1. Henry David Thoreau: Walden oder Vom Leben im Wald
„Als ich das Folgende – jedenfalls den größten Teil davon – niederschrieb, lebte ich allein im Wald, mehr als einen Kilometer vom nächsten Nachbarn entfernt, in einem selbst gezimmerten Haus am Ufer des Walden-Sees bei Concord, Massachusetts, und verdiente mir meinen Lebensunterhalt ausschließlich mit meiner Hände Arbeit.“ So beginnt Henry David Thoreaus weltberühmter Erfahrungsbericht, in dem er seine Auszeit in der kanadischen Wildnis dokumentiert. Der 1854 erschienene Klassiker der Aussteigerliteratur ist nicht nur ein Vorläufer des Nature Writing, sondern beschäftigt sich auch mit aktuellen Themen wie Konsum, Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Über allem steht eine Frage, die uns heute nicht weniger beschäftigt als Thoreau damals: Wie wollen, wie sollen wir leben?
„Walden oder Vom Leben im Wald“, Übersetzung: Fritz Güttinger, überarbeitet von Susanne Ostwald, Manesse Verlag, 2020
2. Jocelyn Saucier: Ein Leben mehr
In Jocelyn Sauciers Roman „Ein Leben mehr“ haben sich zwei alte Männer in die nordkanadischen Wälder zurückgezogen. Sie leben ein einfaches, freies Leben, weitestgehend unabhängig von Staat und Gesellschaft. Dann taucht eine junge Fotografin auf, die auf der Suche nach Boychuck ist, dem letzten Überlebenden der Großen Brände, und kurz darauf stößt die 80-Jährige Marie-Desneige zu ihnen. Die Frauen bleiben, und die vier sehr unterschiedlichen Menschen werden nach und nach zu einer besonderen Gemeinschaft. Ein Buch, das vom selbstbestimmten Leben, Altern und Sterben erzählt, hoffnungsvoll und melancholisch zugleich.
Jocelyn Saucier: Ein Leben mehr, Übersetzung: Sonja Finck, Suhrkamp, 2020
3. Margaret Atwood: Aus dem Wald hinausfinden. Ein Gespräch mit Caspar Shaller
Zwei Tage lang hat sich die bekannte kanadische Autorin Margaret Atwood gemeinsam mit dem Journalisten Caspar Shaller in einem Café über Atwoods Bücher, Feminismus und die Klimakrise, über wieder aufflammenden Faschismus, Beyoncé und Atwoods Kindheit in den kanadischen Wäldern unterhalten. In diesem Gespräch werden Atwoods Klugheit, ihr trockener Humor und ihr scheinbar unerschöpfliches Wissen zu den unterschiedlichsten Themengebieten sichtbar. Eine inspirierende Lektüre für Atwood-Fans und -Neueinsteiger.
Margaret Atwood: Aus dem Wald hinausfinden. Ein Gespräch mit Caspar Shaller, Kampa, 2019
4. Emily Carr: Klee Wyck – Die, die lacht
Emily Carr war nicht nur Künstlerin und mit der „Group of Seven“ verbunden, sondern auch Autorin. Sie besuchte verschiedene Indigene Dörfer an der Pazifikküste Kanadas und gewann dort Inspiration für ihr künstlerisches Schaffen. 1941 veröffentlichte sie unter dem Titel „Klee Wyck“ eine Sammlung von 21 literarischen Skizzen, in denen sie über die unberührte Natur, verlassene Siedlungen, Totems und das Alltagsleben Indigener Völker schreibt. Weil sie in ihrem Buch den Umgang der Missionare mit der Indigenen Bevölkerung kritisierte, wurde „Klee Wyck“ lange Zeit nur zensiert veröffentlicht. Jetzt liegt es erstmals vollständig und in deutscher Übersetzung vor. Carrs Perspektive wird heute trotz ihrer Zugewandtheit auch als kolonialistisch kritisiert, da sie die Indigenen Völker selbst nicht zu Wort kommen lässt. Dennoch ist ihr Buch ein wichtiges Dokument seiner Zeit.
Emily Carr: Klee Wyck – Die, die lacht, Übersetzung: Marion Hertle, Verlag Das kulturelle Gedächtnis, 2020
5. Tanya Tagaq: Eisfuchs
Tanya Tagaq ist in Nunavut, dem an Grönland grenzenden Inuit-Territorium in der kanadischen Arktis aufgewachsen. In ihrem belletristischen Debüt erzählt die bekannte Kehlkopfsängerin vom Aufwachsen in einer schwer zugänglichen Region, von der Schönheit und der Erbarmungslosigkeit der Natur, von Gewalt und schwindender Gemeinschaft. Ein hartes und kraftvolles Buch, das sich kaum in ein Genre einordnen lässt; kurze Prosatexte stehen neben lyrischen Passagen und surrealen Traumsequenzen. Tagaq verwebt Alltagsbeschreibungen, Naturpoesie und Übernatürliches zu einem dichten, beeindruckenden Textgewebe.
Tanya Tagaq: „ Eisfuchs“, Übersetzung: Anke Caroline Burger, Verlag Antje Kunstmann, 2020
6. Tracey Lindberg: Birdie
„Bernice Metoos wird nicht gebrochen werden.“ Die Cree-Frau Bernice, genannt Birdie, reist von ihrer Heimat im Norden Albertas nach Gibsons B.C. Immer wieder holen sie dieselben Träume ein. Birdie macht sich auf die Suche: nach sich selbst, nach Heilung, nach einem Neuanfang. In „Birdie“ erfahren die Leser*innen, was es bedeutet, sich der Vergangenheit zu stellen und Traumata zu überwinden. Der preisgekrönte Debütroman der Indigenen Schriftstellerin Tracey Lindberg stand über ein Jahr lang auf der kanadischen Bestsellerliste.
Tracey Lindberg: Birdie, Übersetzung: Gesine Schröder und Karolin Viseneber, Marix, 2020
7. Marc Degens: Toronto. Aufzeichnungen aus Kanada
Als seine Frau eine Stelle in Toronto angeboten bekommt, begleitet Autor und SUKULTUR-Verleger Marc Degens sie dorthin. Vier Jahre leben die beiden in der größten Stadt Kanadas und unternehmen ausgedehnte Reisen durch das Land. Sie beobachten Wale, durchstreifen Wälder und durchqueren die Seenlandschaften. In seinem Reisetagebuch teilt Degens aber nicht nur die Abenteuer der kanadischen Wildnis, sondern berichtet auch vom Peaches-Konzert und der Miranda-July-Lesung, von den besten Diner und Buchläden. Wer den letzten Tagebucheintrag gelesen und das Buch zugeklappt hat, möchte direkt die Koffer packen.
Marc Degens: Toronto. Aufzeichnungen aus Kanada, mairisch, 2020
8. Régis Loisel & Jean-Louis Tripp: Das Nest. Gesamtausgabe 1
Die befreundeten Comic-Autoren Régis Loisel und Jean-Louis Tripp siedelten Anfang der 2000er Jahre gemeinsam nach Kanada über. Dort realisierten sie ein umfangreiches Comic-Projekt: „Das Nest“. Die Geschichte spielt in den 1920er-Jahren in einem abgeschiedenen Dorf in Québec. Die Menschen leben ein einfaches, traditionelles Leben, geprägt vom Lauf der Natur. Im Zentrum der grafischen Erzählung steht die junge Witwe Marie, deren freigeistiger Lebensstil die althergebrachte Ordnung der Dorfgemeinschaft immer wieder auf die Probe stellt. Die neunbändige Serie war lange vergriffen, jetzt ist der erste Teil der dreibändigen Gesamtausgabe erschienen.
Régis Loisel & Jean-Louis Tripp: Das Nest. Gesamtausgabe 1, Übersetzung: Marcel Le Comte, Martin Budde, Carlsen, 2020
9. Eric, Devin & Terry Fan: Projekt Barnabus
Auch eins der schönsten Bilderbücher des Herbstes kommt aus Kanada. In „Projekt Barnabus“ geht es um ein geheimes Labor, das sich unter dem Laden „Perfekte Kuscheltiere“ befindet. Hier werden die „Mängelexemplare“ festgehalten: jene Kuscheltiere, die nicht ganz so perfekt sind wie die Exemplare im oberirdischen Geschäft. Barnabus und seine Freunde träumen von einem Leben draußen in der Freiheit, sie wollen die Welt und die Natur entdecken – und bereiten den großen Ausbruch vor. Eine wunderbar detailreich illustrierte Geschichte, die dem Perfektionswahn Solidarität und Freundschaft entgegensetzt. Für alle Bilderbuchbegeisterten ab fünf.
Eric, Devin & Terry Fan: „Projekt Barnabus“, Übersetzung: Nicola T. Stuart, Jacoby & Stuart, 2020
10. Lisa Nieschlag und Lars Wentrup: Taste the Wild. Rezepte und Geschichten aus Kanada
Mit „Taste the Wild“ hat das Duo Nieschlag/Wentrup wieder ein Kochbuch vorgelegt, bei dem man direkt in die Küche eilen möchte. Von Peanutbutter Chocolat Granola über Bannock-Pizza aus der Pfanne bis zu einem auf dem Zedernholzbrett gegrillten Lachsfilet ist für jeden Geschmack und jede Tageszeit was dabei. Mit den Naturfotografien von Sascha Talke kann man sich in die atemberaubenden Landschaften Kanadas träumen, und sogar für literarische Kost ist gesorgt: Kurze Stories von Anne Michaels, Margaret Atwood, Charles Dickens und Chris Czajkowski runden das Rezept- und Geschichtenbuch ab.
Lisa Nieschlag & Lars Wentrup: „Taste the Wild. Rezepte und Geschichten aus Kanada“, Hölker Verlag, 2019