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SURREALE SERIE – EILEEN AGAR

06.08.2012

4 min Lesezeit

Das SCHIRN Magazin stellt die Künstler und Objekte der Ausstellung „Surreale Dinge“ vor. Heute: Die Britin Eileen Agar und ihre traumhaft-ironischen Collagen.

Eileen Agar zählt zu den bedeutendsten englischen Künstlerinnen der Avantgarde. Sie fasste das Stilmittel der Montage sehr weit und übertrug es auch auf andere künstlerische Medien: auf Malerei, Skulptur, Fotografie und jegliche Art von Objekten. Agar mischte, oftmals verbunden mit einem eigenen ironischen Blick, die Gattungen und Materialien und schuf höchst originelle Arbeiten, die sich jeder eindeutigen Klassifizierung, auch der des Surrealismus, entziehen.

So trat Eileen Agar zwar 1933 der Londoner Gruppe bei, zur Surrealistin avancierte sie aber erst 1936 durch die Beteiligung an der großen internationalen Surrealisten-Ausstellung in London, zu der sie von den Organisatoren Herbert Read und Roland Penrose eingeladen worden war.

Sie zeigte acht Arbeiten und war die einzige englische Künstlerin der Schau. Gerade auch ihr Werk belegt, dass der Surrealismus keinesfalls ein einheitlicher Stil war, sondern eine weltanschauliche, literarisch-künstlerische Bewegung. Dazu gehörte, wer sich in der Gruppe engagierte, mit ausstellte oder in ihren Publikationen veröffentlichte.

VOM KUBISMUS BEEINFLUSST

Geboren 1899 in Buenos Aires wuchs die Tochter eines vermögenden Kaufmanns in England auf, studierte unter anderem in London an der Slade School of Fine Arts und dann in Paris, wohin sie mit dem ungarischen Schriftsteller Joseph Bard, ihrem späteren zweiten Ehemann, 1928 zog. Vor allem der Kubismus von František Foltýn beeinflusste ihre Kunst nachhaltig, weniger der Surrealismus, obwohl sie einige der Protagonisten wie Éluard und Breton schon damals kennenlernte. 1930 kehrte Eileen Agar nach London zurück. Mit Penrose und Lee Miller, die von ihr einige ihrer schönsten Fotografien machte, verband sie ab 1937 eine lebenslange Freundschaft.

Die drei unterschiedlichen Objekte in der Ausstellung zeigen beispielhaft die Spannbreite von Eileen Agars Collagen. Der frühe, in vier Versionen entstandene Kopf von 1934, den eine künstlerische Verwandtschaft mit Hannah Höchs Dada-Puppen wie auch Sophie Taeubers collageartig bemalten Dada-Köpfen verbindet, stellt dabei die interessanteste Arbeit dar.

Die Künstlerin verwendete mit dem Gipsrohling wie in vielen ihrer Werke auch hier einen vorgefertigten Gegenstand, den sie durch Bemalung, durch collagierte Papierteilchen und Fasern sowie ornamentale Ritzungen in einen rätselhaften „Angel of Mercy / Engel der Gnade“ verwandelte. Allerdings scheint er diese Bezeichnung durch seinen »gnadenlosen« Ausdruck geradezu zu verhöhnen.

Damit aber entspricht er genau Elias Canettis Definition vom Wesen der Gnade als einem »sehr hohen und konzentrierten Akt der Macht« in einer Weltordnung, in der Verbote nur dazu dienen, die Macht derer zu festigen, die ihre Übertretung bestrafen und dann vergeben können. Diese in der Kopfskulptur präsente, gewalttätige Macht erschien der Künstlerin ganz offensichtlich zutiefst suspekt. Vor allem auch deshalb verlangte dieser »Engel« nach einem Gegenpart: dem etwas später entstandenen, idolhaften „Angel of Anarchy / Engel der Anarchie“, ein in bunte Seidenstoffe eingenähter Gipskopf, geschmückt mit Federbüschen und Perlenschnüren.

In dem 1935 entstandenen Objekt, einer Mischung aus naturkundlichem Sammelkasten und Miniaturdiorama, arrangierte die Künstlerin aus Fundstücken aus dem Meer eine traumhafte Unterwasserwelt.

IRONISCHES POTENZIAL DER COLLAGE

Zwischen den Korallen schwebt wie ein blauer Fisch das heilige Udjat-Auge, eines der populärsten Amulette im Alten Ägypten. Das wachsam schützende Auge verleiht der Szenerie eine mythisch-zeitlose Anmutung, bildet aber erkennbar einen Fremdkörper. Eileen Agar visualisierte hier die surrealistische Idee vom unvermuteten Aufeinandertreffen unterschiedlicher Wirklichkeiten, für die Lautréamonts berühmter Satz von der „Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“ stand. Gleichzeitig fügte sie einem der zentralen Motive des Surrealismus, dem Auge, eine Variante hinzu.

Auch für „Vision of Rhythm / Vision von Rhythmus“ bediente sich die Künstlerin 1945 des beliebten Objét trouvé. Aber dem hehren Streben, durch zwei gegenläufig aufeinander montierte hakenähnliche Metallteile in den Komplementärfarben Rot und Grün den Eindruck einer makellosen rhythmischen Harmonie zu erzeugen, tanzt der kleine Kerzenleuchter wie ein anarchisches Teufelchen buchstäblich auf der Nase herum.

Wohl in keiner anderen Arbeit hat Eileen Agar das ironische Potenzial der Collage lustvoller und hintergründiger und mit solcher Leichtigkeit entfaltet. Im Spätwerk der Künstlerin mischten sich tachistische mit surrealen Elementen. Sie starb 1991 in London.