Ein Laboratorium für Kunst im
öffentlichen Raum

30.09.2024

8 min Lesezeit

Autor*in:
Sarah Dornhof
Casablanca Art School

Die Casablanca Art School wollte Kunst zu einem Teil des städtischen Lebens machen, sichtbar für alle und in Interaktion mit der Alltagskultur der Stadt. Das bis heute fortbestehende Kulturfestival „Asilah Moussem Culturel“ zeigt, wie sie diese großen Ideen umzusetzen verstanden.

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Seit den späten 1960er-Jahren sind Künst­ler*innen der Casa­blanca Art School neue Wege gegan­gen, um ihre Kunst im Stadt­raum zu zeigen und die Stadt als Refle­xi­ons­raum für ihre Kunst zu nutzen. Nach­dem sie dies 1969 zunächst mit den Stra­ßen­aus­stel­lun­gen „Présence Plas­tique“ auf öffent­li­chen Plät­zen in Marra­kesch und Casa­blanca erprob­ten, mach­ten sie seit 1978 auch die kleine Stadt Asilah im Norden Marok­kos zu einem Labo­ra­to­rium für Kunst im öffent­li­chen Raum. Ihr Anlie­gen, Kunst aus den elitä­ren Insti­tu­tio­nen auf die Straße zu holen und in einen Austausch mit der Kultur und dem künst­le­ri­schen Erbe marok­ka­ni­scher Städte zu brin­gen, klang in Asilah nach und nahm neue Töne an, auch wenn kaum ein Echo davon in die großen Städte zurück­ hallte.

Programmatische Manifesto-Ausstellung Présence Plastique, Place du 16 Novembre, Casablanca, Juni 1969

Mit der Kunst­hoch­schule verbun­den war das Festi­val „Asilah Mous­sem Cultu­rel“ dabei vor allem durch seinen Mitbe­grün­der, Moha­med Melehi. Gemein­sam mit seinem Freund aus Kind­heits­ta­gen, Moha­med Benaïssa, der zum dama­li­gen Zeit­punkt im Stadt­par­la­ment von Asilah saß und ab den 1980er-Jahren verschie­dene Minis­ter- und Diplo­ma­ten­pos­ten inne hatte, begrün­dete er zusam­men mit Toni Maraini 1978 das Festi­val in seiner Heimat­stadt Asilah – einer klei­nen, histo­risch reichen, damals jedoch recht vernach­läs­sig­ten Stadt an der Atlan­tik­küste nicht weit von Tanger.

Ein progressives Festival in politisch unruhigen Zeiten

Melehi hatte sich bereits Anfang der 1970er-Jahre von einem links orien­tier­ten Kreis inner­halb der Casa­blanca Art School distan­ziert. Die Zeit­schrift „Souf­fles-Anfas“ hatte er noch vor ihrem Verbot 1972 und der Verhaf­tung ihrer Mitbe­grün­der verlas­sen, worauf­hin er begann, die Zeit­schrift „Inte­gral“ heraus­zu­ge­ben. Die Grün­dung des „Mous­sem“ von Asilah ist also auch vor dem Hinter­grund massi­ver poli­ti­scher sowie kultu­rel­ler Repres­sio­nen in Marokko zu sehen. In dieser Zeit gelang es Melehi, Maraini und Benaïssa, ein großes inter­na­tio­na­les Festi­val an einem klei­nen Ort fernab der Macht­zen­tren zu begrün­den, das neue parti­zi­pa­tive Kunst­for­mate und progres­sive Debat­ten im öffent­li­chen Raum ermög­lichte und zugleich die Unter­stüt­zung der Monar­chie und inter­na­tio­na­ler Förde­rer, vor allem aus den Golf­staa­ten, fand. Nichts­des­to­trotz gab es auch lokale Initia­ti­ven, Schrift­stel­ler*innen und Intel­lek­tu­elle, die eine Vermark­tung von Kultur und die Verdrän­gung loka­ler Künste durch die poli­ti­schen und ökono­mi­schen Inter­es­sen des „Mous­sem“ fürch­te­ten, das in ihren Augen vor allem auf städ­ti­sche Entwick­lung und weni­ger auf eine künst­le­ri­sche Bewe­gung setzte.

Wandgemälde von Mohammed Chabâa, Asilah-Kulturfestival, Asilah, Marokko, 1978
Foto: Mohamed Melehi / Mohamed Melehi Estate
Wandmalereien von Farid Belkahia (Mitte) und Mohammed Hamidi (rechts), Asilah, Marokko. 1978, wie veröffentlicht in Asilah: Premier moussem culturel, juillet/août 1978, Ausstellungskat. (Casablanca: Shoof, 1978).
Abdruck mit Genehmigung des Fotografen Mohammed Melehi; Image via contemporaryand.com
Hussein Miloudi, Wandmalerei, Asilah, Marokko. 1978, wie veröffentlicht in Asilah: Premier moussem culturel, juillet/aout 1978, Ausstellungskat. (Casablanca: Shoof, 1978)
Fotografie von Mohammed Melehi. Nachdruck mit Genehmigung von Mohammed Melehi und Hussein Miloudi; Image via contemporaryand.com

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Während der Sommer­mo­nate 1978 war in Asilah bereits ein inter­na­tio­na­les Kultur­fes­ti­val geplant, das sich mit dem von Benaïssa, Maraini und Melehi initi­ier­ten „Mous­sem“ zum Teil vermengte. Entspre­chend divers und nahezu über­la­den war das Programm im ersten Jahr. Über mehrere Wochen im Sommer fanden Ausstel­lun­gen, Konzerte, Thea­ter- und Film­auf­füh­run­gen statt, ergänzt durch Work­shops, Werk­stät­ten und Konfe­ren­zen. Bereits im Früh­jahr wurden bedeu­tende Künst­ler*innen Marok­kos einge­la­den, die zugleich auch Vertre­ter*innen der Casa­blanca Art School waren oder zu ihrem Umfeld zähl­ten, um Haus­fas­sa­den in Asilah zu gestal­ten, darun­ter: Farid Belkahia, Moha­med Melehi, Miloud Labied, Moha­med Hamidi, Moha­med Chabâa, Saad Hassani, Chai­bia Talal, Hossein Miloudi, Moha­med Kacimi und Abder­rah­mane Rahoule.
Ihre großen, farb­in­ten­si­ven Wand­ma­le­reien auf den weißen Häusern der Medina, dem alten Teil der Stadt, wurden zum Marken­zei­chen des neuen Festi­vals und Küsten­orts. Sie entstan­den meist in Zusam­men­ar­beit mit Schul­kin­dern, verblie­ben das Jahr über auf den Wänden und wurden zur nächs­ten Edition des Festi­vals von den jeweils einge­la­de­nen Künst­ler*innen wiederum neuge­stal­tet. Von Beginn an wurde zudem Wert darauf­ge­legt, die Bewoh­ner*innen Asilahs in das Festi­val einzu­bin­den. Die loka­len Geschäfte konn­ten während des Sommers von den tausen­den Besu­cher*innen profi­tie­ren, Geld floss in die Restau­rie­rung von histo­ri­schen Gebäu­den und städ­ti­scher Infra­struk­tur, ein alter Palast wurde zum Kultur­zen­trum ausge­baut und neue kultu­relle Einrich­tun­gen wurden errich­tet. Vor allem Kinder und Jugend­li­che konn­ten sich unter der pädago­gi­schen Leitung von Toni Maraini betei­li­gen, indem sie dabei halfen, die Haus­fas­sa­den weiß zu tünchen, die Stadt sauber zu halten und den Künst­ler*innen bei ihrer Arbeit zu assis­tie­ren.

Ein Wandgemälde in Asilah, Marokko. 2018
Foto: Yassine Balbzioui, Foto Courtesy Assilah Forum Foundation; Image via contemporaryand.com

Zwischen kommunalen Traditionen und Neuerungen

Dieser inte­gra­tive und saiso­nale Aspekt des Festi­vals spie­gelt sich auch in dem Wort „Mous­sem“, im marok­ka­ni­schen Dialekt die Bezeich­nung für ein jähr­li­ches kommu­na­les Fest anläss­lich einer Ernte­zeit oder der Vereh­rung eines Heili­gen. Der Bezug auf kommu­nale Tradi­tio­nen mag dazu gedient haben, sich von dem beste­hen­den inter­na­tio­na­len Festi­val abzu­gren­zen und die Akzep­tanz für Neues durch den Bezug auf kultu­rell Veran­ker­tes zu stär­ken, insbe­son­dere für die Wand­ma­le­reien, die das Stadt­bild komplett verän­der­ten. Ande­rer­seits sollte dies nicht darüber hinweg­täu­schen, dass das bis heute fort­be­ste­hende „Mous­sem“ von Asilah über die Jahre einen recht exklu­si­ven Charak­ter annahm, oft die immer glei­chen Künst­ler*innen einge­la­den waren und sich das Festi­val wenig um die Förde­rung jünge­rer Künst­ler*innenge­ne­ra­tio­nen und künst­le­ri­sche Neue­run­gen bemühte oder ihnen gegen­über auch nur offen­stand.
Fokus­siert man hinge­gen die frühen Festi­val-Editio­nen, lässt sich fest­hal­ten, dass in Asilah im Klei­nen gelang, was sich an großen Ideen bereits zuvor in Casa­blanca entwi­ckelt hatte: Verschie­dene Künste, Stile, Herkünfte und Gene­ra­tio­nen trafen aufein­an­der und mach­ten Kunst und Kultur zu einem prägen­den Merk­mal der Stadt. Das „Asilah Mous­sem Cultu­rel“ wurde somit zu einem umfas­sen­den kultur­po­li­ti­schen Projekt, bei dem der kleine Küsten­ort während eini­ger Wochen im Sommer zu einer Bühne und einem inter­na­tio­na­len Begeg­nungs­ort für Künst­ler*innen, Schrift­stel­ler*innen und Intel­lek­tu­elle wurde, aber auch zu einem Gestal­tungs- und Gedan­ken­raum für post­ko­lo­niale kultu­relle Entwick­lun­gen in afri­ka­ni­schen und arabisch-gepräg­ten Ländern.

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