„Der einzige Unterschied zwischen mir und einem Verrückten besteht darin, dass ich nicht verrückt bin“, sagte Salvador Dalí (1904 Figueres – 1989 Figueres) im Jahr 1934 über sich selbst. Dem jungen Dalí, der seine Ausbildung an der Kunstakademie von San Fernando in Madrid absolviert hatte, waren die Werke der Pariser Surrealisten schon früh durch Fotos und Texte bekannt.
Während eines Paris-Aufenthaltes im Jahr 1929 anlässlich Luis Buñuels Film „Un chien andalou“, zu dem Dalí das Drehbuch geschrieben hatte, wurde er von Miró schließlich in den Kreis der Surrealisten eingeführt. Dort lernte Dalí die damalige Frau Paul Éluards und „Muse der Surrealisten“, Gala (Elena Diakonova), kennen, die er später heiraten sollte.
In den folgenden fünf Jahren war Dalí ein wichtiger Teil der surrealistischen Kerngruppe. Er verfasste Essays, die seine Kunstauffassung veranschaulichten, wie zum Beispiel „La femme visible / Die sichtbare Frau“ (1930) und „Objets surréalistes / Surrealistische Objekte“ (1931). Seine Gedanken über die „paranoisch-kritische Methode“ entwickelte er 1933 anhand von Jean-François Millets Gemälde „L‘Angélus / Angelusläuten“ (1857–1859) und veröffentlichte sie in der ersten Nummer des Minotaure. 1934 wurde Dalí offiziell von den Surrealisten, nicht zuletzt wegen seiner Weigerung, sich an politisch linksgerichteten Aktivitäten zu beteiligen, ausgeschlossen. Doch er stellte seine Werke noch fünf weitere Jahre gemeinsam mit ihnen aus.
Essthematik und Schuhfetischismus
Dalís Gemälde zeigen häufig Figuren, die in doppelten Vorstellungsbildern angelegt sind. Sie beinhalten ohne die geringste figürliche oder anatomische Veränderung gleichzeitig die Darstellung eines anderen, davon völlig verschiedenen Gegenstandes. Ebenso bauen seine surrealistischen Objekte durch ihre mehrschichtigen Interpretationsebenen eine seltsam anziehende und zugleich nur schwer entschlüsselbare Beziehung zu uns auf. Dieser stark symbolisch aufgeladene Reiz, der auch in dem Werk „Téléphone-homard ou Téléphone aphrodisiaque / Hummer- oder aphrodisisches Telefon“, 1936 enthalten ist, verbindet erotische, traumhafte und konkret real fassbare Elemente miteinander.
Das gilt auch für den „Table aphrodisiaque / Aphrodisischen Tisch“, auf dem das Aphrodisische Telefon gemeinsam mit Gläsern und einer Flasche Pfefferminzlikör steht, dem Dalí „aphrodisische Kräfte“ nachsagte. Essbare, trinkbare und im weitesten Sinn „einnehmbare“ Dinge gehörten zum festen Repertoire der surrealistischen Objekte und finden sich nicht nur in Dalís Werken wieder. So griff beispielsweise auch Man Ray die Thematik vermeintlich essbarer Objekte auf, wie in seinem Werk „Blue Bread (Pain peint) / Blaues Brot (Bemaltes Brot)“ zu sehen ist. Im „Objet escatologique de fonctionnement symbolique (Le soulier de Gala) / Skatologisches Objekt mit symbolischer Funktion (Galas Schuh)“ spielt Dalí unter Einbezug der Essthematik auf einen weitverbreiteten sexuellen Fetisch an, den Schuhfetischismus.
Ein Stück Zucker, auf das ein Schuh gemalt wurde, kann mittels eines sich auf und ab bewegbaren Seils in ein mit Milch gefülltes Glas getaucht werden, um so die Auflösung des Zuckers und damit auch die Auflösung des Schuhbildes beobachten zu können. Das Milchglas steht in einer weichgeformten, exkrementfarbenen Masse in einem roten Damenschuh, an dem ein kleines erotisches Foto befestigt ist. An einem weiteren Zuckerstück kleben Schamhaare, daneben liegt ein Löffel, mit dem Schrotkörner im Inneren des Schuhs aufgerührt werden sollen.
Körper mit Schubladen
Das Objekt fordert damit den Betrachter auf, es zu benutzen, um so zum handelnden Teil einer Inszenierung zu werden. Dalí selbst sagte über seine Objekte: „Das surrealistische Objekt sollte absolut unnütz sein, sowohl vom praktischen wie vom rationalen Standpunkt aus.“
Anfangs hatte Dalí die Symbole seiner Werke aus persönlichen Quellen wie Kindheitserinnerungen und Träumen gewählt. Ab den frühen 1930er-Jahren stammten sie zunehmend aus einer Art archetypischem Fundus. Hierzu gehört auch die „Venus de Milo aux tiroirs / Venus von Milo mit Schubladen“. Die absichtlich wie Gips aussehende Bronzestatue der Aphrodite geht auf eine der berühmtesten Plastiken der Antike zurück.
Das mit dem weiblichen Körper in Verbindung gebrachte Schubladenmotiv, hier mit Pelzquasten ergänzt, findet sich auch in Dalís Gemälden und seinen Arbeiten auf Papier wieder.
Angeregt durch Sigmund Freud wollte Dalí einen Körper mit Schubladen gestalten, der „die christliche Erfindung der Gewissensbisse noch nicht gekannt hat“. Die Schriften Jacques Lacans und Freuds, den Dalí 1938 kurz vor dessen Tod in London besuchte, ihre Gedanken über Paranoia, Traumdeutung und Psychoanalyse stellen wichtige Bezugspunkte dar, die im Hinblick auf Dalí stets mitgedacht werden müssen.