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VON BÜSTENHALTERCOLLIERS UND ROSA PFÖTCHEN

Autorin Karoline Hille liest am 3. Mai in der Ausstellung „Surreale Dinge.“ Für das SCHIRN Magazin stellt sie jetzt schon die Künstlerinnen des Surrealismus vor.

Der Surrealismus entstand am Ende des Ersten Weltkriegs in Paris als eine literarische Bewegung, initiiert von jungen, zornigen Dichtern, die nicht nur eine radikal neue Poesie schaffen, sondern mit revolutionärem Elan die Welt von Grund auf ändern wollten. Bis zum Ende der 1920er-Jahre war der Surrealismus eine vorwiegend dichterische Angelegenheit von Männern. Zwar war die Frau als Muse und Modell, Geliebte, Ehefrau und Sekretärin in der Gruppe gern gesehen, als Künstlerin aber hatte sie keine Chance. Nur als Phantasma; als „Traumfigur“ und Fetischobjekt fand sie Eingang in den surrealistischen Kosmos. Aber mit der realen Frau hatten diese Geschöpfe nichts zu tun.

Es sollte bis in die 1930er Jahre dauern, bis Autorinnen, Malerinnen, Bildhauerinnen und Fotografinnen sich einen Platz im Surrealismus erkämpft hatten. Was nun setzten diese Künstlerinnen der Verachtung ihrer Profession, der misogynen Haltung, ja letztlich den „Traumfrauen“ der Surrealisten entgegen? Die seit jeher einzige Waffe von unterdrückten Minderheiten: die Ironie. Sie lässt das Komische im Tragischen aufscheinen, wie es der ungarische Jude István Eörsi formuliert hat. Denn die Ironie „hebt die Gegensätze nicht auf, sondern verschränkt sie miteinander und veranschaulicht auf diese Weise das komplizierte, komische und furchtbare Einander-nicht-Entsprechen von Vorstellung und Wirklichkeit“. Alle Surrealistinnen haben die hohe Kunst des Furchtbar-Komischen der Ironie beherrscht und mit ihr gespielt. Sie relativiert selbst alptraumhafte Schrecken und verleiht ihnen eine lakonische Leichtigkeit, gestattet Distanz und den Blick von außen, sie bricht das Pathos und dient der Abwehr von Vereinnahmung.

Vor allem die surrealen Dinge beflügelten, wie die Ausstellung beweist, nicht nur die Fantasie der Surrealistinnen, sondern entfachten geradezu ein Feuerwerk der Ironie. Meret Oppenheim war eine der Künstlerinnen, die die Kunst der Ironie in allen ihren subtilen Nuancen meisterhaft beherrschte. Sei es nun in der berühmt-berüchtigten „Pelztasse“, jenem gänzlich unbrauchbaren Gebrauchsgegenstand, in der vorgeblich essbaren „Weißen Königin“ für Marcel Duchamp, an deren knöchernem Rückrat er sich allerdings die Zähne ausgebissen hätte, oder in jener wahrhaft bizarren, das Furchtbar-Komische lustvoll und selbstironisch auf die Spitze treibenden Kreation eines „Büstenhalter-Colliers“, schaurig-schön und buchstäblich am eigenen Leibe spürbar.

Claude Cahun verspottete die Kommunistische Partei Frankreichs als Söldnertruppe Stalins, indem sie ihre „Poupée“-Figur aus der Parteizeitung L’Humanité herstellte, die Malerin Leonor Fini nahm mit ihrem „Korsettstuhl“ ein längst ausgedientes, erotisches Accessoire und den von den Surrealisten kreierten Frauenkörper als Möbelstück ironisch ins Visier und noch die Pionierin der abstrakten Kunst, Sophie Taeuber, zauberte aus einer ihrer Kopfskulpturen mit ein paar Kreisen und Ovalen ein unwiderstehlich witzig-ironisches Porträt ihres Freundes Hans Arp. Auch Dorothea Tanning spielte in ihrer weichen Stoffskulptur „Liegender Akt“ mit der erotischen Fantasie, den männlichen Blicken und Begierden und dem weiblichen Körper als Fetischobjekt, suggeriert das attraktive Wesen aus rosa Wollstoff doch nicht nur samtige Haut, sondern Hingabe und Schutzbedürftigkeit, während die Spinnenarme ihr Opfer längst eingewickelt haben.

Virtuos spielte auch Leonora Carrington auf der ironischen Klaviatur. Ihre rabenschwarzen, bösen Geschichten haben bis heute nichts von ihrer Faszination verloren. Allerdings sucht man die Künstlerin in der Ausstellung vergeblich. Zwar hat sie 1959 ein wahrhaft aberwitziges Objekt kreiert. Aber es existierte nur in ihrer Fantasie. Von Breton zur Beteiligung an der Pariser Eros-Ausstellung gedrängt, entwarf sie brieflich einen drei Meter hohen Heiligen Geist aus weißen Hühnerfedern, mit „neun erigierten Schwänzen (leuchtend), neununddreißig Hoden, die wie kleine Weihnachtsglöckchen klingen und rosa Pfötchen.“ In der Fantasie des Publikums soll Leonora Carringtons „Heiliger Geist“ nun wieder auferstehen. Denn in der musikalisch-literarischen Veranstaltung rund um mein Buch „Spiele der Frauen. Künstlerinnen im Surrealismus“ wird der erstmals ins Deutsche übertragene Brief eine Rolle spielen, ebenso wie auch eine ihrer unvergleichlichen Kurzgeschichten. Es ist eine Hommage und ein Geburtstagsgruß. 94 Jahre alt ist Leonora Carrington am 6. April geworden: die Grande Dame des Surrealismus, klein, zart und wie ihre weiblichen Figuren von beeindruckender Stärke.