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„LANGEWEILE IST DER URSPRUNG JEDER GUTEN IDEE“

06.07.2011

3 min Lesezeit

Video: Francesco Clemente zu Gast bei dem amerikanischen Talkshow-Master Charlie Rose.

Charlie Rose, amerikanischer TV-Journalist und Gastgeber der nach ihm benannten Talkshow, hat den Künstler Francesco Clemente im Jahr 2008 in seine Sendung eingeladen. Der in New York lebende Künstler spricht in dem 45-minütigen englischsprachigen Interview ausgiebig über sein bewegtes Leben und die Einflüsse auf seine Kunst.

Die Frage nach seiner Kindheit in den 1950er Jahren in Neapel beantwortet Clemente mit einem Wort: „Langeweile.“ In jener Langeweile seiner Kindheit sieht Clemente eine wichtige Voraussetzung für sein künstlerisches Schaffen: „Langeweile ist der Ursprung jeder guten Idee“. Bereits als Kind prägten ihn in seiner Geburtsstadt Neapel lange Nachmittage des Wartens, des Träumens, Nachdenkens und Fantasierens. Warten sieht er als eine weitere wichtige Eigenschaft eines Malers: Warten, dass Geist und Material eine Geschichte formen und fortspinnen.

Schon in jungen Jahren erlebte Clemente durch eine Begegnung mit Werken des spanischen Malers Velázquez einen wichtigen Moment seiner künstlerischen Laufbahn: Als zwölfjähriges Kind betrachtete er die Gemälde des Künstlers und erahnte deren Wirkung, hatte aber keine Möglichkeit, die Bilder in ihrer Gesamtheit zu begreifen. Trotz allem empfand er die Aura der Einmaligkeit und die große physische Präsenz der Gemälde.

Von Rose nach den Beweggründen für seinen Indien-Aufenthalt in den 1970er-Jahren gefragt, verweist Clemente auf die Suche nach seinem Platz in der Gesellschaft. In Indien sah er ein psychedelisches Fenster für diese Suche geöffnet, fand dort eine Kultur vor, die die Voraussetzungen bot, über die eigene Person und Rolle zu reflektieren. Und Clemente erfuhr in Indien eine sehr lebhafte Konfrontation mit seiner eigenen Sterblichkeit, womit er sich fortwährend auch künstlerisch auseinandersetzt.

An die Erlebnisse in Indien und einen Aufenthalt in Japan schließt sich Clementes Reise in die USA an. Charlie Rose nimmt die Begegnungen Clementes mit wichtigen amerikanischen Persönlichkeiten des Kunstbetriebs der 1980er-Jahre vorweg. Clemente verkehrte mit Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat, pflegte Kontakt zu wichtigen Schriftstellern der Beatgeneration, zu Alan Ginsberg und William Burroughs. Den 1997 gestorbenen Schriftsteller Burroughs schätzt Clemente besonders: „Er hatte das Talent, jeder Situation etwas Positives abzugewinnen“.

War Warhol so etwas wie ein Mentor für Clemente? „Er war ohne Zweifel ein sehr großzügiger und unterhaltsamer Mensch“. Er vereinte in sich den sozialen und den kreativen Menschen, dessen Werke, so Clemente, vor allem durch die Farben bestechen. Trotz der vielen konstruktiven und kreativen Kontakte sieht der Künstler in den 1980er-Jahren jedoch nicht seine prägendste Zeit. Clemente verweigert sich der gängigen linearen Vorstellung von Zeit und persönlicher Entwicklung. Für ihn ist Zeit nicht die ausschlaggebende Komponente, sondern Raum – Raum und die darin positionierten Objekte.

Clemente beantwortet die Fragen von Rose auf eine sehr persönliche Weise und ermöglicht dadurch einen tiefen Einblick in sein Selbstverständnis als Künstler und seine Sicht auf die Welt – die nicht immer den gewohnten Konventionen entspricht.