These boots are made for walking

30.12.2024

18 min Lesezeit

Carol Rama

Schuhe erzählen eine Geschichte, geben Geheimnisse preis über die Persönlichkeit derjenigen, die sie tragen, über ihren gesellschaftlichen Status und ihre Wünsche. Kein Wunder also, dass Künstler*innen wie Carol Rama sie zum wiederkehrenden Motiv ihrer Werke erhoben. Von Jan van Eyck über Carol Rama bis hin zu Jo Cope sind hier einige der faszinierendsten Darstellungen von Schuhen in der Kunstgeschichte versammelt.

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Klei­dungs­stü­cke und Acces­soires dien­ten im Laufe der Geschichte als belieb­tes Sujet künst­le­ri­scher Darstel­lung. Doch gibt es einen bestimm­ten Gegen­stand, der nie aus der Mode kam und gewiss eine Vorrang­stel­lung gegen­über allen ande­ren einnimmt: der Schuh. Er bietet funk­tio­na­len Schutz glei­cher­ma­ßen wie eine skulp­tu­rale Form und kommu­ni­ziert die Wert­set­zun­gen ebenso wie die Persön­lich­keit seiner Träger*innen. Ist ihnen Bequem­lich­keit wich­ti­ger als Ästhe­tik? Dient der Schuh beruf­li­chen Zwecken oder aber dem Vergnü­gen? Schuhe sind poli­tisch. Schon auf den ersten Blick geben sie Auskunft über den sozio­öko­no­mi­schen Status. Und auch gar keine Schuhe zu tragen, verrät viel über die Lebens­um­stände der jewei­li­gen Person. Inso­fern fand der Schuh unwei­ger­lich auch Eingang in den allge­mei­nen Sprach­ge­brauch, so etwa in Rede­wen­dun­gen wie „jeman­dem etwas in die Schuhe schie­ben“, „wo der Schuh drückt“ oder „jeman­dem die Stie­fel lecken“. Darüber hinaus können Schuhe eine verfüh­re­ri­sche Wirkung entfal­ten und zum Objekt wilder Fanta­sien werden. Sie beglei­ten uns Tag für Tag und tragen uns durch das Leben. Begin­nend bei der Antike, möch­ten wir hier den Weg von Schu­hen in der Kunst anhand einzel­ner Werke nach­zeich­nen.

1

Dionysios aus Berytos
„Gruppe von Aphrodite, Pan und Eros“, 100 v. Chr.

Künst­ler*innen und Philo­soph*innen des helle­nis­ti­schen Grie­chen­lands waren vermut­lich die Ersten, die den Schuh in ihren Werken mitbe­dach­ten. So verewig­ten Bild­hauer*innen in Marmor das gött­li­che Trei­ben auf dem Pantheon und mach­ten die Begeg­nung zwischen Aphro­dite, Pan und Eros wieder­holt zum Thema ihrer Kunst. Die hier abge­bil­dete Skulp­tur wurde 1904 auf der grie­chi­schen Insel Delos aufge­fun­den. Sie zeigt die Liebes­göt­tin Aphro­dite, bedrängt von Pan, dem bocks­hu­fi­gen Gott der Natur und Frucht­bar­keit. Aphro­di­tes Sohn Eros, der geflü­gelte Gott der roman­ti­schen Liebe, schiebt Pans Horn von sich weg, um seine Mutter zu schüt­zen. Pans Versuch der Nöti­gung kann von der Göttin aber erfolg­reich abge­wehrt werden, ist sie doch im Besitz der ulti­ma­ti­ven Waffe – einer Leder­san­dale. Wo nach dem Raub der Helena tausend Schiffe entsandt wurden, da ließ Aphro­dite tausend Schuhe für sich spre­chen.

Dionysios aus Berytos, „Gruppe von Aphrodite, Pan und Eros“, 100 v. Chr.
Image via flickr.com

2

Jan van Eyck
„Das Arnolfini-Porträt“, 1434

Das geheim­nis­volle „Arnol­fini-Porträt“ stammt von Jan van Eyck und ist ein Meis­ter­werk der nieder­län­di­schen Renais­sance. Es stellt den italie­ni­schen Kauf­mann Giovanni di Nico­lao Arnol­fini zusam­men mit einer Frau – vermut­lich seiner Gemah­lin – dar, die Hand in Hand in einem Schlaf­zim­mer stehen. Über die genaue Ausle­gung der Kompo­si­tion wird bis heute inten­siv disku­tiert. Von der einzel­nen, im Kron­leuch­ter bren­nen­den Kerze bis hin zu dem flau­schi­gen Hund hat jeder Bild­ge­gen­stand seinen eige­nen symbo­li­schen Gehalt. Von beson­de­rem Inter­esse sind die beiden hier im Bild darge­stell­ten Paar Schuhe: Arnol­fi­nis im Vorder­grund erschei­nende Panti­nen – hölzerne Über­schuhe, die zum Bege­hen schlam­mi­ger Stra­ßen dien­ten –, und die aufwen­dig verzier­ten, roten Pantof­feln seiner Ehefrau im Hinter­grund. Nach einer These des Kunst­his­to­ri­kers Erwin Panofsky stehen die Schuhe sinn­bild­lich für die eheli­che Treue des Paares. In Anbe­tracht des unge­wöhn­lich inti­men Schau­plat­zes stellte Panofsky die Vermu­tung auf, dass das porträ­tierte Paar die Heilig­keit des Ehebet­tes achte und sich auf den Voll­zug der eheli­chen Verbin­dung vorbe­reite.

Jan van Eyck, „Das Arnolfini-Porträt“, 1434
Image via wikipedia.org

3

Jean-Honoré Fragonard
„Die glücklichen Fügungen der Schaukel“, 1767/68

Jean-Honoré Frago­nards Gemälde „Die glück­li­chen Fügun­gen der Schau­kel“ fängt die Epoche des Rokoko in seiner Quint­es­senz ein. Unge­niert entfal­tet es ein Tableau frivo­ler Unsitt­lich­keit. Auch in maltech­ni­scher Hinsicht beein­druckt das Werk in seiner Detail­ge­nau­ig­keit sowie in der Führung von Licht und Schat­ten. In Auftrag gege­ben wurde es von einem fran­zö­si­schen Adli­gen, der abge­bil­det zu werden wünschte, wie er seiner auf einer Schau­kel schwin­gen­den jungen Gelieb­ten unter den Rock sieht. Eine solch skan­da­löse Szene wollte der ursprüng­lich vorge­se­hene Künst­ler jedoch nicht malen und gab den Auftrag weiter an Frago­nard, der für seine Darstel­lun­gen eroti­scher Sujets bekannt werden sollte. Der sich lösende zier­li­che Pantof­fel fliegt durch die Luft und gibt den Blick frei auf den anmu­tig gewölb­ten Fuß der Dame. Ein verlo­re­ner Schuh symbo­li­siert in der Bild­spra­che des Rokoko den Verlust der Jung­fräu­lich­keit. Die Schau­kel wiederum ist nicht nur ein Symbol für Reich­tum, sondern zugleich eine Meta­pher für die Frei­heit und die Frei­räume, die ein liber­tä­rer Umgang mit Sexua­li­tät eröff­net. Und es ist auch kein Zufall, dass der Schuh mit der Öffnung nach unten weist. Nach Ansicht von Michel Delon, einem Spezia­lis­ten für das Jahr­hun­dert der Aufklä­rung, verbirgt sich hierin eine kokette Anspie­lung auf den Ausblick, den der in der Szene darge­stellte Auftrag­ge­ber sicht­lich genießt.

Jean-Honoré Fragonard, „Die glücklichen Fügungen der Schaukel“, 1767/68

4

Vincent van Gogh
„Drei Paar Schuhe“, 1886/87

Neben den Studien von Arbei­ter*innen, die für ihn Modell stan­den, malte Vincent van Gogh eben­falls eine Werk­reihe mit Darstel­lun­gen ihrer Schuhe. Auch wenn in dem Gemälde „Drei Paar Schuhe“ die Gesich­ter ihrer Besit­zer nicht zu sehen sind, verleiht ihm der ausge­prägte Charak­ter der Stie­fel doch eine fast porträthafte Quali­tät. Die für das bloße Auge erkenn­ba­ren Pinsel­stri­che beto­nen den Zustand des Leders, das durch Schweiß und Wetter­ein­flüsse geformt und aufge­weicht wurde. Die Abnut­zungs­spu­ren und die frei­lie­gen­den Nagel­köpfe auf der Sohle des umge­dreh­ten Stie­fels verra­ten, dass sein Träger die Fußau­ßen­seite stär­ker belas­tete. Tatsäch­lich über­malte van Gogh hier ein zuvor ange­fer­tig­tes Gemälde, das eine Blumen­vase zeigte. In der endgül­ti­gen Bild­fas­sung verwies er durch die Verwen­dung eines Stoff­hin­ter­grunds auf die Gestal­tungs­kon­ven­tio­nen klas­si­scher Still­le­ben und gab ihr zugleich einen moder­nen Touch, indem er die Gren­zen bild­wür­di­ger Sujets verschob.

Vincent van Gogh, „Drei Paar Schuhe“, 1886/87

5

Salvador Dalí
„Objet Surréaliste à fonctionnement symbolique – le soulier de Gala“ (Surrealistisches Objekt mit symbolischer Funktion – Galas Schuh), 1932/1975

Salva­dor Dalí schuf zahl­rei­che Kunst­werke, die er seiner Frau und Muse Gala Dalí widmete, so auch diese unter Verwen­dung eines ihrer Schuhe entstan­dene Arbeit. Ursprüng­lich trug sie den Titel „Schuh und ein Glas Milch“ und gilt als das erste von ihm ange­fer­tigte surrea­lis­ti­sche Objekt. Dessen symbo­li­sche Funk­tion beschrieb Dalí unter Bezug­nahme auf die von Sigmund Freud damals neu begrün­dete Theo­rie des Feti­schis­mus so: „Ein Damen­schuh, in den ein Glas warme Milch in eine weiche Masse mit der Farbe von Exkre­men­ten hinein­ge­stellt wurde. Der Mecha­nis­mus besteht darin, einen Zucker­wür­fel, auf den das Bild eines Schuhs gemalt wurde, in die Milch einzu­tau­chen, sodass man zuse­hen kann, wie sich der Zucker und somit auch das Bild des Schuhs darin auflö­sen. Verschie­dene Beiga­ben (auf einen Zucker­wür­fel geklebte Scham­haare, eine klein­for­ma­tige eroti­sche Foto­gra­fie) vervoll­stän­di­gen das Objekt, das beglei­tet wird von einer Schach­tel mit Ersatz-Zucker­wür­feln und einem spezi­el­len Löffel zum Umrüh­ren von Schrot­kü­gel­chen im Inne­ren des Schuhs.“

Salvador Dalí, „Objet Surréaliste à fonctionnement symbolique – le soulier de Gala“ (Surrealistisches Objekt mit symbolischer Funktion – Galas Schuh), 1932
Image via sfmoma.org
Salvador Dalí, „Objet Surréaliste à fonctionnement symbolique – le soulier de Gala“ (Surrealistisches Objekt mit symbolischer Funktion – Galas Schuh), Reproduktion, 1932/73
© Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí / Artists Rights Society (ARS), New York, 2018; Image via artic.edu

6

Carol Rama
„Senza titolo“ (Ohne Titel), 1972 /
Salvatore Ferragamo
„Invisibile“, 1975

Die Künst­le­rin Carol Rama, die selbst beken­nen­der Schuh­fan war, stellte 1984 fest: „Der Fuß ist in gewis­ser Weise ein Eros, ein Fetisch, bietet er doch jeder­zeit die Möglich­keit, eine Bindung der Liebe zu ihm zu entwi­ckeln. Der Fuß und der Schuh haben die Bedeu­tung von Schön­heit gemein­sam.“ Auch ließ sie sich vom Schaf­fen des Schuh­de­si­gners Salva­tore Ferra­gamo anre­gen und illus­trierte einen seiner Entwürfe mehrere Male auf Pantone-Farb­kar­ten. Anhand seines inten­si­ven Studi­ums der Anato­mie sowie der Vertei­lung des Körper­ge­wichts über das Fußge­wölbe rückte Ferra­gamo den Körper der Frau in den Mittel­punkt seiner gestal­te­ri­schen Praxis. Kriegs­be­dingte Ratio­nie­rungs­maß­nah­men veran­lass­ten ihn zu eini­gen seiner größ­ten Inno­va­tio­nen, so etwa der Verwen­dung der zu jener Zeit noch unüb­li­chen Mate­ria­lien Segel­tuch und Kork. Für die von ihm 1947 entwor­fene Sandale „Invi­si­bile“ mit dem charak­te­ris­ti­schen „F“-Absatz ließ sich Ferra­gamo von Fischern inspi­rie­ren und führte einen einzi­gen Nylon­fa­den durch die Sohle des Schuhs. So entstand die Wirkung eines nack­ten, gefes­sel­ten Fußes, präsen­tiert auf golde­nem Sockel, was dem Schuh eine gewisse feti­schis­ti­sche Quali­tät verlieh. In ihrem Werk „Senza titolo“ von 1972 gab Carol Rama der „Invi­si­bile“-Sandale wiederum einen ganz eige­nen spie­le­ri­schen Twist, indem sie die Riem­chen durch Penis­for­men ersetzte – eine ironi­sche Abwand­lung, wie sie bereits die frühen Werke der Künst­le­rin ausge­zeich­net hatte.

Detail: Carol Rama. Rebellin der Moderne, Installationsansicht: Carol Rama, Senza titolo, 1972
© Schirn Kunsthalle Frankfurt 2024, Foto: Norbert Miguletz
Salvatore Ferragamo, „Invisibile“, 1975
Image via ferragamo.com

7

Andy Warhol
„Diamond Dust Shoes (Random)“, 1980

Andy Warhol begann seine künst­le­ri­sche Karriere als Illus­tra­tor und spezia­li­sierte sich auf das Zeich­nen von Damen­schu­hen. Im Jahr 1955 beauf­tragte ihn der schwä­chelnde Schuh­her­stel­ler I. Miller mit der Gestal­tung seiner Produkt­wer­bung. Anhand aufse­hen­er­re­gen­der Illus­tra­tio­nen gelang Warhol ein Rebran­ding des Unter­neh­mens, das sich erneut als führen­der Anbie­ter im Bereich der Schuh­mode etablie­ren konnte. Während seiner gesam­ten Karriere nutzte der Künst­ler immer wieder Schuhe als Motive in Colla­gen, Foto­gra­fien und auch Sieb­dru­cken. 1980 schuf er die Werk­se­rie „Diamond Dust Shoes“ mit Darstel­lun­gen ein- und mehr­far­bi­ger Pumps, ange­ord­net in verschie­de­nen Konstel­la­tio­nen. Seine Tech­nik, Glas- und Stein­pul­ver auf die Lein­wand aufzu­tra­gen, verlieh den einzel­nen Schuh­mo­del­len einen glit­zern­den, glamou­rö­sen Effekt. Warhol expe­ri­men­tierte eben­falls mit der Verwen­dung echter pulve­ri­sier­ter Diaman­ten, doch erwies sich das Finish als allzu stumpf. Die Bezeich­nung jedoch blieb.

Andy Warhol, „Diamond Dust Shoes“, 1980

8

Mona Hatoum
„Roadworks“ (Standbild der Performance), 1985

Bei ihrer 30 Minu­ten langen Perfor­mance „Road­works“ lief die Multi­me­dia­künst­le­rin Mona Hatoum 1985 barfuß über die Bürger­steige des Londo­ner Stadt­teils Brix­ton und zog dabei schwarze Doc-Martens-Stie­fel hinter sich her, die sie an ihren Knöcheln fest­ge­bun­den hatte. Vor der Gentri­fi­zie­rung bildete Brix­ton noch ein bunt gemisch­tes Arbei­ter*innen­vier­tel. Zu jener Zeit nahm die örtli­che Poli­zei gezielt kari­bi­sche und Schwarze Bewoh­ner*innen ins Visier, indem sie unver­hält­nis­mä­ßig viele spon­tane Durch­su­chun­gen bei ihnen durch­führte. Die Situa­tion eska­lierte 1981 im Brix­ton-Aufstand, in dessen Verlauf Hunderte Menschen verletzt und zahl­rei­che Sach­be­schä­di­gun­gen ange­rich­tet wurden. Hato­ums Perfor­mance entstand in direk­ter Reak­tion auf die dama­li­gen Gescheh­nisse. Ihre bloßen Füße verwei­sen auf die Verletz­lich­keit und den fehlen­den Schutz der Opfer von Poli­zei­b­ru­ta­li­tät sowie von insti­tu­tio­na­li­sier­tem Rassis­mus. Die Doc-Martens-Stie­fel veran­schau­li­chen hier das Agie­ren des Poli­zei­ap­pa­rats – sie folgen Schritt für Schritt und voll­zie­hen jede Bewe­gung nach.

Mona Hatoum, „Roadworks“ (Standbild der Performance), 1985
Image via tate.org.uk

9

Marina Abramović
„Shoes for Departure“, 1991

In den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren nahm Marina Abra­mović eine Werk­reihe von Objek­ten in Angriff, die um Halb­edel­steine und ihre meta­phy­si­schen Eigen­schaf­ten kreis­ten. Sie lud das Publi­kum dazu ein, mit ihren „tran­si­to­ri­schen Objek­ten“ zu inter­agie­ren und somit im Rahmen ihrer künst­le­ri­schen Metho­dik erst­mals selbst aktiv zu werden. Abra­movićs „Shoes For Depar­ture“ sind aus massi­ven brasi­lia­ni­schen Amethys­ten heraus­ge­ar­bei­tet. Die unbe­weg­li­chen, 70 Kilo­gramm schwe­ren Schuhe dienen als Hilfs­mit­tel der Tele­por­ta­tion. Hierzu erhielt das Publi­kum folgende Benut­zungs­an­wei­sung: „Mit bloßen Füßen in die Schuhe hinein­stel­len. Die Augen schlie­ßen. Bewe­gungs­los verhar­ren. Star­ten.“ Zusätz­lich zu den Schu­hen schuf die Künst­le­rin eben­falls einen Stuhl und einen Spie­gel, die anhand ähnli­cher Prin­zi­pien funk­tio­nie­ren.

Marina Abramović, „Shoes for Departure“, 1991
Image via stedelijk.nl

10

Can Togay und Gyula Pauer
„Schuhe am Donauufer“, 2005

Sech­zig Paar altmo­di­sche Schuhe, nach­ge­bil­det in Bronze, säumen das Donau­ufer unweit des Buda­pes­ter Parla­ments­ge­bäu­des: Die Arbeit „Schuhe am Donau­ufer“ wurde von dem Filme­ma­cher Can Togay konzi­piert und von dem Bild­hauer Gyula Pauer ausge­führt. Sie entstand als Mahn­mal für die Tausen­den Opfer der rechts­ex­tre­men, ultra­na­tio­na­lis­ti­schen Pfeil­kreuz­ler­par­tei, die 1944/45 gegen Ende des Zwei­ten Welt­kriegs in Ungarn an der Macht war. Die Miliz ging gegen Jüd*innen, Rom*nja und weitere ethni­sche Minder­hei­ten vor sowie gegen alle, die sich dem Regime wider­setz­ten. Vor ihrer Hinrich­tung wurden die Opfer noch ange­wie­sen, die Schuhe auszu­zie­hen, die während des Krie­ges ein begehr­tes Gebrauchs­gut waren und höhe­ren Wert hatten als ihr Leben. Nach der Ermor­dung durch ein Erschie­ßungs­kom­mando wurden die Leichen in den Fluss gewor­fen. Die leeren Schuhe bilden eine ernüch­ternde Mahnung an die Bruta­li­tät und Miss­ach­tung mensch­li­chen Lebens im Holo­caust.

Can Togay und Gyula Pauer, „Schuhe am Donauufer“, 2005

11

Ndidi Dike
„How Much Am I Worth?“, 2015

Ndidi Dike ist eine der einfluss­reichs­ten Instal­la­ti­ons­künst­le­rin­nen Nige­rias. Während ihrer über 40 Jahre dauern­den Karriere als Künst­le­rin und Kulturak­ti­vis­tin hat sie sich des Mittels der Kunst bedient, um die drän­gends­ten poli­ti­schen Fragen der nige­ria­ni­schen Gesell­schaft zu adres­sie­ren. Dikes bewe­gende Instal­la­tion „How Much Am I Worth?“ ist den 276 Mädchen gewid­met, die 2014 von der Terror­gruppe Boko Haram aus der Chibok Secon­dary School entführt wurden. Ein Stock­bett aus Metall, bespannnt mit Draht­ge­flech­ten aus Patro­nen­hül­sen, ist umge­ben von Flip­flops. Ange­ord­net in Form eines Heili­gen­scheins, legen diese stumm Zeug­nis ab von den unsag­ba­ren Dingen, die sich auf den Betten abspie­len. Anhand entsorg­ter Flip­flops macht Dike aufmerk­sam auf das Problem der Kinder­hei­rat und auf die allge­meine Miss­ach­tung von Frauen und Kindern in der patri­ar­cha­len Gesell­schaft Nige­rias. Die Betrach­ten­den dieser Arbeit werden konfron­tiert mit dem unbe­que­men Gegen­stück zur kollek­ti­ven Erin­ne­rung: mit kollek­ti­ver Amne­sie. Laut Anga­ben von Amnesty Inter­na­tio­nal wurden im Jahr 2024 noch 82 der aus Chibok entführ­ten Mädchen vermisst und etwa 1.400 weitere Kinder bei nach­fol­gen­den Terror­an­schlä­gen verschleppt.

Ndidi Dike, „How Much Am I Worth?“, 2015

12

Jo Cope
„Walking on Water“ (Standbild der Performance), 2021

Die Konzept­künst­le­rin und Mode­de­si­gne­rin Jo Cope widmet sich in ihrer künst­le­ri­schen Praxis der Geschichte des Schuhs und seinen symbo­li­schen Ausdrucks­mög­lich­kei­ten. Schuhe sind für sie ein Mittel der Kommu­ni­ka­tion und zugleich ein Werk­zeug zur Erfor­schung von Aspek­ten des mensch­li­chen Daseins. Im Jahr 2021 wurde Cope einge­la­den, eine orts­spe­zi­fi­sche Perfor­mance für die Design-Bien­nale in Vene­dig zu entwi­ckeln. Seit Jahr­hun­der­ten bereits wird Vene­dig mit Vornehm­heit und Luxus asso­zi­iert, doch ermög­licht wurde diese Sonder­stel­lung erst durch Arbei­ter*innen, die die Stadt besie­deln, seit die ersten Holz­pfähle in den Boden der Lagune gerammt wurden. Um diese über­se­he­nen Prot­ago­nist*innen Vene­digs ins Licht zu rücken, konzi­pierte Cope die Perfor­mance „Walking on Water“, die von der Herstel­lung der „friulane“ handelt – Samt­pan­tof­feln mit weicher Sohle, die tradi­tio­nell von Kunst­hand­wer­ke­rin­nen gefer­tigt wurden. Dabei arbei­tete die Künst­le­rin mit Schuh­ma­cher*innen des Unter­neh­mens Piedàterre zusam­men, der ältes­ten „friulane“-Manu­fak­tur der Stadt. Die Perfor­mance voll­zieht die Geschichte des Slip­pers nach und zeigt, wie er dank der Tätig­keit von Frauen aus der Arbei­te­rin­nen­klasse zu einem Sinn­bild für Vene­dig wurde.

Jo Cope, „Walking on Water“ (Standbild der Performance), 2021
Foto: Veronika Motulko; Image via venicedesignbiennial.org

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