Freitagabend, 19 Uhr. Das Foyer der SCHIRN Kunsthalle ist zum Bersten gefüllt. Nur einer fehlt: Direktor Max Hollein kann aus Krankheitsgründen bei der letzten großen Ausstellungseröffnung des Jahres nicht dabei sein. „Das bedauert er sehr“, sagt Christian Strenger, Vorsitzender der Schirnfreunde e.V., der die erste Rede des Abends hält und den Gästen verspricht: „Diese Ausstellung wird Sie provozieren, vielleicht schockieren, aber ganz sicher faszinieren. Denn genau das haben die Werke von Edward Kienholz und Nancy Reddin Kienholz schon seit allen Anfängen getan.“
Eine nahezu ungebrochene Aktualität
Die Kuratorin der Ausstellung Martina Weinhart betont, dass die Kienholz’schen Arbeiten „die Finger auf die Bruchstellen der westlichen Gesellschaften legen, die bis heute kaum gekittet worden sind. Das Werk erhält dadurch eine nahezu ungebrochene Aktualität.“ Am Ende ihrer Rede wendet sich Martina Weinhart an die Künstlerin, die in der ersten Reihe sitzt: „Mein tiefer und herzlicher Dank geht an meine größte Komplizin bei diesem Abenteuer: Nancy Reddin Kienholz.“
Die Deutschen besitzen eine spezielle Sensibilität
Danach tritt die Künstlerin selbst ans Rednerpult. Mit leiser Stimme, aber sehr bestimmt spricht sie über das Werk von ihr und ihrem 1994 verstorbenen Mann Edward. 1972 heiratete sie Edward Kienholz, seitdem arbeiteten die beiden zusammen. Und sie spricht auch über ihre besondere Verbindung zu Deutschland. Ab 1973 pendelten Edward und Nancy Reddin Kienholz regelmäßig zwischen Idaho und Berlin, wo sie enge Kontakte zur deutschen Kunstszene pflegten: „Die Deutschen besitzen eine spezielle Sensibilität für das Kienholz’sche Werk, das sich mit harten Themen beschäftigt. Sie waren nicht schockiert, denn sie haben in ihrer Geschichte viel Schmerz und Leid durchgemacht. Kienholz war einfach eine schmerzhafte Erfahrung mehr.“ Zum Schluss rührt sie die Zuhörer, als sie von ihrem verstorbenen Mann spricht: „Es tut mir leid, dass er nicht hier sein kann, aber ich denke sein Geist ist anwesend.“
Von weither angereist
Großer Applaus. Und große Spannung auf die Ausstellung. Die Besucher strömen die Treppen hinauf. Unter ihnen sind viele, die für die Ausstellung von weither angereist sind. Die Kienholz-Galeristin Jade Mitchell aus London, der Sammler Jim Canion und der Freund und Galerist von Nancy Reddin Kienholz, Peter Goulds, aus Los Angeles und seine Galeriemanagerin Lisa Jann. Die Ausstellung gibt einen großzügigen Überblick über das gesamte Kienholz’sche Werk: von den ersten Arbeiten aus den 1960er-Jahren, die Edward Kienholz noch ohne Nancy fertigte, über die Konzept-Tableaus bis zu den raumfüllenden Installationen.
75 Prozent stimmten mit nein
Am spektakulärsten ist die „The Ozymandias Parade“ am Ende der Schau. 687 Glühbirnen blinken in den deutschen Nationalfarben schwarz, rot, gold (sie werden jeweils dem Präsentationsland angepasst). Auf dem Narrenschiff führt ein finsterer Präsident eine dekadente Parade der Macht an. Er trägt eine Augenbinde, auf der „No“ steht. Ein „Nein“, über das Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht erfreut sein dürfte. Es ist das Ergebnis einer Umfrage, an der sich rund 2000 im Vorfeld der Ausstellung beteiligt haben. Sie sollten eine einzige Frage beantworten: „Sind Sie mit Ihrer Regierung zufrieden?“ 75 Prozent stimmten mit nein.
Die Auswahl demonstriert das gesamte Spektrum
Vor der Installation steht Peter Boris. Er ist Kunsthändler in New York, mit Nancy Reddin Kienholz befreundet und hat mit ihr auch schon an Projekten zusammengearbeitet. „Ich war oft im Kienholz’schen Atelier, ich kenne die Sammlung sehr gut. Aber niemals zuvor habe ich so viele Kienholz-Werke versammelt gesehen, wie in dieser Schau. Die Auswahl demonstriert das gesamte Spektrum der Interessen von Edward und Nancy Reddin Kienholz – Religion, Tod, Sex, Krieg, Politik. Ich denke, dies ist zurzeit eine der großartigsten Ausstellungen der Welt.“
Diese Schau ist sehr lebendig
Marianne Kewenig hatte einen nicht ganz so weiten Weg. Sie kommt aus Berlin, dort lernten sie und ihr Mann 1980 Ed und Nancy Reddin Kienholz kennen: „Wir haben uns spontan gemocht. In der Direktheit, mit der Ed und Nancy Dinge angingen, waren wir einander sehr ähnlich“, verrät sie. Bis heute ist sie eine enge Freundin von Nancy Reddin Kienholz und verbringt ihre Sommer bei ihr in Idaho. „Diese Schau ist sehr lebendig, nah am Leben. Aber man muss auch sehr genau hinsehen, denn es ist nichts Kulinarisches dabei“, sagt sie und lacht.
Kulinarischer geht es unten im Foyer zu. Dort gibt es Snacks und Wein. Und die Besucher feiern die Eröffnung noch bis spät in den Abend hinein.