Alice Waters, Köchin und Mitgründerin des berühmten kalifornischen Slow-Food-Restaurants Chez Panisse, beschreibt die Beziehung zwischen Kochen und Kunst folgendermaßen: „Die instinktivste und buchstäblichste Verbindung, die wir herstellen, ist die mit unserem Essen… Der Akt des Kunstschaffens und der des Kochens stimmen in vielerlei Hinsicht überein, sie sind beide reaktiv und kreativ, sie imitieren sich gegenseitig und passen sich einander an.“
Existiert eine Verbindung zwischen dem, was in den Ateliers von Künstler*innen passiert, und dem, was in ihren jeweiligen Küchen vor sich geht? Finden sich zwischen Töpfen und Tellern Bezüge zu ihrem Werk und ihrer Persönlichkeit wieder? Sind Künstler*innen besonders kreativ, wenn es um den alltäglichen Akt des Kochens geht? Anhand von Fotos und Bestandsaufnahmen ihrer Küchen sowie Anekdoten rund um ihre Essensgewohnheiten geben wir Einblicke in die kulinarischen Lebenswelten berühmter Künstler*innen.
Dieses Mal tauchen wir in die Küche der Künstlerin Louise Bourgeois ein, die sich in ihren Gemälden und skulpturalen Objektkunst intensiv mit weiblicher Identität auseinandersetzte. 1911 in Paris geboren, studierte Bourgeois in verschiedenen Künstlerateliers in Montparnasse und Montmartre sowie an unterschiedlichen Kunsthochschulen, bevor sie 1938 nach New York umzog. In den 1970er-Jahren begann sie sich in der feministischen Bewegung zu engagieren und wurde als erste weibliche Künstlerin 1982 vom New Yorker Museum of Modern Art mit einer Retrospektive ihres Werks gewürdigt. Schon früh entwickelte Bourgeois eine spannungsgeladene Beziehung zu haushaltsnahen Tätigkeiten, die in ihrer Generation noch als unmissverständlich „weiblich“ galten.
Um ihre kranke Mutter zu unterstützen, kochte sie als Kind jahrelang für ihren Vater, der es als Selbstverständlichkeit verstand, jeden Abend ein warmes Essen serviert zu bekommen. Oft musste Bourgeois stundenlang auf seine Rückkehr warten, das Essen sollte trotzdem frisch und warm bleiben. Außerdem wurde sie mit dem Credo erzogen, dass Kochen der Weg in das Herz eines Mannes sei – was die Künstlerin dazu brachte, als Studentin jeglichen Kochaufwand komplett aufzugeben. In einem Versuch, ihre Erlebnisse zu vergessen und sich gegen die sozialen Normen der Zeit aufzubäumen, beschränkte sich ihre Diät auf Joghurt, Honig und Pumpernickel, und konzentrierte sich stattdessen auf ihr Kunststudium.
Domestizität und Familie wurden im Laufe ihrer Karriere zu zentralen Themen ihres künstlerischen Diskurses. Ihre Beziehung zum Essen und Kochen veränderte sich erst, als sie 1938 mit ihrem Mann Robert Goldwater, einem amerikanischen Professor, nach New York zog. Allmählich fing sie an, Gefallen daran zu finden, ihre Künstlerfreunde nach Vernissagen zum Abendessen nach Hause einzuladen und für sie zu kochen. Manchmal kam ein Dutzend auf einmal, also wurden Dampfkochtopf und Kühltruhe zu ihren engsten Verbündeten. Sie servierte klassische Gerichte der französischen Küche: gebratenen Heringsrogen mit Butter und Zitronensauce, gekochten Chicorée mit Fenchel oder Kalbsragout mit Kartoffeln.
Die winzige Wohnung in Chelsea, in der sie von 1958 bis zu ihrem Tod 2010 lebte, war über dreißig Jahre lang Schauplatz ihrer berühmten “Sunday Salons”, zu denen überwiegend Studierende und junge Künstlerinnen und Künstler eingeladen wurden, aber auch etablierte Figuren wie Joan Jonas, Nan Goldin oder Jonas Mekas. Die Gäste stellten vor, woran sie gerade arbeiteten, es wurde diskutiert und aus Bourgeois’ kleiner Bar im Wohnzimmer getrunken, die mit Whiskey und Ouzo bestückt war. Teils Portfolioreview, teils Gruppentherapie, verwandelten diese sonntäglichen Treffen ihren privaten Raum zu einem öffentlichen Ort des intellektuellen Austauschs.
Bourgeois räumte dem Geist in ihrem Haus nicht nur im übertragenen Sinne mehr Platz ein als häuslichen Tätigkeiten: Als ihr Mann 1973 verstarb, wurde sie den Küchentisch und den Ofen los und verwandelte ihr Schlafzimmer in eine Bibliothek. Auf engstem Raum und mit zwei kleinen Gaskochern, umständlich hinter dem Spülschrank platziert, bereitete Louise weiterhin elaborierte Gerichte zu – und doch schien sie sehr darauf bedacht zu sein, dem Kochen nie wieder die Hauptrolle in ihrem Leben zu geben, die sie in ihrer Kindheit gehabt hatte.