Die Arbeitsweise der Künstlerin zeichnet sich durch mediale Vielgestaltigkeit aus: Zeichnungen, Malereien, Fotografien und Skulpturen stehen gleichbedeutend neben Installationen, Performances und Videofilmen. In ihren Werken führt Friðriksdóttir unterschiedliche kulturelle, religiöse und psychische Ebenen zu einem eigenwilligen ästhetischen Zeichen-, Formen- und Bedeutungskanon zusammen. Dies gilt vor allem für die Filme, die mit ihren surrealen Szenarien und der Aufhebung klassischer Erzählmuster eine wundersam anmutende Welt entstehen lassen, in der sich rätselhafte Traumbilder mit Geschichten aus der altnordischen Mythologie und sexualpsychologischen Bezügen verweben. In ihren Filmen hat Friðriksdóttir auch mehrmals mit dem isländischen Popstar Björk zusammengearbeitet. Für die SCHIRN schafft Gabríela Friðriksdóttir unter dem Titel „Crepusculum“ (Dämmerung, Abendrot) einen Raum, in dem sich mittelalterliche isländische Handschriften mit dem geheimnisvollen Zeichensystem der Künstlerin sowie einer neuen Filmproduktion zu einer mystischen Landschaft verdichten. Die Handschriften, die zum zentralen Kulturgut Islands zählen, verlassen zu diesem Anlass erstmals die Insel.
Gabríela Friðriksdóttir, 1971 in Reykjavík geboren, studierte an der RYMI School of Art in Reykjavík sowie an der Akademie der bildenden Künste in Prag, bevor sie 1997 an der Icelandic Academy of Art mit einem Bachelor of Arts in Skulptur abschloss. International bekannt wurde sie durch die Teilnahme an der 51. Biennale di Venezia 2005, wo sie als jüngste Teilnehmerin ihr Land repräsentierte und den isländischen Pavillon mit ihrer Multimedia-Installation „Versations/Tetralogia“ bespielte.
Gabríela Friðriksdóttir hat sich als integraler Bestandteil einer jungen isländischen Künstlergeneration etabliert, die, durch die isolierte Lage der nordischen Insel von den Kulturtraditionen Kontinentaleuropas nur peripher beeinflusst, unbeschwert mit den unterschiedlichsten Gattungen, Genres und Medien experimentiert. Das wird bei Gabríela Friðriksdóttir durch zahlreiche Kollaborationen mit Musikern, Designern und Theatermachern besonders deutlich. So arbeitete sie mit dem französischen Designbüro M/M (Paris) ebenso zusammen wie mit der isländischen Musikerin Björk Guðmundsdóttir. Für deren CD-Boxset „Family Tree“ (2005) steuerte sie Zeichnungen und Fotografien bei und inszenierte den Videoclip „Where is the Line“ (2005), während die Musikerin im Gegenzug – wie viele Freunde und Künstlerkollegen – in Friðriksdóttirs Filmen als Darstellerin mitwirkte.
Die Lust am Erforschen drückt sich in Gabríela Friðriksdóttirs Werk vor allem in der Vielfalt der verwendeten Medien aus, die allesamt ein Set eigener ästhetischer Zeichen, Formen und Bedeutungen verbindet und die sich durch eine Verschmelzung von organischen und synthetischen Materialien, von Zartem und Rohem, Schönheit und Ekel auszeichnen. Dieser verschlüsselte und nur annäherungsweise deutbare Kanon erfährt in ihren Videoarbeiten, in denen Friðriksdóttir die Grenzen des menschlichen Seins, der Gefühle und des Verlangens auslotet, seine Steigerung. Rätselhafte Traumbilder geben Einblicke in verdunkelte Bewusstseinsregionen; die Arbeiten oszillieren zwischen Motiven aus nordischen Sagas und Bezügen auf die Populärkultur von Horrorfilmen bis Heavy Metal, sexualpsychologischen Elementen und dem Assoziationsfeld spiritueller Exerzitien, Vergangenem und Gegenwärtigem.
Die wiederkehrenden Versatzstücke dieser surreal anmutenden Szenarien wie Mehl, Staub, Sand, Lehm, Fäden, Wurzeln, Holz, Feuer, Tarot oder Schlangen gehorchen einer individuellen Mythologie Friðriksdóttirs und scheinen wie die auftauchenden Landschaften und deren zumeist poröse, schrundige Oberflächenstrukturen wie nicht von dieser Welt. Ebenso verhält es sich mit den Kreaturen, die diese Welten bevölkern, und ihren Gewandungen aus grob vernähter Jute oder Fell, aus Teig, Bandagen, Plastik, Heu, Haaren und schlammiger Erde – nebst dem, was sich aus ihren Körperöffnungen drängt: Kot, Blut, Schleim, sich wurmartig Windendes oder gallertartiges Schwarz. Durch die Dekonstruktion linearer Erzählmuster und tradierter Handlungsvorstellungen sowie den Verzicht auf jegliche Konversation entstehen Filmkunstwerke voller gemäldehafter Anmut und exzentrischer Fantasie, denen eine eindringliche rohe Kraft innewohnt.
Für die SCHIRN Kunsthalle hat Gabríela Friðriksdóttir unter dem lateinischen Titel „Crepusculum“, der Dämmerung oder Abendrot bedeutet, eine Installation geschaffen, deren mythisches Raumgefühl aus dem Gegensatz von Hell und Dunkel entsteht. In einer dämmrigen Wüstenlandschaft, einem Zwischenreich aus Tag und Nacht, verdichtet sich das geheimnisvolle Zeichensystem der Künstlerin mit einer neuen Filmproduktion, Klängen und Tönen sowie acht integrierten originalen mittelalterlichen Handschriften zu einem fantastischen Universum.
Friðriksdóttir legt auch in ihrem aktuellen Werk Spuren zu der Zeit, in der Magie grundsätzlich zum Kern des Weltbildes gehörte, Melancholie noch nichts mit klagender Resignation und Apathie zu tun hatte und unter Okkultismus geheime Wissenschaften wie Magie, Astrologie und Alchemie verstanden wurden, in denen es um Wissen, Welt- und Selbsterkenntnis ging. Mit „Crepusculum“ stößt Gabríela Friðriksdóttir zu den Ursprüngen ihres Schaffens vor, einem persönlichen Werk, das Motive und Themen ihrer Arbeit bündelt und als intensive Auseinandersetzung mit der Tradition und Kultur Islands große Suggestionskraft entwickelt.