Ein Liebesbrief von Oscar Wilde

15.10.2024

7 min Lesezeit

Host:
Marthe Lisson
Chunqing Huang

Zu Oscar Wildes 170. Geburtstag ist in Bad Homburg die Ausstellung „De Profundis“ der Frankfurter Künstlerin Chunqing Huang zu sehen. Inspiriert von dem Liebesbrief, den Wilde im Gefängnis für seinen Liebhaber verfasste, imaginiert sich die Künstlerin in den Entstehungskontext der berühmten Schrift hinein.

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1897 rich­tete der inhaf­tierte Dich­ter Oscar Wilde einen langen „offe­nen“ Brief an seinen Lieb­ha­ber Lord Alfred Douglas. Drei Monate schrieb und revi­dierte er, bis das Ergeb­nis 80 dicht beschrie­bene Seiten umfasste. 1905 wurde er post­hum als „De Profun­dis“ veröf­fent­licht. Darin rech­nete er nicht nur mit Douglas – genannt Bosie und Grund für Wildes Inhaf­tie­rung – ab, er verzeiht ihm. Douglas‘ Vater hatte Wilde aufgrund der homo­se­xu­el­len und im Vikto­ria­ni­schen England straf­ba­ren Bezie­hung zu seinem Sohn ange­klagt. Douglas selbst inter­ve­nierte nicht. Dieser Liebes­brief ist ein bewe­gen­des Doku­ment, das Einblick gibt in Wildes Gedan­ken­welt am Ende seiner Gefäng­nis­zeit und nach einem gesell­schaft­li­chen Fall, wie er tiefer nicht sein konnte. „De Profun­dis“ liest sich als Dialog Wildes mit sich selbst, als ein Sich-von-der-Seele-schrei­ben, eine – wie soll es aus seiner Feder anders sein – intel­li­gente Analyse seines Gegen­übers und seiner Selbst. Es ist ein Doku­ment „aus der Tiefe“ (de profun­dis), das trotz der düste­ren Situa­tion seines Autors, oder gerade deswe­gen, voll von Hoff­nung ist und einen Mann erken­nen lässt, der das Leben nach zwei Jahren Gefäng­nis mit ganz neuen Augen betrach­tet.

Die Gefängniszelle von Oscar Wilde im Reading Gaol, 2016
Image via wikipedia.org
Oscar Wilde, 1889, Foto: W. & D. Downey
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„The most terri­ble thing about it [prison-life] is not that it breaks one’s heart – hearts are meant to be broken – but that it turns one’s heart to stone.“

Oscar Wilde, „De Profundis“

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1897 rich­tete der inhaf­tierte Dich­ter Oscar Wilde einen langen „offe­nen“ Brief an seinen Lieb­ha­ber Lord Alfred Douglas. Drei Monate schrieb und revi­dierte er, bis das Ergeb­nis 80 dicht beschrie­bene Seiten umfasste. 1905 wurde er post­hum als „De Profun­dis“ veröf­fent­licht. Darin rech­nete er nicht nur mit Douglas – genannt Bosie und Grund für Wildes Inhaf­tie­rung – ab, er verzeiht ihm. Douglas‘ Vater hatte Wilde aufgrund der homo­se­xu­el­len und im Vikto­ria­ni­schen England straf­ba­ren Bezie­hung zu seinem Sohn ange­klagt. Douglas selbst inter­ve­nierte nicht. Dieser Liebes­brief ist ein bewe­gen­des Doku­ment, das Einblick gibt in Wildes Gedan­ken­welt am Ende seiner Gefäng­nis­zeit und nach einem gesell­schaft­li­chen Fall, wie er tiefer nicht sein konnte. „De Profun­dis“ liest sich als Dialog Wildes mit sich selbst, als ein Sich-von-der-Seele-schrei­ben, eine – wie soll es aus seiner Feder anders sein – intel­li­gente Analyse seines Gegen­übers und seiner Selbst. Es ist ein Doku­ment „aus der Tiefe“ (de profun­dis), das trotz der düste­ren Situa­tion seines Autors, oder gerade deswe­gen, voll von Hoff­nung ist und einen Mann erken­nen lässt, der das Leben nach zwei Jahren Gefäng­nis mit ganz neuen Augen betrach­tet.

Begrenzung als Ausgangspunkt

Recht­zei­tig zu Wildes 170. Geburts­tag am 16. Okto­ber, ist in der Engli­schen Kirche Bad Homburg die Ausstel­lung „De Profun­dis“ zu sehen. Sie zeigt die gleich­na­mige neue Werk­reihe der Frank­fur­ter Künst­le­rin Chun­qing Huang. Seit eini­gen Jahren setzt sich Huang mit Wildes Brief ausein­an­der und die Ausstel­lung zeigt nun erst­mals ein Zwischen­er­geb­nis, denn abge­schlos­sen ist die Ausein­an­der­set­zung mit ihnen noch lange nicht. Die Engli­sche Kirche bietet einen passen­den Ort. Oscar Wilde (wohl­ge­merkt Ire) weilte 1892 in Bad Homburg zur Kur – „to take the waters“ – und man kann vermu­ten, dass er die Engli­sche Kirche besucht hatte. Die räum­li­che und seeli­sche Enge nach­zu­emp­fin­den, die Oscar Wilde im Gefäng­nis gefühlt haben muss, ist natür­lich unmög­lich. Doch nahm Huang die Aspekte der Enge, des begrenz­ten Raums, als Ausgangs­punkt für ihr Arbei­ten: auf ihrem Atelier­bo­den klebte sie den Grund­riss der Wilde’schen Gefäng­nis­zelle in Reading Gaol ab, etwa drei mal zwei Meter, und schuf in der Folge alle Bilder der Reihe in dieser „Gefäng­nis­zelle“.

Chunqing Huang, De Profundis, Installationsansicht, Englische Kirche Bad Homburg, 2024
Foto: Chunqing Huang

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Große Lein­wände hatten darin keinen Platz, ausla­dende Pinsel­be­we­gun­gen waren unmög­lich. Zu leicht wäre Huang an die imagi­nä­ren Gefäng­nis­mau­ern gesto­ßen. Also: trop­fen. Die 27 Lein­wände, in der Ausstel­lung zu neun unkon­ven­tio­nel­len Tripty­chen arran­giert, zeigen tief­schwarze getropfte Punkte auf einem groben grau-brau­nen und durch­sich­tig grun­dier­ten Lein­wand­stoff. Aus unter­schied­li­chen Höhen ließ Huang verdünnte Ölfarbe auf die Lein­wände trop­fen. Manch­mal mit Hilfe eines Pinsels, manch­mal mit zwei oder drei Pinseln gleich­zei­tig.

Schwarze Tränen, Trauer, Einschusslöcher?

Die tief­schwar­zen Punkte, zufäl­lig oder gar will­kür­lich auf der Lein­wand verstreut, haben etwas Hypno­ti­sie­ren­des. Sind es Oscar Wildes schwarze Tränen? Sind es Einschuss­lö­cher? Die Spuren eines symbo­li­schen Abknal­lens einer Persön­lich­keit, eines Rufs, eines Werks und letzt­lich einer Seele? Die Punkte sind so schwarz, dass man meint, in unzäh­lige Schwarze Löcher unse­rer Gala­xie gleich­zei­tig zu schauen. Sie sind abgrund­tief schwarz, wie auch Bosies Charak­ter abgrund­tief gewe­sen sein muss. Es ist ein Schwarz, das alles in sich aufsaugt und selbst einen schil­lern­den Oscar Wilde in sich aufge­so­gen hätte. Schwarz ist natür­lich auch – im christ­li­chen Kultur­kreis – die Farbe der Trauer. Trauer, die man beim Lesen seines Brie­fes und Schick­sals nach­emp­fin­det.

Chunqing Huang, De Profundis, Installationsansicht, Englische Kirche Bad Homburg, 2024
Foto: Chunqing Huang
Detail: Chunqing Huang, De Profundis, Installationsansicht, Englische Kirche Bad Homburg, 2024
Foto: Chunqing Huang
Chunqing Huang, De Profundis, Installationsansicht, Englische Kirche Bad Homburg, 2024
Foto: Thomas Steinforth

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Huangs Bilder sind keine Illus­tra­tion des Brie­fes Oscar Wildes, viel­mehr diente er als Quelle der Inspi­ra­tion. Die Künst­le­rin arbei­tet nicht illus­tra­tiv, sondern asso­zia­tiv. Alle drei Lein­wand­for­mate sind an die Größen­ver­hält­nisse eines Blatt Papiers ange­lehnt. Und das Grau-braun der Lein­wand? Viel­leicht ist es das Herz, das zu Stein gewor­den ist, auch wenn ein Herz aus Stein nicht in der Lage gewe­sen wäre, solch einen Liebes­brief zu verfas­sen.

Porträt der Künstlerin
Foto: Wolfgang Stahr
Porträt der Künstlerin
Foto: Wolfgang Stahr

Chunqing Huang / De Profundis

Englische Kirche Bad Homburg
Bis zum 10. November 2024

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