Der Frankfurter Fotograf Altan Eskin hat ein Treffen im GrĂŒnen vorgeschlagen. Nun sitzen wir im Biergarten des GĂŒnthersburgpark, umgeben von KirschbĂ€umen, Eiben, Birken und Platanen. Auf dem angrenzenden Bolzplatz jagen Kinder lautstark BĂ€llen hinterher. Auf einem Kiesweg gleich neben unserem Tisch drehen Jogger ihre Runden. Die Natur ist Eskins Thema â wenn auch die vergleichsweise unberĂŒhrte.
FĂŒr eine elfteilige Foto-Serie mit dem Titel âSheltersâ, die ab 16. April in der Frankfurter L.A. Galerie gezeigt wird, hat sich der 37-jĂ€hrige KĂŒnstler tief in die WĂ€lder rund um Rodenbach bei Hanau begeben. Eskin ist dort aufgewachsen. âIn den Achtzigern gab es viel weniger Videospiele als heute. Unsere Freizeit spielte sich gröĂtenteils drauĂen ab. Wir kletterten auf BĂ€ume oder bauten UnterschlĂŒpfe. Die WĂ€lder waren Schutzzonen, in denen wir der Kontrolle durch die Eltern entzogen waren und uns zeitweise unsterblich fĂŒhltenâ, erinnert sich Eskin.
Die Welt steht Kopf
Die Bilder, die in den Waldlandschaften seiner Kindheit entstanden, wirken auf den ersten Blick wie Fotomontagen: Ein Baumstamm scheint schwerelos in der Luft zu schweben. Eine Wolke aus kleinen grĂŒnen BlĂ€ttern wirbelt wie von unsichtbaren KrĂ€ften getrieben durch die baumreiche Gegend. Erst nach einer Weile durchschaut man den Trick, der fĂŒr solch wunderbar surreale Momente sorgt: Eskin hat keines seiner Motive direkt fotografiert. Es handelt sich um Spiegelungen im Wasser. Weil das fertige Bild bei der Nachbearbeitung am Computer um 180 Grad gedreht wurde, fehlt der Die-Welt-Steht-Kopf-Effekt, den man bei den Reflexionen der BĂ€ume zwangslĂ€ufig erwartet.
Die Idee mit der gespiegelten Natur kam Altan Eskin 2008. Damals beschĂ€ftigte er sich mit Wahrnehmungstheorien, denen zufolge das Abbild der Welt auf der menschlichen Netzhaut bekanntlich erst einmal Kopf steht, bevor das Gehirn die VerhĂ€ltnisse wieder zurechtrĂŒckt. Etwa zur selben Zeit experimentierte Eskin mit einer analogen Mittelformatkamera aus dem Bestand der HfG-Offenbach, wo er studierte. Auf der Mattscheibe des Leih-Apparates wurden sĂ€mtliche Motive spiegelverkehrt abgebildet. Sein allererstes Motiv fand Eskin an einer Stelle am StraĂenrand. Anfang Februar sammelte sich dort unter BĂ€umen das Schmelzwasser. âEs war nicht sehr tief. Unter der OberflĂ€che befand sich viel Erde und Laub. Deshalb wirkt die Stimmung auf dem Foto dĂŒster und gefĂ€hrlich. Dabei habe ich es am helllichten Tag aufgenommenâ. Das Bild mit dem Titel âSky is fallingâ wird neben der âSheltersâ-Reihe ebenfalls in der L.A. Galerie ausgestellt.
Fotoalben der Familie
Seine erste digitale Kamera kaufte sich Eskin mit Anfang 20, von dem Geld das er als Mitarbeiter in einer Frankfurter Internetagentur verdiente. âIch wollte nicht bis zur Rente hinter einem Computer sitzenâ, sagt er. Mit einer reinen Fotomappe bewarb er sich an der HfG Offenbach â und wurde angenommen. Im Grundstudium musste jeder Student eine Reihe von FĂ€chern belegen. âMalen und Zeichen war eher nichts fĂŒr michâ, sagt Eskin. âFotografie und Bildhauerei dafĂŒr umso mehrâ. Bei einigen seiner Installationen verfolgt er einen fotografischen Ansatz. Mit Hilfe von blauen WollfĂ€den zeichnete er zum Beispiel durch ein Fenster fallende Lichtstrahlen nach.
Eskins Abschlussarbeit an der HfG trug den Titel âMeĆeâ â das tĂŒrkische Wort fĂŒr âEicheâ. Um BĂ€ume ging es dabei allerdings nur indirekt. Die Arbeit ist eine Hommage an seinen verstorbenen Vater, der aus der Stadt Bolu zwischen Istanbul und Ankara stammt und als Schreiner arbeitete. Altan Eskin durchforstete die Fotoalben der Familie. Er vergröĂerte Ausschnitte, auf denen die HĂ€nde seines Vaters gut zur Geltung kamen und steckte sie in Eichenholzrahmen. Die berĂŒhrende Foto-Serie wurde von der DZ Bank fĂŒr die hauseigene Sammlung gekauft und bereits zweimal gezeigt.
Mittlerweile entstehen viele von Eskins Fotos auf weltweiten Reisen. Einige davon veröffentlicht er unter der Rubrik âConspectumâ (lateinisch fĂŒr âvor Augen tretenâ) auf seiner Homepage. âDas Ganze ist kein Blog, sondern eine Art elektronisches Skizzenbuchâ, sagt Eskin, der erst vor wenigen Tagen von einer zehntĂ€gigen Schottland-Rundreise zurĂŒckkehrte. âAlle zehn Autokilometer musste ich bestimmt zwei Mal anhalten, weil es ĂŒberall etwas Spannendes zu sehen gab.â