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SEHEN, HÖREN, RIECHEN

06.08.2012

3 min Lesezeit

Hans-Werner Schmidt, Direktor des Museums der bildenden Künste Leipzig, führt durch die Kienholz-Ausstellung. Ein Interview.

Dr. Hans-Werner Schmidt ist Kunsthistoriker, Autor, Ausstellungsmacher und Direktor des Museums der bildenden Künste in Leipzig. Am 6. Dezember 2011 um 19 Uhr führt er durch die Ausstellung „Kienholz. Die Zeichen der Zeit“. Als Leiter der Kunsthalle Düsseldorf verantwortete Dr. Hans-Werner Schmidt 1989 die umfassende Ausstellung „Edward and Nancy Kienholz. 1980’s“ und ist darüber hinaus Autor des Buches „Edward Kienholz. The Portable War Memorial“.
Die Widersprüche einer Zeit, die Kienholz in seinen Arbeiten aufdeckt, hat Hans-Werner Schmidt selbst miterlebt. Auch heute, so findet er, gibt es wieder Grund genug, sich mit den Werken des amerikanischen Künstlers auseinanderzusetzen. Seine Führung steht unter dem verheißungsvollen Titel „Gefrorene Momente. Das Tableau als Bühne“.

Fabian Famulok: Kienholz berührt mit seiner Kunst mächtige Themen. Sein Werk verkörpert die Reibungspunkte der 1968er-Generation wie kein anderes. Sie waren 18 Jahre alt als die Studentenbewegungen in Deutschland tobten und in den USA Demonstranten gegen den Vietnamkrieg durch die Straßen zogen. Können Sie die Zeit aus Ihrer Perspektive beschreiben?

Hans-Werner Schmidt: Jugend bedeutet seit jeher Aufbruch. Ende der 1960er-Jahre glaubte eine Generation die Zäsur endlich vollziehen zu können, die 1945 politisch verkündet wurde – und fand dabei breites Gehör. Im Vergleich zu heutigen Informationsportalen waren damalige Informationsquellen und gedankliche Austauschforen sehr begrenzt. Man hat sie aber sehr bewusst genutzt wie ein kostbares Gut, der Austausch fand von Angesicht zu Angesicht statt. Doch ich möchte keine Glorifizierung betreiben. Es war auch die Zeit der groben historischen Logik, in der Differenzierungen wenig Platz hatten und anstelle der bekämpften Autoritäten neue installiert wurden.

FF: Steht Kienholz für Sie für diese Zeit? Welche Themen spricht er an?

HWS: Sein Werk wurzelt in den Widersprüchen dieser Zeit, in der die von den Medien kolorierte Realität mit den Dramen streitet, die nicht nur auf Kriegsschauplätzen stattfinden, sondern auch in den Haushalten. Kienholz thematisiert die Macht der Medien, die Doppelmoral von Politik, die Tristesse hinter den Warenversprechungen und die vielen kleinen Fluchten, in denen Identitäten gelebt werden.

FF: Warum kann Kienholz heute für eine jüngere Generation immer noch interessant sein?

HWS: Heute heißt es, dass durch die Globalisierung Wirtschaftsprozesse und damit Gesellschaftsgefüge selbst für Politiker schwer zu verstehen sind – angesichts geschaffener Fakten, die mit der Kraft des Normativen daherkommen. Doch dahinter agiert die Psyche: Eitelkeiten und Verletztheiten bestimmen Strategien, Triebhaftes und Lethargisches entwickelt Szenarien. Den Geist hinter dem Handeln zu benennen fällt Jugendlichen, die noch nicht professioneller deformiert sind, sicherlich nicht schwer.

FF: Welche Arbeit beeindruckt Sie am meisten in der aktuellen SCHIRN Ausstellung? Und woran das liegt das?

HWS: „The Eleventh Hour Final“. Seit es Fernsehnachrichten gibt, wird die Zahl der Toten aus den Kriegs-, Konflikt- und Katastrophenzonen dieser Welt verkündet. Es sind Zahlen, die durch die Folgenachricht verweht werden, wie das Laub im Herbst. Hier sind sie auf dem Bildschirm eingraviert und alle folgenden Sendungen werden damit überblendet.

FF: Stellt Kienholz Museen vor besondere Herausforderungen?

HWS: Ja – Sehen, Hören, Riechen, Teilhabe, Mitagieren. Das Betriebssystem „Kienholz“ will am Laufen gehalten werden.