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SPINAT AHOI!

06.08.2012

4 min Lesezeit

Dem us-amerikanischen Comichelden Popeye widmete Jeff Koons eine ganze Werkserie. Wir haben den vielleicht berühmtesten Matrosen unter die Lupe genommen.

Wer Spinat isst, wird groß und stark: ein Mythos, an den Kinder heute noch glauben. Geprägt hat ihn Popeye. Sie erinnern sich? Der Mann mit der weißen Matrosenmütze, der Pfeife im Mundwinkel und den gigantisch starken Unterarmen verschlingt eine Dose Spinat, sobald Gefahr droht, gewinnt so Superkräfte und besiegt Bösewichte mit Leichtigkeit. Jeff Koons benannte eine ganze Werkserie nach dem Helden, seit 2002 wächst sie immer weiter. Neben bemalten Aluminium-Skulpturen, die wie Aufblasfiguren in Form von Delfinen, Krabben oder Affen aussehen, entstanden in der Serie auch großformatiger Ölgemälde. In der SCHIRN und im Liebieghaus sind jetzt ausgewählte Stücke der Serie zu sehen, darunter auch eine imposante Popeye-Skulptur aus Edelstahl mit transparenter Farbglasur.

Mit Superkräften den Weltfrieden sichern

Was steckt hinter der Popkultur-Ikone Popeye? Schon 1929 erfand Cartoonist Elzie Crisler Segar den etwas ungehobelten aber ideenreichen Matrosen. Seitdem begeistert er in Form gedruckter Comicstrips im Kino und im Fernsehen. Popeye ist einfach, aber moralisch. Mit seinen Superkräften kann er notfalls auch den Weltfrieden sichern, seine Heldentaten sind oft mit patriotischen Liedern wie dem Militärmarsch „Stars and Stripes Forever“ untermalt. Er verkörpert das klassische Selbstbild der USA als Weltpolizei. Nicht nur die Spinat-Anbauer lieben ihn.

Doch Popeye hat auch eine Schattenseite. Einige Filme wurden aus dem amerikanischen Fernsehen verbannt, bei YouTube kursieren sie noch: Einer davon stellt Dunkelhäutige als Kannibalen dar, ein anderer zeichnet ein rassistisches Stereotyp von Japanern. Nachdem Paramount Pictures 1941 die Fleischer Studios übernommen und die Famous Studios mit der Produktion beauftragt hatte, musste Popeye in einer Reihe von Propaganda-Kurzfilmen gegen Nazis und japanische Soldaten kämpfen. Auch dieses dunkle Kapitel in der Geschichte des Comichelden spielt in Koons’ Serie eine Rolle: Auf dem Gemälde „Popeye Train (Crab)“ aus dem Jahr 2008 zeigt eine Tätowierung auf seinem linkem Bizeps einen Panzer, der Edelstahl-Popeye trägt sie ebenfalls.

Koons’ Ikonografie ins Detail zerlegen

In den Gemälden der „Popeye“-Serie verwebt Koons Motive wie Kinderspielzeug und Comicszenen mit Illustrationen, die etwa in Form einer Dampflok auf technologischen Fortschritt verweisen, und mit Bildern von posierenden Erotikmodels. Mit Hilfe von Bildbearbeitungsprogrammen collagiert und überlagert er die Motive am Computer und lässt sie schließlich von Assistenten auf Leinwand übertragen. Das Ergebnis wirkt hyperrealistisch und ist doch von Hand gemalt – wie bei vielen seiner Skulpturen gaukelt der erste Eindruck auch in der Malerei falsche Tatsachen vor.

Es lohnt sich, vor Koons’ Gemälden zu verweilen, seine Ikonografie gedanklich ins Detail zu zerlegen und als Gesamtbild auf sich wirken zu lassen. Auf seinen Leinwänden geht es recht komplex zu, etwa bei „Olive Oyl“ aus dem Jahr 2003, benannt nach der dürren, im deutschen Sprachraum als „Olivia“ bekannten Dame, um die Popeye wirbt und die er immer wieder aus brenzligen Situationen rettet. Es dauert, bis man die einzelnen Bildebenen und so etwas wie eine Narrative ausgemacht hat.

„Beurteilungen aus der Welt schaffen“

Oberflächlich versprüht die „Popeye“-Serie gute Laune: ewig glückliche Gummi-Tweetys, ein unsterblicher Popeye, perfekte Silikonbrüste. Doch hier und da lassen Eisenketten und Maschendrahtzäune Unbehagen aufkommen. Und unter der Oberfläche spürt man es brodeln, schließlich trifft hier kindliche Unschuld auf erwachsenes Begehren, begegnet detailverliebte Handarbeit einer auf Gewinn ausgerichteten Massenproduktion. Popeye selbst steht für Konsumkultur, er gehörte zu den ersten Comicfiguren, die auf Merchandising-Artikel wie Spielzeug, Lampen oder T-Shirts verbreitet wurden.

Dieses Mit- und Nebeneinander fordert – unerwartete Bezüge herzustellen gehört eben zu Koons’ Spezialitäten. Dem Betrachter stellt er offen, was er damit anfängt. Und unter die Oberfläche zu tauchen ist interessant, aber nicht entscheidend. Denn Koons geht es darum, gerade sie zu legitimieren. Im Interview mit dem SCHIRN MAG sagte er: „Wenn ich diese Sachen mache, folge ich meinen eigenen Interessen. Aber ich suche auch einen Dialog mit den Menschen. Ich will ihnen vermitteln, dass die Dinge, die sie im Leben ansprechen, Dinge, die sie motivieren, in Ordnung sind. Ich will Beurteilungen aus der Welt schaffen.“ So komplex und zugleich einfach kann Kunst sein.