Dokumentarfilm-Highlights der Berlinale 2025

Die 75. Berlinale zeigte neben den Spielfilmen auch sehr gute Dokumentationen, etwa mit Protagonist*innen aus der ehemaligen DDR und dem Sudan, sowie gekonntes Understatement, gekonnte Übertreibung und Einblicke in eine Geschichte, die noch lange nicht vergangen ist. Hier sind einige unserer Favoriten.

Stolz & Eigensinn
(Gerd Kroske)

Es gibt schon auch die feminine Schreibweise. Aber manche Protagonistinnen in Gerd Kroskes Dokumentation bevorzugen doch die maskuline Form. „Bergmann“ könnte man sie nennen, erklärt eine von ihnen. Andere haben als Schuhfacharbeiterin, Industriemeisterin, Chemikerin oder Brückenführerin gearbeitet. „Stolz & Eigensinn“ lässt Frauen aus den ehemaligen Großbetrieben der DDR über sich und ihre Arbeit erzählen, während sie sich selbst beim Erzählen zusehen.

Durch einen Zufall war Dokumentarfilmer Kroske, der auf der Berlinale auch schon den bemerkenswerten „SPK-Komplex“ präsentiert hatte (ebenfalls an dieser Stelle empfohlen), auf Bandaufnahmen des ehemaligen Leipziger Piratensenders KANAL X gestoßen. Diese Aufnahmen zeigen Arbeiterinnen wenige Jahre nach der Wende an ihrem Arbeitsplatz. Drei Jahrzehnte später sucht Kroske einige von ihnen erneut auf, spielt ihnen die alten Bänder vor und lässt sie ihren eigenen Werdegang reflektieren – geprägt von politischen Umbrüchen, der Erfahrung einer Bundesrepublik, in der Gleichberechtigung oft hinterherhinkt, und dem Wegfall ihrer selbstbestimmten Berufstätigkeit. Ein Dokumentarfilm, der sich ganz auf seine Protagonistinnen verlässt: selbstbestimmte Frauen aus einem Land, das es nicht mehr gibt.

Cornelia Patzwald, Stolz & Eigensinn | Pride & Attitude von Gerd Kroske; DEU 2025, Forum
© realistfilm

Khartoum
(Anas Saeed, Rawia Alhag, Ibrahim Snoopy, Timeea M Ahmed, Phil Cox)

Einer der größten humanitären Katastrophen findet derzeit unter dem Radar der medialen Öffentlichkeit statt. Seit April 2023 wütet mit dem Einmarsch der RSF-Milizen ein blutiger Bürgerkrieg im Sudan, der bis heute Millionen Menschen vertrieben hat. Unzählige weitere befinden sich derzeit auf der Flucht. Besonders betroffen sind die Bewohner*innen der Hauptstadt Khartum. Fünf von ihnen widmet sich dieser Film: Eine alleinerziehende Mutter, ein Angestellter des öffentlichen Diensts, ein junger Single-Mann, zwei junge Freunde, die als Flaschensammler ihr Geld verdienen.

„Khartoum“ wurde von Phil Cox initiiert und mit mehreren Filmemacher*innen vor Ort realisiert. Zu Drehbeginn wussten sie alle noch nicht, dass ihre Protagonist*innen in den folgenden Monaten zur Flucht gezwungen sein würden. So verbindet die Dokumentation Aufnahmen aus dem Exil mit Szenen aus der Heimatstadt, wo in Straßencafés offen und differenziert über Politisches gesprochen wird – auch die virulente Identitätsfrage nach afrikanischer oder arabischer Zugehörigkeit. Doch „Khartoum“ verharrt nicht allein in der Vergangenheit, sondern ist erstaunlich konkret in seiner gesellschaftlichen Utopie. Ein anderes Zusammenleben sei möglich, sind sich alle Exilant*innen einig. Darunter auch die alleinerziehende Mutter Khadmallah. Sie hat selbst Rassismus durch die Militärtruppen erlebt und hofft auf die neue Generation in Sudan. Tribalismus, so sagt sie, spiele für die jungen Menschen keine Rolle mehr.

Khartoum von Anas Saeed, Rawia Alhag, Ibrahim Snoopy, Timeea M Ahmed, Phil Cox
© Native Voice Films
Khartoum von Anas Saeed, Rawia Alhag, Ibrahim Snoopy, Timeea M Ahmed, Phil Cox
© Native Voice Films

Holding Liat
(Brandon Kramer)

Am 7. Oktober 2023 wird Liat Beinin Atzili von der Terrororganisation Hamas aus ihrem Zuhause verschleppt. Zwei Wochen später reist der befreundete Filmemacher Brandon Kramer aus den USA nach Israel, um die Familie der Entführten mit der Kamera zu begleiten. Es ist ein Unterfangen mit offenem Ende: Zu diesem Zeitpunkt weiß noch niemand, was aus Liat werden wird, dass ihr Mann brutal ermordet wurde und welche politischen und militärischen Folgen das Massaker nach sich ziehen wird. Kramer richtet seinen Blick auf die Zurückgebliebenen, die mit ihrem Schmerz und ihrer Erschütterung umgehen müssen. Er dokumentiert die Reise der Familie in die USA, wo sie sich Unterstützung für die Befreiung ihrer Tochter erhofft, während die Familienmitglieder über das beste Vorgehen streiten: Wie politisch sollte man werden? Mit wem kann man zusammenarbeiten?

Dabei sind sich Vater, Sohn, Mutter und Schwester keineswegs einig – auch nicht darüber, wie weit man die eigene pazifistische Überzeugung aufrechterhalten kann. „Holding Liat“ ist das Dokument einer Familie, die außerhalb ihres zerstörten Kibbuz kaum noch Verbündete hat – weder zu Hause noch im Ausland, weder im sogenannten proisraelischen Lager noch in der vermeintlichen Linken – und die ihr Bestes gibt, entgegen allen Widrigkeiten nicht den Verstand und die Empathie zu verlieren. Ebenfalls auf der Berlinale gezeigt wurde „Michtav Le’David. A Letter to David“, ein persönlicher Filmbrief des Regisseurs Tom Shoval an den Schauspieler David Cunio, der seinerseits aus einem Kibbuz entführt wurde. Während Liat Beinin Atzili inzwischen zurückgekehrt ist, bleibt sein Verbleib unklar.

Yehuda Beinin, Holding Liat von Brandon Kramer
Meridian Hill Pictures © 2025

Je n’avais que le néant – All I had was Nothingness
(Guillaume Ribot)

Zu Beginn reist der Filmemacher durch die Vereinigten Staaten, um für den Film, der noch folgen soll, Gelder zu sammeln. Erfolglos. „Kein einziger US-Dollar“ sei in sein Projekt geflossen, sagt Claude Lanzmann lakonisch. Es fehlte wohl an einer positiven Botschaft, die sich aus dem Vorhaben ziehen lasse, mutmaßt er da. „Aber wie,“ fragt er, „soll die lauten?“ Realisiert wurde der Film schließlich trotzdem. 1985 lief „Shoah“ erstmals über die Bildschirme. 540 Minuten, die vom Mord an Millionen Jüdinnen und Juden erzählten, ohne je einen einzelnen Toten zu zeigen. Stattdessen konzentrierte sich Lanzmann auf Überlebende, Zuschauende und Täter des Nationalsozialismus, von denen letztere in teils bemerkenswerter Nonchalance von ihren Verbrechen berichten.

„Je n’avais que le néant“ lässt sich nun als eine Art Epilog, vielleicht auch Making-of begreifen. Man erkennt Protagonist*innen aus „Shoah“ wieder. Manche allerdings, wie die unbedarften Nachbarn ehemaliger Nazi-Henker, sind hier zum ersten Mal zu sehen. Guillaume Ribot setzt Ausschnitte, die Lanzmann nicht verwendet hatte, neu zusammen, und unterlegt sie mit einem Off-Kommentar aus Texten des Filmemachers. Eine bildnerische Auseinandersetzung mit dem Horror, für den es keine Bilder gibt.

Claude Lanzmann, Je n’avais que le néant – “Shoah” par Lanzmann | All I Had Was Nothingness von Guillaume Ribot
© USHMM et YAD VASHEM – Collection SHOAH de Claude Lanzmann
Die Möllner Briefe | The Moelln Letters von Martina Priessner
© inselfilm produktion
Strichka chasu | Timestamp von Kateryna Gornostai
© Oleksandr Roshchyn
Das Deutsche Volk von Marcin Wierzchowski
© Marcin Wierzchowski

Bonus: Zwischen Solidarität und Kontinuität

Eine fürchterliche Kontinuität, aber auch die Möglichkeit von Solidarität zeigten zwei weitere Dokumentationsformate: In „Das deutsche Volk“ widmet sich Marcin Wierzchowski den Hinterbliebenen des Anschlags von Hanau, während „Die Möllner Briefe“ (Martina Priessner) die Nachwehen der rassistischen Brandanschläge in den 1990er-Jahren aufgreift. Hier wartet eine Art bitterer Trost: Hunderte hatten seinerzeit ihr Mitgefühl für Ibrahim Arslan und seine Familie bekundet – die Stadt hatte diese Briefe allerdings nicht an die Betroffenen weitergereicht. Vom andauernden Krieg gegen die Ukraine zeugten wiederum Filme wie „Timestamp“ (Kateryna Gornostai) oder „When Lightning Flashes over the Sea“ (Eva Neymann).

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