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SURREALE SERIE – MAN RAY

06.08.2012

5 min Lesezeit

Letzter Teil der Surrealen Serie: Man Ray, Künstler, Fotograf und Regisseur, hat nicht nur den Dadaismus entscheidend beeinflusst. Auch den Surrealismus prägt der US-Amerikaner mit seinen Ideen.

Ob der Papst Eselsohren bekommt, Martin Luther zum Instrument des Teufels wird oder Nicholas Sarkozy eine lange Nase wächst – Karikaturen haben eine lange Tradition. Trotz Größen wie Honoré Daumier oder James Gilray gilt die nicht selten politische Bildsatire auch heute noch als das ‚enfant terrible’ der Kunstgeschichte. Und das, obwohl kein geringerer als Leonardo da Vinci bereits seine Fähigkeiten damit schärfte, Köpfe und Körper mit extremen Physiognomien zu zeichnen. Es galt ihm als geeignete Fingerübung, außergewöhnliche, extreme, aber auch hässliche Gesichtszüge im Bild herauszustellen.1915 lernte Man Ray (1890 Philadelphia – 1976 Paris) den Sammler Walter Arensberg kennen, der ihn mit Marcel Duchamp bekannt machte. Beide Künstler verband seitdem eine inspirierende Freundschaft.

So gaben sie 1921 die Zeitschrift New York Dada heraus, nachdem sie im Jahr zuvor mit Katherine Dreier die Société Anonyme Inc. in New York gegründet hatten. Duchamp führte Man Ray 1921 in die Pariser Künstlerkreise ein. Man Ray gehörte bald zum Kern der Bewegung und nahm an allen wichtigen surrealistischen Gruppenausstellungen in Paris teil, so auch 1925 an der ersten Ausstellung der Surrealisten in der Galerie Pierre und 1938 an der Exposition internationale du surréalisme in der Galerie des Beaux-Arts.

Nagel-Bügeleisen als Geschenk

Bereits vor seiner Ankunft in Paris schuf Man Ray das geheimnisvolle „Objekt L’Enigme d’Isidore Ducasse / Das Rätsel von Isidore Ducasse“, das aus einer Nähmaschine bestehen könnte, die in eine Decke eingewickelt und mit einem Seil verschnürt ist. Das Objekt spielt auf Lautréamont und das von ihm in den Gesängen des Maldoror verfasste Gleichnis an: „Schön wie die Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf einem Seziertisch“.

Man Ray, L‘énigme d‘Isidore Ducasse (Das Rätsel von Isidore Ducasse), 1920/1972 Nähmaschine, Wolle, Schnur 45 x 58 x 23 cm Marion Meyer Contemporain Fotografie: © Serge Veignant / VG-Bild-Kunst Bonn (2010)

Das im Titel enthaltene Wort Rätsel („enigme“) verweist auf Giorgio de Chirico, der diesen Begriff für Titel seiner metaphysischen Gemälde benutzte und Figuren malte, die verhüllt oder vom Betrachter abgewandt waren. Das Thema geht zurück auf Arnold Böcklin und wird mehrfach auch von anderen Surrealisten wie Ernst, Magritte, und Dalí aufgegriffen.

Bei der Eröffnung seiner ersten Einzelausstellung in Paris lernte Man Ray 1921 in der Galerie Six den Komponisten Erik Satie kennen und schuf im Anschluss an diese Begegnung das Objekt „Cadeau / Geschenk“. Die erotische und zugleich Gewalt assoziierende Dimension des Bügeleisens andeutend, an dessen Unterseiten sich Nägel befinden, sagte Man Ray: „Man kann damit ein Kleid in Fetzen reißen.“

„Lass mich in Ruhe“

Cadeau gehört, wie auch „Emak Bakia“ zu den frühen Objekten Man Rays, mit denen er begann, gegensätzliche Gegenstände und Materialien zu einer Skulptur zu kombinieren. „Emak Bakia“ bedeutet im Baskischen „lass mich in Ruhe“. Zugleich war dies der Name der Villa in Biarritz, in der Man Ray den Sommer 1926 verbrachte, und auch der Titel eines Films, den er im selben Jahr drehte. Die Skulptur besteht aus dem Hals eines Cellos und Rosshaaren als Saiten.

Auch die Idee des „Indestructible Object / Unzerstörbares Objekt“ gehört in diese Zeit. Auf einem Metronom ist das Foto eines Auges befestigt. Man Ray sagte, er habe das Objekt benutzt, um im Takt des Tickens zu arbeiten. Das Auge sollte die Illusion erzeugen, beim Malen beobachtet zu werden und steht zugleich für Man Ray selbst. Als das erste, 1922 geschaffene Objekt irgendwann stehen blieb, wurde es kurzerhand vom Künstler zerschlagen. Man Ray griff das Thema im Abstand mehrerer Jahre regelmäßig in seinem Œuvre wieder auf – was es vom „zerstörten“ in ein „unzerstörbares“ Objekt verwandelte.

Nahrung und Sexualität

1936 nahm Man Ray an der Exposition surréaliste d’objets in der Galerie Charles Ratton in Paris teil und stellte dort die „Lanterne sourde et muette / Laterne taub und stumm“ und „Ce qui manque à nous tous / Was uns allen fehlt“ aus. Bei letzterem handelt es sich um eine Tonpfeife, aus der eine Seifenblase aus Glas aufsteigt.

Seifenblasenmachen gehört zu den Lieblingsspielen von Kindern. Das verlorene Glück der Kindheit wird hier poetisch in ein Kunstwerk und damit zugleich zum Spielzeug für Erwachsene transformiert. Durch die Übertragung der schnell vergänglichen Seifenblase in Glas kommt der Wunsch zum Ausdruck, das, was uns allen fehlt, zu manifestieren – ein wie das Glas zerbrechliches und somit nahezu unmögliches Unterfangen.

In den beiden späten Objekten „Mr. Knife and Mrs. Fork / Herr Messer und Frau Gabel“ und „Blue Bread – Favorite Food of the Blue Birds / Blaues Brot – Leibspeise der blauen Vögel“, auch „Pain peint / Bemaltes Brot“ genannt, greift Man Ray das Thema Nahrung auf, das in vielen surrealistischen Objekten und Bildern vorkommt und mit dem Thema Sexualität einhergeht.

In beiden Objekten Man Rays ist uns die Nahrung nicht zugänglich, zum einen, weil der Weg zu den Holzkugeln, die Erbsen symbolisieren, durch ein Netz abgeschirmt wird, zum anderen, da die männlich besetzte Farbe Blau als untypische Farbe organischer Speisen davor warnt, das möglicherweise „giftige“ weibliche Brot zu essen. Beide Objekte können als künstlerischer Ausdruck einer unzugänglichen oder vergifteten Sexualität interpretiert werden, die zugleich aber, im Sinne eines lebensnotwendigen Grundnahrungsmittels, ein essenzielles menschliches Bedürfnis darstellt.