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SURREALE SERIE – ANDRÉ BRETON

06.08.2012

4 min Lesezeit

Kurator*in:
Ingrid Pfeiffer
Kein anderer Künstler hat die Entstehung und Entwicklung der surrealistischen Bewegung mehr geprägt als ihr Anführer André Breton. Sein Lebensmotto: die absolute Abweichung.

Aus einer Kaufmannsfamilie stammend, begann André Breton (1896 Tinchebray – 1966 Paris) 1915 ein Medizinstudium, das er aber nicht abschloss. Bereits 1913 lernte er den Schriftsteller Paul Valéry kennen und verfasste Lyrik im Geist Stéphane Mallarmés und des Symbolismus.

Während des Ersten Weltkriegs arbeitete Breton im Sanitätsdienst und freundete sich mit Jacques Vaché an, dessen geistreich-nihilistische Haltung ihn zeitlebens prägte. 1918 lernte er Guillaume Apollinaire kennen und setzte sich in den folgenden Jahren intensiv mit den Schriften Sigmund Freuds sowie mit der Poesie des Comte de Lautréamont auseinander.

1919 gründete er mit Louis Aragon und Philippe Soupault die Zeitschrift Littérature und traf Tristan Tzara, den Anführer der Dada-Bewegung in Zürich, der nach Paris gekommen war, um für Dada zu werben. Die Gruppe der Pariser Dadaisten erweiterte sich mit Max Ernst, Robert Desnos, René Crevel und Benjamin Péret und ging schrittweise zum Surrealismus über.

Gründungsakte des Surrealismus

Traumprotokolle im Sinne Freuds und die „écriture automatique“ flossen in Bretons 1924 verfasstes Manifeste du surréalisme ein. Im gleichen Jahr wurde er Mitherausgeber der Zeitschrift La Révolution surréaliste, die neben literarischen Inhalten zunehmend Politisches diskutierte, da viele Surrealisten in den 1920er-Jahren in die kommunistische Partei eintraten.

1928 verfasste Breton die Schrift „Le Surréalisme et la peinture“, nachdem sich neben den Literaten immer mehr bildende Künstler den Surrealisten angeschlossen hatten. Sein „Second manifeste du surréalisme“ erschien 1930 zu einem Zeitpunkt, als es bereits große Differenzen in der Gruppe gab und besonders Bretons als diktatorisch angeprangerter Führungsstil in die Kritik geriet.

Neben zahlreichen theoretischen Texten veröffentlichte Breton Romane wie „Nadja“ (1928) und „L’Amour fou“ (1937) sowie die „Anthologie de l’humour noir“ (1940). Sein bildkünstlerisches Werk begann in den 1920er-Jahren mit seiner Beteiligung an Cadavre-exquis-Zeichnungen. Ab den frühen 1930er-Jahren entstanden die Poème-Objets / Gedicht-Objekte, die in den verschiedenen surrealistischen Ausstellungen präsentiert wurden. Breton bezeichnete seine Objekte als „Kompositionen, die die Kräfte des Dichterischen und des Bildnerischen zu vereinen […] suchen.“

Die eher zweidimensional als dreidimensional konzipierten Poème-Objets bestehen meistens aus gefundenen Gegenständen, die zu einer Kompositionen zusammengefügt und mit Texten ergänzt wurden, wie auch im Fall des 1934 entstandenen „Le torrent automobile / Die Automobilesturzflut“, bei dem ein Taschenmesser mit einem Gedicht kombiniert wurde. Widersprüchliche, sich häufig im Sinn ausschließende Begriffe erzeugen hier den von Breton und den Surrealisten erwünschten Überraschungseffekt, der den Leser und Betrachter zu eigenen Gedankenassoziationen anregen soll.

Erwartung des Neubeginns
1941 flohen André Breton und Jacqueline Lamba mit finanzieller Unterstützung von Peggy Guggenheim zusammen mit Max Ernst und anderen Surrealisten in das amerikanische Exil nach New York, wo bereits Marcel Duchamp lebte. Im Exil setzte sich Breton vor allem mit präkolumbianischer Kunst und den Schriften des Frühsozialisten Charles Fourier auseinander.

In der Hoffnung auf einen gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Neubeginn kehrte er 1946 nach Paris zurück. 1947 gründete er zusammen mit Jean Dubuffet die Compagnie de l’Art Brut, um die Kunst von Außenseitern zu fördern. Im gleichen Jahr organisierte Breton in den Räumen der Galerie Maeght in Paris die Ausstellung Le Surréalisme en 1947, die aber nicht an den Erfolg der Ausstellungen der 1930er-Jahre anknüpfen konnte.

Im Rahmen der „Exposition inteRnatiOnale du Surréalisme“ (kurz: EROS) 1959 in der Galerie Cordier in Paris entstand Bretons Skulptur „Minuit juste / Schlag Mitternacht“. Die Oberfläche einer phallischen Form aus einer dunklen festen Holzart weist unregelmäßige Bearbeitungsspuren auf. Zwei gekreuzte Strumpfhalter geben der ansonsten schlichten und abstrakten Komposition einen erotisch-erzählerischen Charakter.

Ebenfalls aus Holz besteht die große Skulptur von 1962, „Le grand tamanoir / Der große Ameisenbär“, die unterschiedliche Assoziationen von Balance und Gefährdung auslöst. Sie erinnert sehr an Alexander Calders Objekt „Requin et baleine / Haifisch und Walfisch“ von 1933, heute im Centre Pompidou in Paris. 1965, ein Jahr vor Bretons Tod, fand die letzte surrealistische Ausstellung in Paris statt, L’écart absolu (Die absolute Abweichung), ein Titel, der vom Theoretiker Fourier stammte und der Bretons Lebensmotto entsprach.