„Sand und Kompost rieb an meinen Knochen. Moos, Farn, Veilchen und Strelitzien wuchsen in meiner Haut, in meinen Gliedmaßen.“ Wenn die französische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hélène Cixous den Garten ihrer Kindheit in Algerien beschreibt, meint sie damit nicht nur einen ästhetischen Anziehungspunkt und Rückzugsort, sondern eine physische Erfahrung. Für Stephanie Rosenthal, die Kuratorin der Ausstellung „Garten der Irdischen Freuden“ im Berliner Gropius Bau, ist Cixous’ Text „Ein wirklicher Garten“ ein zentraler Bezugspunkt. Und das merkt man: diese Ausstellung strotzt und sprießt vor Kunst.
Sie lotet die Grenzen des Körpers und der Natur aus, hinterfragt das Anthropozän und fordert immer wieder die Sinnesorgane ihrer Besucher heraus. Doch Cixous schreibt auch über die Diskriminierung, die sie aufgrund ihres jüdischen Hintergrunds im von ihr beschriebenen Garten erfahren hat und die darauffolgende Entscheidung ihn zu verlassen. Dass manche innerhalb, andere außerhalb bestimmter gesellschaftlicher Räume stehen, ist ein weiteres Motiv, das sich durch die Ausstellung zieht, so Rosenthal.
„Wir verstehen den Garten als das Abgegrenzte, als das, wo Natur und Kultur zusammenkommen.“ Das exponierteste Beispiel für dieses Zusammentreffen ist „Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch aus dem späten 15. Jahrhundert, ein Triptychon, auf das auch der Ausstellungstitel zurückgeht. Das Bild ist das Herzstück der Ausstellung und verleiht der ansonsten sehr zeitgenössischen Werkauswahl einen kunsthistorischen Subtext. Die von Bosch gezeigte Landschaft bildet die harmonische Mitte zwischen zwei Darstellungen von Himmel und Hölle im Kontext des Sündenfalls.
Sie ist ein Phantasma, ein Ort der Verführung, der exzentrische Lustaufwallungen freilegt. Ein Ort, wo androgyn wirkende Figuren in bläulichen Gewässern planschen, in muschelartigen Gefäßen treiben und auf schwülstigen Tierwesen reiten. Wo Körperteile zu voluminösen Früchten anschwellen, Vogelkreaturen Menschen füttern und gen Himmel befördern. Ein Mensch scheint einem Tier im Reagenzglas zu begegnen, woanders ragen bunte Blumen aus einem Hinterteil. Boschs Garten ist eine schillernd-queere Utopie, die die Grenzen zwischen Geschlechtern, Hautfarben, oder gar Spezies als Überbleibsel einer vergangenen Welt erscheinen lässt.
Nicht nur die westlichen Perspektiven sollen abgebildet werden
„Es ist ein sehr zeitgemäßes Bild, das mich schon lange begleitet“, kommentiert Rosenthal. In Zeiten, wo die politischen und ökologischen Auswirkungen von Migration, Erderwärmung und Kolonialisierung immer deutlicher würden, gewinne das Bild neue Relevanz. In der Kunst könne man beobachten, wie das Gartenmotiv auf vielfältige Weisen neu interpretiert wird. Dieser Vielfalt gleichkommend habe man in der Konzeption der Ausstellung großen Wert darauf gelegt, nicht nur westliche Perspektiven abzubilden.
Unter den fast 20 Künstlerinnen und Künstlern, die sich dem Thema widmen, ist auch die Choreografin und Tänzerin Isabel Lewis, bekannt für ihre Gatherings, in denen sie diverse Kunstdisziplinen und Sinneseindrücke miteinander verschmelzen lässt. Am kommenden Eröffnungswochenende (Two Days of Earthly Delights) präsentiert Lewis eine eigens konzipierte Choreografie, „Sensorial Strolls“, die Boschs Triptychon performativ ergänzt und den nicht ausgestellten Innenflügeln seines Werks eine sogenannte „geisterhafte Präsenz“ verleiht. Musikalisch begleitet von einer Gruppe namens LABOUR werden Besucher von Lewis durch die Räume geführt, um ihre Sinne zu schärfen und die darauffolgende Rezeption der Bosch’schen Mitteltafel vorzubereiten.
Boschs Triptychon ließe sich aus heutiger Sicht auch als Warnung vor einer gefährdeten Umwelt oder gar einer Klimakatastrophe lesen. Dass das Gartenmotiv in der Kunst aber nicht nur als moralische Mahnung dient, sondern durchaus auch futuristische Möglichkeitsräume zwischen Natur und Kultur aufzeigen kann, verdeutlichen Hicham Berradas Arbeiten eindrücklich: Es sind meist künstlich erzeugte Formenwelten, wie animalische Rückstände einer noch bevorstehenden Katastrophe, korallenartige Gebilde in wucherndem Ocker und phallischem Silikon, wie einer Zwischenzone von Leben und Jenseits entsprungen.
„Mesk-Ellil“, Berradas Arbeit, die der Gropius Bau zeigt, war erstmals 2015 auf der Lyon Biennale zu sehen. Sie besteht aus sieben, in schummriges Dunkelblau getauchten Gewächshäusern, in denen der nachtblühende Jasmin aufkeimen soll: ein südliches Gewächs, das durch die Bestrahlung eines künstlichen Mondschimmers stimuliert wird. Der Tag-Nacht-Rhythmus der Pflanze wird somit verkehrt und ihr süßlicher Duft, der manchen schlaflose Nächte bereitet, bei anderen gar Fieber auslösen soll, sinnlich erfahrbar. „Wenn ich als Kind bei meinem Großvater in Marokko war, mussten wir wegen dieser Pflanze nachts oft die Fenster schließen“, erinnert sich Berrada.
Seine technoiden Terrarien sind wie ein Vorblick auf eine Welt, in der die Potenziale des Menschen symbiotisch mit jenen der Umwelt verwachsen. „Die Anwesenheit im Garten“, schreibt der Gartenarchitekt Gilles Clément in seiner Abhandlung „Gärten, Landschaft und das Genie der Natur“, „setzt einen nackten Geist und einen sich aussetzenden Körper voraus. Dann ist es möglich, das Träumen zu wagen.“
Rashid Johnson mag in der Konzeption von „Antoine‘s Organ“ eine ähnliche Vorstellung im Sinn gehabt haben: der Garten als kontemplativer Sehnsuchtsort, als Wunschbild der Welt. Seine Arbeit wird sehr präsent im Lichthof des Gropius Baus installiert und zeigt eine collagenartige Skulptur, als organisches Zusammenspiel: ein schwarzes Stahlgerüst, in dessen Zwischenräumen Topfpflanzen, LED-Leuchten und diverse andere Objekte wie kleine Monitore und Musikverstärker aufgebaut stehen.
Baldwins Performance unterstreicht die lebensspendende Kraft der Musik
Johnson, der sich in seiner Kunst intensiv mit schwarzer Identität auseinandersetzt, hat auch diverse Bücher darin angeordnet: etwa „The End of Blackness“ von Debra J. Dickerson, das eine Welt nach dem Mythos weißer Vorherrschaft antizipiert, oder „Between the World and Me“, der berühmt gewordene Brief des US-amerikanischen Journalisten Ta-Nehisi Coates an seinen Sohn. Den Kern im Inneren der Skulptur bildet ein hinter Blättern verborgenes Klavier. Durch das Laub hindurch lässt der Pianist Antoine Baldwin Melodien nach außen dringen. Baldwins Performance, ebenfalls am Eröffnungswochenende zu hören, unterstreicht die lebensspendende Kraft der Musik.
Es gibt sicherlich mehr als nur ein Highlight in dieser Ausstellung. Zum Beispiel Taro Shinodas an Zen-Gärten in Kyoto angelehnte Marmorskulpturen, Jumana Mannas 64-minütige Videoarbeit „Wild Relatives“ oder Korakrit Arunanondchais fluoreszierender Videoschrein „2012-2555”. „Ich explodierte“, heißt es am Ende von Cixous’ Text – eine Empfindung, die in vielen der Arbeiten im „Garten der Irdischen Freuden“ nachhallt. „Früher hätte ich mich gefürchtet. Jetzt aber wusste ich, dass der Garten ich war. Ich war der Garten. Ich war in ihm. Ich bestand aus einzigartigen Diamanten, hatte keinen Namen. ‚Erde, Erde‘, schrie ich.“