

Gemeinschaft als romantisches Versprechen

Durch die großflächigen Glasfronten der Halle dringt der diffuse graue Dezemberhimmel der Stadt. Vor diesem Hintergrund manifestiert sich die raumgreifende Installation Martin Winklers. Ihr haftet etwas Surreales an. Die mit Helium gefüllten, schillernd bunten Luftballons lenken alle Blicke auf sich und thematisieren die Fiktion einer pluralistischen Gesellschaft. Gemeinschaft erscheint hier als ein romantisch-enthusiastisches Versprechen, dessen Erfüllung fragil in der Luft schwebt. Die Installation reflektiert das Aufwachsen in einem homophoben Umfeld und richtet gleichzeitig eine Hommage an die LGBTQI+ Community.

Die Ausstellung versammelt die einzelnen Werke der Absolvent*innen aus den Studiengängen Bildende Kunst, Produktdesign und Visuelle Kommunikation auf allen Ebenen und bis in alle Winkel der Ausstellungshalle. Durch einen queeren kuratorischen Ansatz wird die Schau zu einem Ort der Begegnung und des Austauschs: Sie versteht sich als ein Ökosystem, in dem sich die individuellen Arbeiten im Zusammenspiel mit ihrer räumlichen Einbettung immer wieder neu miteinander verknüpfen, dadurch neue Fragen aufwerfen und Kategorisierungen überwinden.

Martin Winkler: Tears for Queers, 2024
Foto: Mario Strahl

Ausstellung als dynamisches Netzwerk

Diese Herangehensweise spiegelt sich auch in Mar Lambergs ortsspezifischer Installation wider. Eine Reihe parallel verlaufender Nylonfäden lenkt die Blickachse von der Treppe in die Weitläufigkeit der großen Halle hinein.

Die Grundlage Mar Lambergs Arbeiten bildet der vorgefundene Raum mit seinen architektonischen Gegebenheiten. Details und Eigenheiten der alltäglichen Umgebung werden durch die künstlerische Intervention dekonstruiert und neu zusammengesetzt. Die zweidimensional anmutenden Fäden schaffen durch ihre Gruppierung ein oszillierendes Volumen, das sich je nach Blickwinkel immer wieder neu formt und auflöst, wodurch sich das Werk gegen die statische Körperlichkeit der Architektur behauptet. Die Betrachter*innen sind eingeladen, sich aktiv durch die Installation zu bewegen – erst durch die Interaktion wird der transformierte Raum erfahrbar und für Fragen zugänglich:
Welche sichtbaren, materiell manifestierten Strukturen von Hierarchie prägen unsere tägliche Wahrnehmung?

Am Kopfende der Großen Halle und in einem dort angrenzenden Raum hängen die Bilder von Kaitong Zhang. Das Blattgold auf seinen Gemälden entfaltet durch seine Reflexionen eine faszinierende räumliche Tiefe. Es stellt sich jedoch die Frage, in welche Richtung die Arbeiten den Raum erweitern. Im Gegensatz zu Mar Lambergs Raumverkörperung kann der reale Raum mit Zhangs Arbeiten metaphysisch verlassen werden. Der Blick wird durch Verweise auf mythologische Darstellungen nach innen gerichtet, der eigene Körper wird immateriell. In einem anderen Raum führt Anna Bergold mit ihrer multimedialen Arbeit „Terra Salis“ die Besuchenden nah an ihre Recherche zum Salzabbau im hessischen Heringen heran. Feinfühlig anmutende Salzdrucke von Pflanzen vor dunklem Hintergrund, die in der dortigen Bergbaulandschaft zu finden sind, führen mit Sensibilität zur Thematik anthropozentrischer Zerstörung.

Mar Lamberg: (not) a corner piece, 2023
Foto: Andreas L. Berg
Kaitong Zhang: Illusions of Enlightenment, 2024
Anna Bergold: Terra Salis, 2024
Foto: Anna Bergold
Magdalena Bernard: Leere Orte, 2024
Foto: Magdalena Bernard

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Gegenüber setzt sich Magdalena Bernard intensiv mit dem Thema Erinnerungskultur und der Unsichtbarkeit von Geschichte auseinander. Hierfür besuchte sie 26 ehemalige KZ Standorte in Deutschland und Polen, an denen heute oftmals kein sichtbares Gedenken mehr stattfindet.

Ihr begleitendes Buch befindet sich in einem Leseraum, der zahlreiche Publikationen der diesjährigen Absolvent*innen versammelt. Darunter etwa auch die Comics und Graphic Novels von Ilo Ebbe, Laura Dörner und Jonas Töpfer.

Laura Dörner: Nur ein Name, 2024
Foto: Stefan Gerlach

Begleitprogramm

Zur Ausstel­lung erscheint eine vor Ort erhält­li­che Publi­ka­tion, die ähnlich wie ein Begleit­heft die Besu­chen­den durch die verschie­de­nen Posi­tio­nen der Ausstel­lung leitet und die thema­ti­schen und kura­to­ri­schen Ansätze der Ausstel­lung vertieft. Außer­dem gibt es ein umfang­rei­ches Begleit­pro­gramm mit Sauna-Session, Talks, Work­shops und Führun­gen, welches von den Absol­vent*innen mit dem Kura­tor gemein­sam erar­bei­tet wurde.

EXAMEN 24 – Die Pflanze durch den Asphalt

11. bis 15. Dezem­ber 2024
in der documenta-Halle Kassel

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