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IDAHO – DAS KIENHOLZ’SCHE STUDIO. EIN BESUCH

08.11.2011

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In Hope im US-Bundesstaat Idaho steht das Kienholz’sche Sommerhaus. In dieser tiefsten Provinz hat das Künstlerpaar Kienholz zwanzig Jahre gelebt und gemeinsam seine Werke geschaffen. Wir haben die Witwe von Ed Kienholz besucht.

Welche Reise könnte hoffnungsvoller sein, als eine nach Hope. Der kleine Ort mit seinen 80 Einwohnern liegt gleich neben Beyond Hope an einem dunkelblau schimmernden See namens Pend Oraille inmitten von Idaho, eine Flugstunde von Seattle, zwei Autostunden von Spokane entfernt. Die Landschaft ist rau und weit, die Luft klar von den hohen Nadelbäumen und den Bergen ringsum. Wenn man Glück hat, sieht man einen Regenbogen über den Baumwipfeln und Rehe im Garten. Idaho – Famous Potatoes steht auf den Autokennzeichen des nordwestlichen Amerikanischen Bundesstaats nahe der kanadischen Grenze. Hier haben Ed und Nancy Kienholz 1973 sich, kurz nachdem sie sich kennen gelernt hatten, niedergelassen, hier haben sie im Wechsel mit Berlin zusammen gelebt, gearbeitet und Freunde empfangen.

Ein Abguss seines Körpers

Betritt man heute das Kienholz-Studio, kann man die Anwesenheit von Ed Kienholz immer noch spüren. Nichts scheint sich hier nach seinem Tod im Jahre 1994 verändert zu haben. Eine auffällige Skulptur jedoch ist hinzugekommen. Vor der großen Fensterfront platziert, scheint sie die Eintretenden mit ihrem Blick zu verfolgen, man ist sofort geneigt, sie zu begrüßen. Sie trägt das Antlitz von Ed Kienholz und hat seine Statur. Anfang der 1990er-Jahre hatte Ed seine Frau gebeten, ihn zu fotografieren und einen Abguss seines Körpers zu machen. Er unterzog sich dieser mühsamen Prozedur des Abformens, so wie sich ihr viele Freunde und Familienmitglieder unterzogen oder vielleicht auch unterworfen haben, um in den Werken des Künstlerpaares die Rollen von machtgierigen Präsidenten, tollwütigen Generälen oder sich männlichen Blicken offenbarenden Frauen einzunehmen. So finden sich beispielsweise Nancys Vater als General – tatsächlich war er einst Polizeichef von Los Angeles – und Eds Mutter als geschundene „zu viel Steuer Zahlende“ in dem überwältigenden Werk „The Ozymandias Parade“ wieder. Wie kaum eine andere Arbeit von Kienholz hat die „Ozymandias Parade“ traurige Aktualität bewahrt: der Missbrauch von Macht und die Blendung des Volkes lassen sich täglich auf mannigfache Szenarien übertragen.

Die Kugel im weiblichen Geschlecht versenken

Fragen der Macht, der sozialen Gerechtigkeit und der Rolle der Frau bilden zentrale Themen im Kienholz’schen Werk. Einige der eindruckvollsten Skulpturen dazu standen bis zu ihrem Transport nach Frankfurt im Studio in Hope. „The Pool Hall“ zeigt männliche Billardspieler, deren Spiel darauf ausgerichtet ist, die Kugel im weiblichen Geschlecht zu versenken, während „My Country ’Tis of Thee“ den Amerikanischen Patriotismus auf drastische Weise konterkariert.

Gesammelt wurde alles

Die Arbeiten stehen inmitten der Arbeitsutensilien und der üppigen Materialansammlungen, die die Versatzstücke für die Skulpturen und Installationen liefern. Gesammelt wurde alles, was auf diversen Flohmärkten und Schrottwarenplätzen zwischen Berlin und Idaho zu finden war: Puppenköpfe, ausgestopfte Tiere, Plastikfiguren, Lampen, Glühbirnen, Kleidungsstücke, Autoteile und vieles mehr. Öffnet man einen der Vitrinenschränke, bekommt man eine Idee vom Alter des präparierten Gefieders.

Er steht hinter der Bar

Überwältigt vom Kienholz’schen Universum führt der Weg in den ersten Stock, in die Billy Bar. Sie ist der Nachbau jener Bar, die ihr Namensgeber Billy Derr, ein lokales Original, einst betrieben hatte. Billy, stets extravagant gekleidet und in jeder erdenklichen Situation mit sauberen Schuhen auftretend, wie ihn Nancy schmunzelnd beschreibt, ist natürlich auch da. Er steht hinter der Bar und unterhält sich mit einem Gast – beide verharren in ihren Gesten seit ihrer Entstehung im Jahr 1987.

Gäste aus Deutschland

Hier in der Billy Bar empfängt Nancy Kienholz ihre Gäste. Lisa Jann von der L. A. Louver Gallery steht hinter dem Tresen als hätte sie nie etwas anderes getan als in dieser Bar Cocktails zu mixen und Nancy sitzt auf ihrem Stammplatz neben Billys stummen Gast. Die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich. Die Freunde Ed Wilson und seine Frau Magda sind gekommen. Ed Wilson ist Künstler und hat im alten Schulhaus von East Hope, das Ed und Nancy gekauft und zu einem Atelierhaus umgewandelt hatten, ein Studio bezogen, seine Frau Magda stammt aus Deutschland. Sie freut sich über die Gäste aus Deutschland und unterhält sich angeregt mit Nancys Berliner Freundin Marianne Kewenig und SCHIRN-Kuratorin Martina Weinhart, die hier seit einigen Tagen das Kienholz-Archiv durchstöbert und Ausstellungsvorbereitungen trifft. Sherry und Daryl Witcraft sind da, Sherry betreut das Kienholz-Archiv und Daryl kümmert sich um Organisation und Logistik aller Ausstellungsprojekte. Zum Schluss kommt der 94-jährige Monte Factor, ein Kienholz-Sammler der ersten Stunde, der die Sommer in Hope verbringt. Einst betrieb er in Los Angeles, wo er Ed in den 1950er-Jahren kennen gelernt hatte, einen Einzelhandel für Herrenbekleidung, heute kommt er mit seinem Enkel Marcel regelmäßig zu seiner Nachbarin Nancy zu Besuch.

Ed wollte das so

Am Fensterbrett steht in der Ecke eine kleine Schatulle. Für eine Partie Billard muss man eine Dollarnote in die Schatulle legen. Das wird jedes Mal so gemacht, immer noch. Ed wollte das so, erzählt Nancy. Es wird gespielt, geredet, gelacht und getrunken. Mit einer Dollarnote und einer Flasche gutem Wein wurde Ed Kienholz in seinem Packard auf einer Anhöhe in der Nähe von Hope begraben. Niemand wäre verwundert, wenn er jetzt durch die Tür treten und seinen Dollarschein einlösen würde.