Spielfilm-Highlights
der Berlinale 2025
28.02.2025
9 min Lesezeit
Die 75. Berlinale zeigte einen auffälligen Hang zum Existenziellen, aber auch universal Verbindenden. Mutterschaft, zwischenmenschliche Beziehungen, Älterwerden und Krankheit standen im Fokus – und oftmals waren es Frauen, die die ganz großen Rollen spielten. Hier sind einige unserer Lieblingsspielfilme.
Jetzt sei die Zeit für Champagner angebrochen, sagte Jury-Präsident und Filmemacher Todd Haynes zur 75. Berlinale. Gemeint war wohl ein wenig Eskapismus, vielleicht auch Hedonismus in politisch krisenhaften Zeiten. Tatsächlich zeigte das Filmprogramm in diesem Jahr einen auffälligen Hang zum Existenziellen, aber auch universal Verbindenden: Mutterschaft war ein solches Thema, das in mehreren Filmen im Fokus stand, überhaupt zwischenmenschliche Beziehungen, aber auch das Älterwerden, Krankheiten. Und es waren oftmals Frauen, die endlich die ganz großen Rollen führten. Daneben: Protagonist*innen aus der ehemaligen DDR und dem Sudan, sehr gute Dokumentationen, gekonntes Understatement, gekonnte Übertreibung und Einblicke in eine Geschichte, die noch lange nicht vergangen ist.
If I Had Legs I’d Kick You
(Mary Bronstein)
Das Kind mag nicht essen. Das Kind will einen Hamster haben. Der Ehemann erwartet Rapport für alle erzieherischen Maßnahmen in seiner Abwesenheit. Und das Dach ist auch gerade eingekracht. Linda (Rose Byrne) jongliert zwischen den Bedürfnissen ihres Makro- und Mikrokosmos, zwischen Familie, Haus und Beruf, Kinderärzt*innen und Selbsthilfegruppen, die letztlich doch nur mehr abverlangen, als sie unterstützen. Der Film lässt dem Publikum dabei so wenig Luft zum Atmen wie seiner Protagonistin. Ultra-dicht dran ist die Kamera, nie lässt sie die Mutter aus den Augen. Eine Groteske, die in ihren gewollt überzogensten, überirdischen Momenten dem Gefühl eines Nervenzusammenbruchs wahrhaftig nah kommt. Nur Comedian Conan O’Brien und Hip-Hopper A$AP Rocky vermögen mit ihren Gastauftritten vielleicht noch so etwas wie den letzten Rest Vertrauen ins Aufrechterhalten der kosmischen Ordnung zu verleihen.



Restitucija, ili, San i java stare garde
(Želimir Žilnik)
Ein älterer Herr (Milan Kovačević) sucht in einem Wiener Plattenladen nach Aufnahmen seiner ehemaligen Band, den „Montenegro Five“, mit denen er in den 1960er-Jahren in Deutschland, Belgien und Österreich jugoslawische Beatmusik gespielt hatte. Plötzlich klingelt das Telefon, ein Anruf aus Novi Sad: der serbische Staat möchte ihm das im 2. Weltkrieg enteignete Familiengut restituieren. Das Telefonat schickt Stevan Arsin auf einen Roadtrip quer durch die alte Heimat, wo er auf alte Weggefährt*innen trifft, und die eigene Lebensgeschichte resümiert, während er munter Pläne für die Zukunft schmiedet. Regisseur Želimir Žilnik gilt als einer der bekanntesten Vertreter des jugoslawischen Films der 1960er- und 1970er-Jahre und lebte zeitweise auch in Deutschland, wo er Filme über sogenannte Gastarbeiter drehte. In diesem Film nun verknüpft er ganz beiläufig die düstere, komplexe Geschichte des europäischen 20. Jahrhunderts mit der Erzählung eines humanistischen Roadmovies, dessen charmanten Laiendarsteller*innen – etliche über 80 – man gerne noch länger zugeschaut hätte.





Hysteria
(Mehmet Akif Büyükatalay)
Ein Regisseur (Serkan Kaya) dreht einen Film über den rassistischen Brandanschlag in Solingen, bei dem er am Filmset ein nachgestelltes Haus in Flammen aufgehen lässt. Mit dem auf Authentizität getrimmten Set verbrennt auch ein Koran, der sich dort als Requisite befand. Das führt bald zu Unmut bei einigen Komparsen, die der Regisseur in einer Flüchtlingsunterkunft kennengelernt und für seinen Film eingestellt hatte. Als doppelbödigen Film-im-Film-Thriller inszeniert Regisseur Mehmet Akif Büyükatalay seinen zweiten Langspielfilm. Der Vielfalt der hier thematisierten gesellschaftlichen Minenfelder – Kunstfreiheit vs. Toleranz gegenüber religiösen Gefühlen, postmigrantische vs. migrantische Lebensrealitäten, Identität vs. Differenz – lässt sich hier offenbar nur noch in einer Art existenzieller Gegenhysterie auflösen.

Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes
(Edgar Reitz)
Anfang des 18. Jahrhunderts plagt die preußische Königin Sophie Charlotte (Antonia Bill) Heimweh. Insbesondere ihren Mentor, den Philosophen Gottfried Willhelm Leibniz (Edgar Selge), vermisst sie im freudlosen Preußen und wünscht sich sehnlichst eine Porträtmalerei des Universalgelehrten, um zumindest einen Hauch Weltgeist in ihren Wohnsitz, Schloss Lietzenburg, zu bringen. Leibniz willigt ein, jedoch wirft der beauftragte Hofmaler (Lars Eidinger) rasch genervt das Handtuch, hat er doch kein Interesse an den philosophischen Debatten, die der Porträtierte mit ihm führen will. Erst mit der niederländischen Malerin Aaltje van der Meer (Aenne Schwarz) entspinnt sich ein anregender Diskurs über die Wahrhaftigkeitsmöglichkeit von Kunst, die den Philosophen herausfordert. Ungeahnt kurzweilig inszeniert Edgar Reitz den geistigen Austausch zwischen Malerin und Universalgelehrten – ein philosophisches Kammerspiel, das sich ganz auf das gesprochene Wort als Träger ganzer Welten verlässt.




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