REYKJAVIK. Bloß nicht die Elfen erwähnen. Sonst schaust du (Verzeihung, aber hier in Island duzen sich alle) in lauter betretene Gesichter. Eben noch erzählten Halldór, Rakel und der deutsche Kurator, Organisator, Islandkenner Matthias im erstklassigen Restaurant der „Blauen Lagune“ aufgekratzt von der Zukunft der Insel, wo es knapp unter der Erdoberfläche allzeit brodelt, als Energielieferant Europas. Draußen waberten wie zur Bestätigung die Dampfwolken über dem milchig-bläulichen Wasser des künstlich angelegten Thermalbads, das von den süß-salzigen Abwässern eines Geothermalkraftwerks gespeist wird: Meerwasser, in die Tiefe gepumpt, trifft auf heißes Grundwasser und sprudelt erhitzt zurück, wobei Strom gewonnen wird. Jetzt zeugen die ausweichenden Blicke von sinkender Laune, und das eine oder andere Seufzen entfleucht den eben noch so umgänglichen Wissenschaftlern, Ausstellungsmachern, Sachverständigen.
Ein „Elfenverbot“ nämlich hat Halldór Guðmundsson ausgesprochen, der Direktor von „Sagenhaftes Island“, wie der Titel des Ehrengast-Auftritts auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse lautet. Der Mann mit dem altgermanischen Laut „ð“ im Namen, ausgesprochen wie ein stimmhaftes englisches „th“, leitet das Projekt. Es soll einen umfassenden Einblick geben in eine seit jeher auf Wort und Schrift fixierte Kultur. Jeder Isländer kauft im Durchschnitt acht Bücher pro Jahr. Der isländische Schriftstellerverband hat etwa 300 Mitglieder. Und das bei einer Bevölkerung von 320 000 Einwohnern. Jedes Schulkind kennt dort die Isländer-Sagas, mittelalterliche Romane, die nicht etwa von den Göttern berichten, sondern in modern anmutender Erzählperspektive von der Realität der frühen Besiedlung des Landes, der Familien und ihrer Fehden, des Lebens in karger Umgebung handeln. Zur Buchmesse erscheint eine fünfbändige Neuübersetzung im S. Fischer Verlag. „Island ist spät ein eigenständiger Staat geworden, es hat sich 1944 von Dänemark gelöst, die Identität wurde im wesentlichen über die Literatur entwickelt“, sagt Guðmundsson.
Dänemark hat bald nach der isländischen Staatsgründung auch die alten Manuskripte der Sagas zurückgegeben, die heute im Árni Magnússon Institut aufbewahrt werden. Es sind Nationalschätze. Umso erstaunlicher, dass ein Teil davon im Herbst das Land in Richtung Frankfurt verlässt, wo sie in der Schirn Kunsthalle als Teil einer multimedialen Installation der jungen Künstlerin Gabríela Friðriksdóttir gezeigt werden: „Crepusculum“, lateinisch für Abenddämmerung, wird die Schau heißen. Und noch ein weiteres Kunstereignis gehört zum Buchmessen-Schwerpunkt Island: Mit „Erró. Porträt und Landschaft“ wird anhand einiger ausgewählter Werkgruppen auf das umfangreiche OEuvre des wohl bekanntesten isländischen bildenden Künstlers der Gegenwart verwiesen.
Noch lagern etliche Arbeiten Errós, die in die Schirn kommen, im Depot des Reykjavík Art Museums, darunter die 1968 entstandenen Monsterbilder, auf denen er die monströse Seite der abendländische Geistesgrößen zum Ausdruck bringt. Von Erró, der in Paris lebt, sind gegenwärtig Collagen im Reykjavíker Kunstmuseum ausgestellt, die ihn als originellen Vertreter der zweiten Avantgarde, also jener nach 1945, ausweisen. Quer zu dieser steht allerdings die Tatsache, dass er vor allem Maler ist. Auch viele seiner Collagen überführte er ins Medium der Malerei. Seine Arbeiten sind von einer extremen, plakativen Farbigkeit. Und vereinnahmen so ungefähr alles, was Medien und Populärkultur des 20. Jahrhunderts zu bieten hatten.
Auch die Fischer am Hafen von Reykjavík sind stolz darauf, dass sich ihr Land in Deutschland mit seiner Literatur, aber auch mit bildender Kunst und vielem anderen präsentiert. Nur eben nicht mit den Elfen. Erst auf hartnäckiges Nachfragen erklärt Halldór Guðmundsson, ein ausgewiesener Kenner der altisländischen Dichtung, dass die Elfen in seinem Land alles andere seien als reizende Geschöpfe, die sich auf Blumenwiesen wiegen. Vielmehr handele es sich um „hidden people“, um ein „geheimes Volk“, das parallel zu den Menschen lebe, nichts Niedliches an sich habe und schon gar nicht hilfreich sei. Ebenso wenig wie die Trolle, die im Unterschied zu anderen nordischen Ländern keine freundlichen Helferlein, sondern verschlagene Wesen von zweifelhafter Gesinnung seien.
Am Ende leben sie auch nicht, wie wir gelesen haben, auf Steinen? Das schon, gibt Guðmundsson grimmig zu. Immerhin. Der erste Eindruck von Island ist ohnehin der einer Steinwüste. Einer von Moos überwucherten Ansammlung erstarrter Lava, die immer wieder bizarre Formen annimmt. Man fährt durch junge Landschaften, vor 1000 Jahren nach Vulkanausbrüchen entstanden. Das Moos sei genauso alt, 1000 Jahre, heißt es. Weithin kein Baum, kein Strauch. Ein offenes Land, in dem jeder Pfad wirkt, als habe ihn jemand gewaltsam in die moosige Haut geritzt.
Es ist kalt in Island, auch wenn die Einheimischen behaupten, es gebe dort einen Sommer. Wir bezweifeln das. Was es in dieser Jahreszeit allerdings gibt, ist Licht. Die Nacht ist erleuchtet. Es ist ein merkwürdiger, mystischer, verklärender Schein, in den die Dinge gegen Mitternacht getaucht sind. Das kann nicht ohne Einfluss auf die Kunst bleiben. Und auch das nicht: Der Reisende begegnet überall Urzuständen, landschaftlichen Formationen, die sich jederzeit aufs Neue verwandeln können. Vielleicht muss man, um ein Gefühl für Gabríela Friðriksdóttirs düstere Kunst zu entwickeln, auch noch wissen, dass auf der Insel, wo man vorzüglich essen kann, fermentierter Eishai als Spezialität gilt. Er schmeckt, wie es auf dem Abtritt riecht, jeder gummiartig zähe Bissen wird mit Schnaps hinuntergespült. Urschlamm und Ekelschleim, sich in glibbriger Masse windende Gestalten und mit der Natur verwachsene Wesen bevölkern die Filme der Künstlerin. Menschen sind mit Säcken behängt, werden mit Mehl bestäubt, verwandeln sich der Natur oder einem archaischen Alltag an. Allenthalben finden sich magische und mystische Symbole, die aus ganz unterschiedlichen Kulturen stammen und sich doch gleichen. Wie die Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Es ist eine universelle Mythologie und Naturmystik, die diese Künstlerin beschwört. Ein Schlüssel für ihre Arbeit ist die Theosophie, mit der sie schon als Kind Bekanntschaft schloss – ihre Mutter leitete die Theosophische Gesellschaft Islands.
In einem Videofilm spielt Björk mit, sie ist allerdings kaum wiederzuerkennen. Das Material wurde auch für einen Videoclip der bekanntesten Kulturträgerin Islands verwendet, die im Land omnipräsent scheint. Und gelegentlich sogar Karaoke-Veranstaltungen macht. Jeder isländische Künstler, zumindest aus der jüngeren Generation, arbeitet mit unterschiedlichen Medien, Skulptur, Film, Tanz, Musik, weiß Matthias Wagner K (wie Kunst? Kurator?). Er hat die Fäden der deutsch-isländischen Kunstbeziehungen in der Hand. Neben der Schirn sind es unter anderen Institutionen wie der Frankfurter Kunstverein, das Deutsche Architekturmuseum, das Museum für Angewandte Kunst, das Archäologische Museum, mit denen der Kunstvermittler am Programm für den Island-Auftritt gestrickt hat.
Neben der Fischindustrie nimmt die Kulturwirtschaft mittlerweile den zweiten Platz in der isländischen Ökonomie ein. Nach der Finanzkrise haben sich viele neue Initiativen gegründet, allenthalben bieten Designer ihre Produkte feil. Auch Elfen. Dabei hat den Begriff der „Elfenbeauftragten“ der deutsche Künstler Wolfgang Müller 1995 erfunden. Die Boulevardpresse beförderte sie zur „Elfenministerin“. Aus Island wurde in Deutschland Elfenland. In Frankfurt aber soll Island wieder Island sein.