Es ist still. Dann beginnt das Summen. Ein Hochton erklingt, steigt an, verstummt. Ein Gitternetz erscheint, wird schneller, hebt ab. In einer sechsminütigen Reise ohne Ortswechsel führt die Rauminstallation „Projektion“ den Betrachter an die Grenzen der räumlichen und akustischen Wahrnehmung.
Die ineinander übergehende Bildanimation ist auf vier weiße Wände eines rechteckigen Raums projiziert. Zwölf Projektoren werfen die geometrischen Grundmuster an die Wand, die sich zu amorphen Formen und Strukturen wandeln. Den Klang liefert der österreichische Soundkünstler Franz Pomassl: Erzeugt durch selbstgefertigte Geräte und Instrumentarien aus der Messtechnologie.
Der Betrachter befindet sich inmitten einer Superstruktur, die den Raum in seiner bisherigen Form auflöst. Es kommt zu unmittelbaren körperlichen und mentalen Reaktionen: Räumliche Desorientierung führt zum völligen Verlust gewohnter Raumerfahrung und im Rhythmus von verschwindenden und sich wandelnden Formen entfaltet sich eine Meditation des Medialen.
TECHNOIDE KLANGELEMENTE
Formal vermittelt sich Koglers Installation, die er 2008 für seine Retrospektive im MUMOK in Wien 2008 geschaffen und für die SCHIRN adaptiert hat, dem Betrachter als eine viergliedrige, fragmentierte Narration des Wandels, die nach dem Prinzip der Auflösung und Neugestaltung konzipiert ist. Die Gitterstrukturen verweben, verdicken und verdichten sich zunächst, bis sie als organisch anmutende Neuronen oder Adern erscheinen.
Nach einer farblichen Inversion von schwarz auf weiß verlagern und verschieben sich die Flächen, aneinander angrenzende Blasen schwimmen in einer Emulsion wie Öl in Wasser. Kreise tauchen auf, verschwinden wieder. Zuletzt invertiert sich die Farbe erneut, schwarz dominiert. Linien und Wellen zerbrechen, zersetzen sich, flimmern ab, bis am Ende kein Ton, keine Form bleibt, bis auf die unbelichtete Wand.
Akustisch unterlegt ist die Installation mit technoiden Klangelementen, oft analog zum Rausch des visuellen Raums. Ansteigende Hochtöne mischen sich mit Dröhnen, Wummern, Flirren. Fliegt ein Düsenjet durch den Raum? Hört man den Lärm einer Autobahn? Häufig sind Bilder und Klang synchronisiert, etwa setzen Trommeln ein, wenn Bälle in 3D-Form die Gitterstruktur aushöhlen und dehnen, als würden sie aus der Leinwand in die Linienführung geklopft. Das eigene Herz scheint die Bewegung mitzumachen, der Puls mit dem Rhythmus mitzugehen.
Pionier der Multimediakunst
Der 1959 in Innsbruck geborene und in Wien lebende Multimediakünstler Peter Kogler hat im Lauf der vergangenen zwanzig Jahre unsere Wahrnehmung des Ausstellungsraums grundlegend verändert, indem er diesen als integralen Bestandteil seiner künstlerischen Arbeit etabliert hat.
In seinen installativen Werken werden die drei Dimensionen des Raums zur Bildfläche: Organische Formen, Rohrleitungen oder Geflechte überziehen in Form von Siebdrucktapeten oder Projektionen Fassaden, überwuchern Wände und bemächtigen sich des Bodens.
Wie kaum ein anderer Künstler der Gegenwart findet Kogler damit prägende Bildcodes für unsere zunehmend von Datenströmen und elektronischen Wegen bestimmte Welt und verbindet diese Visualisierung mit einer intensiv erlebbaren körperlichen Erfahrung.
Illusion von Wirklichkeit
Koglers Bespielung des realen Raums als virtuellen Ort befasst sich dabei mit dem Prozess der Sinnbildung im menschlichen Gehirn – ein Motiv, dass sich in dieser Installation im Bild der neuronalen Muster als auch in anderen Arbeiten der Künstlers finden lässt. Die Flut abstrakter Formen konkretisiert sich in der Fantasie des Betrachters zu bekannten Bildern. Die Funktion der menschlichen Imagination, Sinn zu stiften und aus abstrakten Mustern konkrete Objekte zu evozieren, wird zum Thema.
Anhand der Problematik der Wahrnehmung und Verarbeitung unbekannter, abstrakter Bild- und Klangfiguren setzt sich die Installation mit der Schwierigkeit der Sinnstiftung in der postmodernen, sinnentleerten Welt auseinander. Der Schwindel, der Verlust der Bodenhaftung steht analog zur Angst des postmodernen Subjekts vor der Bedeutungslosigkeit in einer komplexen, fragmentierten Wirklichkeit.
Aus dieser existenziell bedrohlichen Grundstimmung heraus erscheint die Installation als Fragestellung und Lösungsansatz: Die ungewohnten, abstrakten Formen evozieren mittels der Vorstellung gegenständliche, aus der Anschauung bekannte Bilder: Projektionen entstehen dank der „Projektion“: Flächen, Muster, Strukturen werden im Akt der Illusionsbildung in sinnstiftender Weise transformiert.
Florian Leclerc
Weitere Informationen zu Peter Kogler auf der Website der SCHIRN
Website von Peter Kogler: www.kogler.net