Raubbau an Natur und Mensch
26.11.2024
6 min Lesezeit
Florencia Levy gibt im kommenden Double Feature Einblicke in eine dystopische Welt: Ausgehend von einer Residency in China, die für die Künstlerin in einem Verhör durch die hiesigen Behörden mündete, fokussiert ihre Videoarbeit „Fossil Place“ eine autonome Region in China, die wegen ihrer seltenen Bodenschätze von massiven Eingriffen in die Natur geprägt ist.
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Es ist ein Bild, das einem dystopischen SciFi-Film entsprungen scheint. Grau-braune, matschige Erde, der Himmel liegt begraben unter einer undurchdringlichen Smog-Schicht und im Hintergrund, kaum erkennbar, klaffen Schornsteine und Industriegebäude in die Höhe. Menschen, geschweige denn Flora und Fauna, sind in dieser lebensfeindlichen Umgebung nirgends auszumachen. „Tierra de Ciervos“ (Land of deer) hat die argentinische Künstlerin Florencia Levy ihr Foto genannt, das sie 2016 vom Weikuang Damm am äußeren Stadtrand der chinesischen Großstadt Baotou geschossen hat. Als „Hölle auf Erden“ und „schlimmsten Ort der Erde“ bezeichneten Journalisten 2015 das eingedämmte, rund achteinhalb Quadratkilometer große Areal, auf dem die ortsansässige Industrie die toxischen Abbaurückstände der nahegelegenen Seltenerdmetall-Minen ablädt.
2016 hatte die Künstlerin eine Residency in China genutzt, um sich im Südwesten des Autonomen Gebietes Innere Mongolei, das sich im mittleren Norden der Volksrepublik befindet, selbst einen Eindruck von jenem Ort zu verschaffen. Eine Recherche mit überaus ernsten Folgen: Levy wurde am Weikuang Damm von chinesischen Staatssicherheitskräften aufgegriffen, über mehrere Stunden verhört und musste alle Fotografien, die sie vor Ort gemacht hatte, löschen. „Ich dachte, ich würde sterben. Sie dachten, ich sei ein Spion,“ erinnerte sie sich in der argentinischen Tageszeitung La Nación. Wie durch ein Wunder blieb eine Fotoaufnahme auf der Speicherkarte übrig: „Tierra de Ciervos“.
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Gerade die Regionen um die Metropolen Baotou und Ordos sind ein besonders scheußliches Beispiel für jenen Raubbau an der Natur. Die immensen Vorkommen seltener Erden, die dort entdeckt wurden, werden für die Produktion von Laptops, Smartphones, E-Autos und Windmühlen benötigt. Bei deren Gewinnung entstehen radioaktiver Abfall und schwermetallhaltiges Abwasser, das vor Ort im künstlichen angelegten Weikuang Damm entsorgt wird. Hier treffen chinesischer Staatskapitalismus bar jeglicher bürgerlichen Freiheiten auf das Erbe der Sowjet-Ära, deren Einfluss auf die Innere Mongolei sich in Baotou architektonisch immer noch nachvollziehen lässt. „Was die Menschen von der Natur lernen wollen, ist, sie anzuwenden, um sie und die Menschen vollends zu beherrschen,“ beschrieben Adorno und Horkheimer einst in ihrer bekannten Essay-Sammlung „Die Dialektik der Aufklärung“ die letztliche Konsequenz einer unaufgeklärten Naturbeherrschung. So wird Levys „Lugar fósil“ zu einem Abgesang jenes (wirtschaftlichen) Fortschritts, der, als reiner Selbstzweck verwirklicht, jegliche Grundlage von Leben schlechthin zerstört und den Menschen ebenso wie die ihm umgebene Natur vollständig unterjocht. Deren Nachhall lässt sich sodann in Levys Filmarbeit nur noch in Gesteinsmassen finden.
Daneben präsentiert Levy auch einen Ausschnitt aus ihrer Arbeit „Hundreds of Millions of Years for These Forms“ von 2023, die in Form eines Chors, bestehend aus 12 posthumanen Entitäten, um das Phänomen des Tiefseebaus kreist. Der Text und die Chorstruktur, welche aus computergenerierten Bildern, Motion Capture und der Aufnahmen menschlicher Stimmen erstellt wurde, basieren auf Interviews, wissenschaftlichen Publikationen und spekulativer Fiktion.
Chris Markers und Alain Resnais “Les statues meurent aussi”
Als weiteren Film hat Florencia Levy „Les statues meurent aussi“ (Statues Also Die) der französischen Filmemacher Chris Marker und Alain Resnais ausgewählt. Der 1953 erstandene essayistische Film knüpft gewissermaßen direkt an das Ende von Levys „Lugar fósil“ an. „Wenn Menschen sterben, gehen sie in die Geschichte ein. Wenn Statuen sterben, werden sie Kunst. Diese Botanik des Todes nennen wir Kultur,“ heißt es dort nämlich gleich zu Beginn. Der Film wurde von Alioune Diops panafrikanischen Magazin „Présence Africaine“ kommissioniert und widmet sich der historischen Kunst und Kultur Afrikas südlich der Sahara im musealen Kontext. Irritiert darüber, dass diese Kunst ausschließlich im anthropologischen Musée de l’Homme in Paris ausgestellt wurde und nicht etwa in einem Kunstmuseum wie dem Louvre, nahmen die Regisseure im Rahmen ihrer Vorproduktion einen immer antikolonialistischeren Standpunkt ein, als dies laut Alain Resnais ursprünglich geplant war. In minutenlagen Einstellungen zeigt der Film expressiv ausgeleuchtete Statuen, Skulpturen und Masken, referiert emphatisch über das Verhältnis von Kunst und Kultur, und befasst sich gerade im letzten Drittel mit der Langlebigkeit kolonialer Perspektiven. Aufgrund jener Kritik wurde der Film kurz nach Veröffentlichung vom französischen Kulturministerium zensiert und war erst ab 1968 wieder in vollständiger Länge zu sehen.
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