Vom Atelier an den Esstisch: Kunst mit Kochmütze

Sind Künstler*innen besonders kreativ, wenn es ums Kochen geht? Ein Blick in die Küchen der Kunstwelt. Diesmal mit einer kleinen Chronik der Künstler*innen-Restaurants, von Daniel Spoerri bis Jennifer Rubell.

Daniel Spoerri serviert 125 Gramm Brot

Anfang März 1963 stellte die Pari­ser Gale­rie J eine Samm­lung von 723 Küche­nu­ten­si­lien aus – vom Fleisch­wolf über den Spar­schä­ler bis zur Käse­reibe war alles dabei. Gesam­melt und auf Bret­ter montiert hatte sie der Schwei­zer Künst­ler Daniel Spoerri, Mitbe­grün­der des Nouveau Réalisme und Erfin­der der „Eat Art”, welche für die künst­le­ri­sche Ausein­an­der­set­zung mit allem, was essbar ist, stehen soll. Wie üblich schloss die Gale­rie um 19 Uhr ihre Pfor­ten, aller­dings öffnete sie Spoerri eine Stunde später, um als „le Chef Spoerri Daniel” in Erschei­nung zu treten und seine Gäste in ein tempo­rä­res Restau­rant zu führen. Zehn Tage lang band sich der Künst­ler abends die Schürze um und kochte für jeweils zehn Gäste ein wech­seln­des thema­ti­sches Menü, mit dabei das „Franco-Niçois” (mit Pastis und Hoden mit Sahne) und ein „Gefäng­nis­menü” (magere Kohl­suppe und 125 Gramm Brot). Als Kell­ner enga­gierte er Kunst­kri­ti­ker, da diese ja für gewöhn­lich auch als Vermitt­ler zwischen (Ess-)Kunst und Publi­kum dien­ten. Einige Jahre später eröff­nete Spoerri in Düssel­dorf ein „echtes” Restau­rant und setzte neben Rinder­steaks auch Python­schnit­zel, Amei­senome­lettes und Schlan­gen­ra­gout auf die Karte, mit der Absicht, den Geschmacks­ho­ri­zont seiner Gäste zu erwei­tern. Der Künst­ler stand dort aller­dings nicht mehr selbst am Herd, sondern agierte nur konzep­tio­nell. Sein künst­le­risch-gastro­no­mi­sches Unter­fan­gen nannte er „multi­me­dia-super-happe­ning-Kunst­werk”, womit Spoerri nicht unwe­sent­lich dazu beitrug, die Gren­zen der Kunst zu verschie­ben und sie näher an den Alltag zu rücken.

Einladung: Daniel Spoerris Restaurant in der Galerie J, Paris, März 1963
Daniel Spoerri
image via spoerri.at

Allen Ruppersberg und Les Levine servieren filetierte Baumrinde und Lachssteak Halifax

Den glei­chen Impuls spür­ten in den Sech­zi­ger­jah­ren viele junge Künst­ler*innen, die nun alltäg­li­che Orte und Objekte ins Zentrum ihres Schaf­fens stell­ten. Die Idee, als Künst­ler*in in die Rolle eines Restau­rant­be­trei­ben­den zu schlüp­fen, passte perfekt in diese Zeit des künst­le­ri­schen Umbruchs. 1969 eröff­ne­ten in den Verei­nig­ten Staa­ten gleich zwei Esslo­kale, die diesem Prin­zip folg­ten: Allen Ruppers­bergs „Al’s Café” in Los Ange­les und Les Levi­nes „Levine’s Restau­rant” in New York. Al’s Café öffnete donners­tag­abends und kam wie ein klas­si­sches ameri­ka­ni­sches Diner daher, aller­dings verriet ein Blick auf die Karte eher schwer verdau­bare Spei­sen wie „drei Steine nebst Papier­knäuel”, „File­tierte Baum­rinde” oder „Baum­wolle mit Ster­nen­staub”, eine ironi­sche Anspie­lung an die zu der Zeit aufstre­bende Land Art-Bewe­gung. Nach Bestel­lung wurden diese Skulp­tur-Spei­sen tatsäch­lich von Ruppers­berg zube­rei­tet und serviert, konsu­mie­ren konnte man sie auf eigene Gefahr. Das Bier war aller­dings echt, und so mutierte das Café, teils Instal­la­tion und teils parti­zi­pa­to­ri­sche Perfor­mance, in den drei Mona­ten seiner Exis­tenz zu einem belieb­ten Treff­punkt der loka­len Kunst­szene.

Les Levine, Les Levine’s Restaurant, 1969
image via mutualart.com
Allen Ruppersberg, Al’s Café, 1969
Les Levine, Les Levine’s Restaurant, 1969
image via artax.de

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Les Levi­nes Établis­se­ment an der Ostküste blieb immer­hin ein halbes Jahr geöff­net, das Konzept war „irisch-kana­disch-jüdi­sche Küche”, ange­lehnt an seine eigene Herkunft. Er nannte das Projekt ein „auto­bio­gra­fi­sches kuli­na­ri­sches Envi­ron­ment”, serviert wurden auf grell-grünen Tisch­de­cken Gerichte wie Lachssteak Hali­fax, gehackte Hühner­le­ber Levine oder Matzen­knö­del­suppe. Der Kunst­kri­ti­ker David Bour­don fand das Essen „bedau­er­lich” und die Beleuch­tung „düster”, aber zumin­dest die Preise sollen mäßig gewe­sen sein, und für Namens­vet­ter Levi­nes gab es zwan­zig Prozent Rabatt. Der Künst­ler erhoffte sich, eine entspannte, ange­nehme Umge­bung zu schaf­fen, aller­dings instal­lierte er auch fünf Über­wa­chungs­ka­me­ras und zeigte die Aufnah­men in Echt­zeit auf mehre­ren Moni­to­ren, die im Raum verteilt waren. Ob es daran lag, ist unklar, aber „New York’s only Cana­dian Restau­rant”, wie es bewor­ben wurde, wurde nie zum Publi­kums­schla­ger. Trotz­dem funk­tio­nierte es im Sinne Levi­nes, da es sein Konzept trans­por­tierte, Kunst in einen sozia­len Kontext zu stel­len, die Betrach­ten­den durch alle Sinne hindurch zu berüh­ren und sie zu akti­ven Teil­neh­mer*innen des Werkes zu machen.

Gordon Matta-Clark serviert Ochsenschwanzsuppe und Froschschenkel

Das wohl lang­le­bigste Künst­ler*innen-Restau­rant-Projekt dieser Zeit war „FOOD” (1971-1973), eröff­net von Gordon Matta-Clark, Carol Gooden und Tina Girouard im New Yorker SoHo-Vier­tel. Es wurde gänz­lich von Künst­ler*innen geführt und war die einzige Anlauf­stelle im Vier­tel für gesun­des, nach­hal­ti­ges und güns­ti­ges Essen, wodurch das Lokal schnell großen Anklang fand und zu einem zentra­len Treff­punkt der Krea­tiv­szene wurde. Matta-Clark orga­ni­sierte dort regel­mä­ßig Perfor­man­ces, so auch das „Bone Dinner”, bei dem er Ochsen­schwanz­suppe servierte, gefolgt von gerös­te­ten Mark­kno­chen und Frosch­schen­keln. Am Ende des Abends wurde jedem Gast eine Hals­kette über­reicht, ange­fer­tigt aus den auf den Tellern liegen geblie­be­nen Knochen. FOOD schaffte es schein­bar mühe­los, als Restau­rant, sozia­les Expe­ri­ment und parti­zi­pa­to­ri­sches Kunst­werk zugleich zu funk­tio­nie­ren, wobei sich letz­te­rer Begriff erst über zwan­zig später etablie­ren sollte.

Tina Girouard, Carol Goodden und Gordon Matta-Clark vor FOOD, Restaurant, New York, 1971
Foto: Richard Landry, Schrift: Gordon Matta-Clark; Image via openfileblog.blogspot.com
Gordon Matta-Clark im FOOD

Rirkrit Tiravanija serviert Pad Thai und Kräutertee

Kunst, die als Schau­platz sozia­ler Inter­ak­tion konzi­piert wurde und für deren Reali­sie­rung die aktive Teil­nahme des Publi­kums unab­ding­bare Voraus­set­zung war, subsu­mierte der Kunst­kri­ti­ker Nico­las Bour­ri­aud Ende der 1990er-Jahre unter dem Begriff der „Rela­tio­nal Aest­he­tics“ (Rela­tio­nale Ästhe­tik). Als einer der Haupt­ver­tre­ter dieser Strö­mung gilt der thai­län­di­sche Künst­ler Rirkrit Tira­va­nija, der 1990 für eine Ausstel­lung in der Paula Allen Gallery in New York die Ausstel­lungs­räume zu einer tempo­rä­ren Küche umfunk­tio­nierte und von dort aus selbst­ge­koch­tes Pad Thai servierte. Einige sollen Tira­va­nija wohl mit einem Cate­rer verwech­selt haben, doch das kam ihm wahr­schein­lich recht, denn nicht er selbst, sondern der Austausch zwischen den Besu­chen­den sollte im Vorder­grund stehen. Seit dieser ersten wegwei­sen­den Aktion hat Tira­va­nija immer wieder parti­zi­pa­to­ri­sche Werke insze­niert, in denen Essen und Bewir­ten eine zentrale Rolle spie­len. 2015 instal­lierte er vor dem Eingang der Kunst­messe Art Basel ein kommu­na­les Frei­luft­re­stau­rant aus Bambus („We Dream Under the Same Sky”), wo Besu­cher*innen dazu einge­la­den wurden, als Bezah­lung für Speis und Trank (es gab Tee mit Kräu­tern aus dem haus­ei­ge­nen Garten und thai­län­di­sches Curry) beim Kochen, Servie­ren oder Abwa­schen mitzu­hel­fen. Durch die kurz­zei­tige Auflö­sung konven­tio­nel­ler Hier­ar­chien – aus Kura­tor*innen wurden Spül­kräfte, aus Sammerl*innen Aushilfs­köch*innen – reali­sierte Tira­va­nija eine künst­le­ri­sche Utopie der Kolla­bo­ra­tion und der Gast­freund­schaft.

Rirkrit Tiravanija, Untitled 1990 (pad thai), 1990, Eröffnung in Paula Allen Gallery, New York, 1990
Courtesy the Rirkrit Tiravanija Archive; image via momaps1.org

Jennifer Rubell serviert allerlei Frühstück

Lange bevor Tira­va­nija sein Art-Basel-Pop-up-Restau­rant eröff­nete, hatte sich eine andere Künst­le­rin damit beschäf­tigt, das Publi­kum der Schwei­zer Kunst­messe kuli­na­risch und künst­le­risch zu versor­gen: Jenni­fer Rubell. Von 2002 bis 2018 lud die US-ameri­ka­ni­sche Konzept­künst­le­rin und Toch­ter des berühm­ten Samm­ler-Ehepaars Mera und Don Rubell jedes Jahr anläss­lich der Eröff­nungs­wo­che der Art Basel Miami Beach zu einem monu­men­ta­len Früh­stück im Hof der Rubell Family Collec­tion ein. Das kuli­na­ri­sche Ange­bot hielt Rubell klas­sisch: Mal gab es hart­ge­kochte Eier, Crois­sants und Bacon; mal Hafer­brei mit Rosi­nen; mal Joghurt; mal Blät­ter­teigtört­chen, Donuts oder Brot mit Butter und Salz. Aber die Darrei­chung war alles andere als konven­tio­nell. Teils Instal­la­tion, teils inter­ak­tive Food-Perfor­mance, balan­cier­ten in „Faith” 1573 Tört­chen auf einer gigan­ti­schen Wippe; in „Fifty Cakes” fütter­ten die Rubells ihre Gäste eigen­hän­dig mit Schoko-, Vanille- und Erdbeer­ku­chen; während bei „Just Right” das Publi­kum komplett auf sich selbst gestellt war. In Anleh­nung an das Märchen von Gold­löck­chen und den drei Bären galt es, durch ein Loch im Zaun in ein herun­ter­ge­kom­me­nes Haus zu klet­tern, sich dort aus einem Berg von Geschirr mit Schüs­sel und Löffel auszu­stat­ten, sich Hafer­brei aus riesi­gen, damp­fen­den Koch­töp­fen zu servie­ren und diesen mit Milch aus großen Kühl­schrän­ken aufzu­gie­ßen.

Rubell, die auch ausge­bil­dete Köchin ist, wehrte sich anfäng­lich dage­gen, ihre Früh­stücks­in­stal­la­tio­nen als Kunst zu defi­nie­ren. Doch die Teil­neh­men­den der Food-Perfor­man­ces erkun­dig­ten sich immer wieder nach dem Namen des Künst­lers oder der Künst­le­rin hinter den Events, und 2009 beschrieb die einfluss­rei­che Kunst­kri­ti­ke­rin der New York Times Roberta Smith einen Beitrag Rubells zur Performa 09 als „erfolg­rei­che Verschmel­zung von Instal­la­ti­ons­kunst, Happe­ning und Perfor­mance”. Erst dann (und als sie erkannte, wie eng ihre Ideen mit den Konzep­ten Tira­va­ni­jas und den Prin­zi­pien der Rela­tio­na­len Ästhe­tik zusam­men­hin­gen) fing Rubell an, sich offen­kun­dig als Künst­le­rin zu präsen­tie­ren.

Jennifer Rubell, 50 Cakes, 2014
Zu sehen sind von links nach rechts Hernan Bas, Jennifer Rubell und Mira Rubell. Sie essen Eier am Stand der Rubell Family Collection während der Kunstmesse Art Basel Miami Beach in Miami Beach, Florida, USA, am Donnerstag, 6. Dezember 2007. Das Domino Magazine stellte 5000 Eier, Speckstreifen, Croissants und 1000 Aufstriche für die Besucher*innen der Sammlung zur Verfügung,
Von links: Hernan Bas, Jennifer Rubell und Mira Rubell essen Eier am Stand der Rubell Family Collection während der Kunstmesse Art Basel Miami Beach in Miami Beach, Florida, USA, am Donnerstag, 6. Dezember 2007. Das Domino Magazine stellte 5000 Eier, Speckstreifen, Croissants und 1000 Aufstriche für die Besucher*innen der Sammlung zur Verfügung,
Foto: Charlotte Southern/Bloomberg via Getty Images)
Jennifer Rubell, 50 Cakes, 2014
Jennifer Rubell, Incubation, 2011

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Während sich Rubell die Frage stellte, ob ihre Arbeit noch als Gastro­no­mie oder schon als Kunst­werk dekla­riert werden konnte, scheint Tira­va­nija genau den entge­gen­ge­setz­ten Weg gegan­gen zu sein. 2019 konzi­pierte er für das Insti­tute for Contem­porary Art (ICA) in London eine bis heute funk­tio­nie­rende Sake Bar, die an das Café der Gale­rie angrenzt. Mit kommu­na­len Tischen, Papier­lam­pen und Kera­mik­ge­schirr ausge­stat­tet, das in seinem Studio in Chiang Mai herge­stellt wurde, weist auf den ersten Blick nichts darauf hin, dass es sich hier um ein Kunst­werk handelt, auch der Name des Künst­lers ist nirgendwo aufzu­fin­den. Es wird geges­sen, getrun­ken und gere­det, wie in einer ganz norma­len Bar.

Und sollte doch einmal jemand beim Rein­ge­hen am klein gedruck­ten Text an der Wand hängen blei­ben – „Untit­led 2019 (The form of the flower is unknown to the seed)” – und sich fragen, ob das hier noch Kunst ist oder schon Kuli­na­rik, dann würde Tira­va­nija wohl entgeg­nen: Egal. Haupt­sa­che, es schmeckt!

Henne /Rirkrit Tiravanija, Untitled 2019 (the form of the flower is unknown to the seed), 2019
image via pilarcorrias.com

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