Durch einen Kubus Natur neu sehen
23.12.2024
8 min Lesezeit
Bereits in seinem Frühwerk setzte sich Hans Haacke mit dem Verhältnis von Kunst und Natur sowie dem gesellschaftlichen Interesse an Wechselbeziehungen zwischen Lebewesen und Umwelt auseinander. Die Themen sind aktuell geblieben. Viele Künstler*innen arbeiten sich weiterhin oder gerade verstärkt angesichts der eskalierenden Klimakrise an der Relation von Kunst und Natur ab – darunter auch Amy Balkin.
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Eine Aufnahme von Hans Haackes Kölner Atelier aus dem Jahr 1965 zeigt die Formenvielfalt, mit der er zu dieser Zeit die Materialien Plexiglas und Wasser kombiniert. Zu sehen sind insgesamt drei Werke: die im Raum hängende „Große Wasserwaage“ (1964-65), sowie zwei Kondensationskästen.
Haacke hatte solche Kästen seit 1963 in verschiedenen Ausführungen gebaut. Die gleichseitige Version mit dem Titel „Condensation Cube“ ist aktuell in der Retrospektive der SCHIRN zu sehen und wohl am bekanntesten. Von ihr gibt es zwei Größen, daneben existiert die hochaufragende „Condensation Wall“, und ein flachrechteckiger „Kondensationsboden“. Gemein ist allen, dass sie eine kleine Menge Wasser einschließen und somit in ihrem Inneren den unendlichen Kreislauf der Verdunstung und der Re-Kondensation bedingen. Er hinterlässt auf jeder Seite der Box einen filigranen Tropfenschleier: Ein poetisches Schauspiel, vorgeführt in einer transparenten Guckkastenbühne.
Ein Kubus im Museum
Von Beginn an war es für Haacke zentral, biologische, physikalische und soziale Systeme als gleichwertig zu begreifen und deren Verflochtenheit herauszustellen. Jene Atelierfotografie offenbart durch ihre Komposition nicht weniger als diesen künstlerischen Ansatz: Der Zylinder der „Großen Wasserwaage“ verbindet den hochaufragenden Kasten mit dem gleichseitigen Kubus optisch und fluchtet auf das Fenster zu. Zudem wählt Haacke für seine Aufnahme bewusst einen regnerischen Tag, um eine bildliche Analogie zwischen den Tropfen auf den Glasscheiben und jenen auf den transparenten Plexiglasflächen herzustellen. Durch diese visuelle Bezogenheit des Innen- und Außenraums, des Raumes der Natur und dem der Kunst, macht der Künstler deutlich: Das, was sich im Inneren seines Werkes abspielt, ist ein natürlicher Prozess, identisch mit jenem, der unser globales Klima mitbestimmt.
Konzipiert ist der „Condensation Cube“ aber eben ganz klar für den Innenraum: Jede anwesende Person wirkt sich durch ihre Körper-, genauso wie die Sonnen- oder Heizungswärme, direkt auf das Tempo aus, mit dem der Kondensationsprozess abläuft.
Mit der Wahl einer radikal simplifizierten, starren Form –dem Kubus –die er mit dem prozessualen Wasser konfrontiert, kommentiert Haacke fast nebenbei die zeitgleich aufstrebende US-amerikanische Minimal Art. Deren ausschließliche Verwendung von stereometrischen Grundkörpern brachte ein völlig neuartiges Konzept von Skulptur auf. Auch hier kamen oftmals Kunststoffe mit Glasoptik zum Einsatz, da deren Transparenz und/oder Reflexionseigenschaften Wahrnehmung und Raum befragen. Wie verhalten sich die Betrachter*innen zu den – vermeintlich – völlig eigenschaftslosen Boxen im Raum?
Haacke ging es mit seinem Kondensationskästen zwar ebenfalls um die körperliche Bezogenheit der Betrachtenden auf das Werk, aber nicht nur bezüglich des realen Umraums. Vielmehr dachte er an einen erweiterten künstlerischen und gesellschaftlichen Kontext. Das zeigt der Einfluss, den das Publikum ganz real auf die Kondensation hat. Unsere Präsenz, das Handeln und der Blick sollen nicht wie bei einer minimalistischen Skulptur am glatten Oberflächenfinish abprallen. Vielmehr kann sich ein jede Person, die durch den Kubus blickt, bewusstwerden, welche Rolle sie in unserer Gesellschaft zum Klimaprozess einnimmt.
Haackes Frühwerk ist Teil jener Kunstströmungen der 1960er- und 1970er-Jahren, die sich mit dem Verhältnis von Kunst und Natur auseinandersetzten und das erstarkende gesellschaftliche Interesse an Wechselbeziehungen zwischen Lebewesen und Umwelt und der neuen Erkenntnis, dass jene aus dem Gleichgewicht geraten sind, widerspiegeln. Diese Themen sind aktuell geblieben. Viele zeitgenössische Künstler*innen arbeiten sich weiterhin oder gerade verstärkt angesichts der eskalierenden Klimakrise an der Relation von Kunst und Natur ab.
Ein Kubus in der Luft
Wie „Public Smog“, ein Projekt der US-amerikanischen Künstlerin Amy Balkin, das sich seit 2004 fortlaufend aus diversen Handlungen und Visualisierungsstrategien der Künstlerin rund um die globale Luftverschmutzung konstituiert. Ein wichtiges Bild für „Public Smog“ ist eine Fotomontage auf der ein milchig- weißer Würfel über einer Aufnahme des Smog-verhängten Los Angeles schwebt.
Der Kubus symbolisiert einen Park für alle, der dadurch entsteht, dass Balkin Emissionszertifikate ankauft, zurückhält und sie damit der umweltverschmutzenden Industrie unzugänglich macht. Das so entstandene Volumina über jenem Gebiet, in dem die Zertifikate gehandelt und gekauft wurden, begründet einen ideellen quadratischen Raum, an dem eine Selbstverständlichkeit eingeatmet werden kann: reines, nicht krankmachendes CO2.
Zusammengefasst, dokumentiert und aktualisiert werden alle komplexen, administrativen, juristischen und finanziellen Prozesse von „Public Smog“ auf der begleitenden Website. So auch der Versuch, die Erdatmosphäre als Weltkulturerbe eintragen und schützen zu lassen. Unter allen darauf einsehbaren Dokumenten, Grafiken und Bildern stechen die Fotomontagen mit dem weißen Kubus heraus, weil die einfache Raumform die unsichtbare Luft greifbar macht. Nicht fassbar als tangibles Material, sondern als unsere Lebensgrundlage ,Luft‘ – und wie diese in eine kapitalistische Verwertungslogik übergegangen ist.
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