The Season of the Witch

28.10.2024

7 min Lesezeit

Autor*in:
Daniel Urban
Margaret Haines

Margaret Haines präsentiert im Double Feature ihre Videoarbeit „On Air: Purity, Corruption & Pollution“ (2024). In Anlehnung an das Leben von Johanna von Orléans und den Ideen der Okkultistin Cameron kreist ihr spekulativer SciFi-Film um die Vorstellung eines weiblichen Messias.

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Paris, 2047. Die junge Char­lot (Jette Loona Herma­nis) betritt ein spär­lich einge­rich­te­tes Zimmer, in ihrer Hand ein großes Schwert und ein Wurf­mes­ser. Auf einer Matratze direkt auf dem Boden von ihr liegt Boris (Joseph Wood), der sie mit ausdrucks­lo­sen Augen anschaut. Kurze Zeit später wird sich sein Blut quer durch den Raum vertei­len und seine Klei­dung durch­trän­ken.

Margaret Haines, On Air: Purity, Corruption & Pollution, 2024, Filmstill
© the artist

Wie in den großen Sagen der Mensch­heits­ge­schichte erfüllt sich in Marga­ret Haines‘ Film „On Air: Purity, Corrup­tion & Pollu­tion“ (2024) durch jene Gewalt­tat eine Prophe­zei­ung. Boris, so erfah­ren wir von der Off-Erzäh­le­rin, ist der mythi­sche Zwil­lings­bru­der Char­lots, von dem sie direkt nach ihrer Geburt getrennt wurde. Bei unter­schied­li­chen Eltern aufge­wach­sen, entwi­ckeln sich die Lebens­läufe der Geschwis­ter ohne Kennt­nis vonein­an­der diame­tral entge­gen­ge­setzt. Während Char­lot nichts von der Prophe­zei­ung weiß, die ihre Adop­tiv­mut­ter einst über sie erhal­ten hat, tritt sie unwis­send und über Umwege den ihr vorbe­stimm­ten Weg an.

Zwischen (Öko)Feminismus, Okkultismus und Prophetien

Anti-Atom­kraft-Bewe­gung, fins­tere Böse­wichte, Menschen­händ­ler­ringe, (Öko-)Femi­nis­mus, Okkul­tis­mus, Hexen­ver­bren­nun­gen, Prophe­tien, Trans­hu­ma­nis­mus und Biohacking – Marga­ret Haines aktu­ellste Arbeit entspinnt sich zu einem asso­zia­ti­ons­rei­chen, bild- wie tonge­wal­ti­gen SciFi-Meta-Kosmos. Der Film ist stark geprägt durch Haines‘ seit über zehn Jahren anhal­ten­des Inter­esse an Marjo­rie Came­ron Parsons Kimmel, oft ledig­lich Came­ron genannt. Die illus­tre Künst­le­rin, Poetin, Schau­spie­le­rin und Okkul­tis­tin ist, wenn über­haupt, eini­gen vermut­lich als Prot­ago­nis­tin in Kenneth Angers „Inau­gu­ra­tion of the Plea­sure Dome“ bekannt. Bis zu dessen Tod war sie mit dem Rake­ten­an­triebs­for­scher Jack Parsons, seiner­seits über­zeug­ter Anhän­ger der okkul­ten Lehren Aleis­ter Crow­leys, verhei­ra­tet, und beschäf­tigte sich selbst inten­siv mit Okkul­tis­mus und Esote­rik. Deren Motive von Sexu­alma­gie und mythi­schen Prophe­zei­un­gen sich dann wiederum in ihrer künst­le­ri­schen Arbeit wieder­fin­den lassen, die zu ihren Lebzei­ten nie beson­dere Aufmerk­sam­keit erhielt und erst in jünge­rer Zeit wieder­ent­deckt wird. (Eine zu Lebzei­ten Came­rons kura­tierte Ausstel­lung wurde von der Sitten­po­li­zei gestürmt, der Kura­tor fest­ge­nom­men.)

Margaret Haines, On Air: Purity, Corruption & Pollution, 2024, Filmstill
© the artist
Margaret Haines, On Air: Purity, Corruption & Pollution, 2024, Filmstill
© the artist
Carl Theodor Dreyer, La Passion de Jeanne d’Arc, 1928
Image via moviebreak.de

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Als Haines 2009 durch Kenneth Angers Film auf Came­ron aufmerk­sam wird, eröff­net sich ihr eine neue Welt: „I’m offe­red a window into […] The Women Who Were Left in the Shadows”, schreibt die Künst­le­rin in einem Essay zu ihrem Buch „Love With Stran­ger X Coco”, in dem sie verschie­dene Tropen weib­li­chen Iden­ti­tät erforscht. In „On Air: Purity, Corrup­tion & Pollu­tion“ tauchen auch Verweise zu der fran­zö­si­schen Wider­stands­kämp­fe­rin Jeanne d’Arc auf, die ihrer­seits von der katho­li­schen Kirche als Häre­ti­ke­rin auf dem Schei­ter­hau­fen verbrannt wurde, mitt­ler­weile dort aber als Jung­frau und Heilige verehrt wird. In Form einer speku­la­ti­ven Fiktion kreiert Haines in ihrem Film so einen asso­zia­ti­ven Brenn­punkt auf jene Frauen, die in der patri­ar­chal gepräg­ten Welt in die Obsku­ri­tät verbannt wurden. Gleich­zei­tig lassen sich die mytho­lo­gi­schen Anspie­lun­gen in der Arbeit als Versuch einer alter­na­ti­ven femi­nis­ti­schen Geschichts­schrei­bung verste­hen.

„I’m offe­red a window into […] The Women Who Were Left in the Shadows“

Margaret Haines

Carl Theodor Dreyers „La Passion de Jeanne d’Arc“

Während Marga­ret Haines gerade am Ende ihres Films expli­zit auf das kurze Leben der Jeanne d’Arc rekur­riert, widmet sich Carl Theo­dor Drey­ers 1928 veröf­fent­lichte Film „La Passion de Jeanne d’Arc“ ausführ­lich mit deren Leidens­ge­schichte. Im Rahmen des hundert­jäh­ri­gen Krie­ges zwischen Frank­reich und England beein­flusste die junge Frau den Kriegs­ver­lauf entschei­dend, nach­dem sie zunächst den fran­zö­si­schen Kron­prin­zen von ihren gött­li­chen Visio­nen über das Schick­sal Frank­reichs über­zeugte und anschlie­ßend auch mili­tä­risch erfolg­reich aktiv war, beispiels­weise bei der Vertrei­bung der Englän­der aus Orléans. Drey­ers Stumm­film konzen­triert sich jedoch ganz auf den Inqui­si­ti­ons­pro­zess gegen Jeanne d’Arcs (Renée Falco­netti), den der Bischof von Beau­vais gegen sie anstrebte. Das Skript schrieb Dreyer nach über einjäh­ri­ger Recher­che, es basiert auf den origi­na­len Tran­skrip­ten des Prozes­ses, der sich über 29 Verhöre erstreckte.

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Carl Theodor Dreyers „La Passion de Jeanne d’Arc“

Der Film gilt als ein Meilen­stein der Film­ge­schichte und beein­druckt auch heute noch durch die exqui­site Kame­ra­ar­beit und beson­ders durch Renée Falco­net­tis Schau­spiel, in deren Gesicht sich ganze Welten abzu­spie­len schei­nen. Dreyer verknüpft visu­ell und insze­na­to­risch die Passion Jeanne D’Arcs mit jener Jesu Christi, derweil engli­sche Solda­ten sowie die kirch­li­chen Geist­li­chen als dessen Peini­ger zu erken­nen sind. Nicht zuletzt deshalb wurde der Film nach seiner Veröf­fent­li­chung wohl auch in England verbo­ten, derweil auf Drän­gen des fran­zö­si­schen Erzbi­schofs der in Frank­reich produ­zierte Film durch Drey­ers Produk­ti­ons­firma immer wieder umge­schnit­ten wurde. „Nowhere is para­dise“, verkün­det Char­lot 2047 in Marga­ret Haines‘ „On Air: Purity, Corrup­tion & Pollu­tion“, anhal­tend die „exclu­sion of women from sacred“. Das zeigt sich bis heute: Jeanne D’Arc wurde 1920, knapp 500 Jahre nach ihrer Ermor­dung, heilig­ge­spro­chen.

Double Feature

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