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DIE SCHLEIFENDE ZEIT

07.09.2011

4 min Lesezeit

In der Rotunde der SCHIRN ist die Installation „Sandmühle“ von Günther Uecker bis zum 9. September zu sehen. Von dort wandert sie nach vierzig Jahren auf Reisen ein letztes Mal: in den neuen Erweiterungsbau des Städel Museums.

Der Künstler selbst baute die Installation in der Rotunde mit eigens dafür aus New York eingeschifftem Natursand auf. In weißem Arbeitsoverall verteilte und glättete er den Sand mit stoischer Ruhe. Die „Sandmühle“ wurde auf Initiative von Mitgliedern des Kuratoriums und des Vorstandes der Freunde der Schirn und des Städelkomitees 21. Jahrhundert erworben. Anlass bietet die Neueröffnung des Städel Museums, in dessen Erweiterungsbau die „Sandmühle“ nach einer mehrtägigen Präsentation in der Rotunde der SCHIRN ab Ende Februar 2012 zu sehen sein wird.

Aufbruch in die Subjektivität

In der Sammlung des Städel Museums befindet sich von Günther Uecker bereits eine der insgesamt 12 „Organischen Strukturen“. Diese Reihe, auch als „Nagelbilder“ bekannt, wurde 1962 das erste Mal in der Düsseldorfer Galerie Schmela ausgestellt. Aus eben dieser Zeit, die gleichzeitig die aktivste Zeit Ueckers in der Künstlergruppe ZERO war, ist auch das Nagelrelief in der Städelschen Sammlung. „Die ‚Organischen Strukturen‘ waren der Aufbruch in die Subjektivität meiner Selbstbefreiung“, so der Künstler zu den Nagelbildern. In den Jahren vorher hatte Uecker sich die Anlage einer Bildfolge auferlegt, mit der er sich durch Quantität und Wiederholung in Disziplin üben wollte. Am Ende dieser „Feldstudie“ entwickelte er eine eigene optische Sprache und erfuhr eine Befreiung in der anschließenden Hinwendung zur Individualität.

Wenn ich schon im Westen verkomme

Uecker verließ die DDR 1955. Seinen Meister hatte der damals gerade 25-jährige im Westen bereits vorher entdeckt. Ein einziges Bild, der Holzschnitt „Christus zerbricht das Gewehr“ von 1950 von Otto Pankok, hatte Uecker davon überzeugt, in Pankok eine Vaterfigur gefunden zu haben. Uecker fasst seine damalige Entscheidung zusammen: „Ich habe gedacht: Wenn ich schon im Westen verkomme, dann habe ich in Pankok eine Vatergestalt, die mich bewahrt.“ Uecker wurde von Pankok an der Kunstakademie Düsseldorf aufgenommen und beendete unter ihm sein Studium der Malerei. Bis in die 1990er-Jahre unterrichtete Günther Uecker selbst an diversen Kunsthochschulen der Welt. Dabei gab er allerdings nie Kurse in angewandter Malerei, sondern bereiste mit seinen Studenten Länder und Orte, die den Erfahrungshorizont der Studenten erweitern und moralische Orientierung geben sollten. 1930 geboren, erlebte Uecker das Ende des Zweiten Weltkriegs, den Ausbruch des Koreakriegs 1951 und den Vietnamkrieg als besonders einschneidende Ereignisse. Seine künstlerische Arbeit bezeichnet er persönlich als „psychotherapeutische und autotherapeutische Prozesse“, die ihn von den erlebten Traumata befreien sollten, „Kunst wurde das erst von außen benannt“.

Wir sind öffentlich, wir sind für alles

Düsseldorf war in der 1960er-Jahren ein Zentrum der deutschen Avantgarde. Hier wurde 1960 von Heinz Mack und Otto Piene die Künstlergruppe ZERO gegründet. Uecker war ab 1961 ein wichtiges Mitglied der Gruppierung, die sich das Ziel gesetzt hatte, eine vom Ballast der Nachkriegskunst befreite Alternative des künstlerischen Ausdrucks zu finden. ZERO entwickelte eine ganz eigene Handschrift: In puristischer Ästhetik entstanden kinetische und luminierte Objekte an der Grenze zwischen Skulptur und Malerei. Es war eine „Hinwendung zur Individualität des Handelnden in der Befreiung, keine Empfindung zu verbergen, sondern sich zu äußern. Wir haben damals gedacht, wir sind öffentlich, wir sind für alles“, fasst Uecker die Stimmung der Gruppierung in Worte. „Das war der Moment ZERO.“ Die individualisierenden Ausdrucksformen, die in der Atmosphäre der Gruppe ZERO entwickelt wurden, führten Uecker bis hin zur Sandmühle, die 1970 entstand.

Eine gute Arbeit ist, wenn sie besteht

Die „Sandmühle“ hat seit ihrer Entstehungszeit vor fast einem halben Jahrhundert eine Reise durch unzählige Länder und Ausstellungshäuser hinter sich. Günther Uecker ist „angerührt, dass die Mühle ins Städel geht“. Sein eigener Anspruch an ein Kunstwerk, dass „es besteht, gleich wo es aufgestellt ist – auf einer Toilette oder in einem Museum“ ist damit erfüllt. Der Künstler möchte Spuren hinterlassen, die von der Anwesenheit des Menschen zeugen und auch ohne Alphabet lesbar sind. Mit dem Übergang der „Sandmühle“ in die Sammlung des Städel Museums ist dieses Ziel erreicht. In dem Erweiterungsbau zur Gegenwartskunst wird die Mühle an der Schnittstelle zwischen ZERO und Performancekunst ein wichtiges Element darstellen. Und dem Betrachter mit ihrem unablässigen Schleifen des Sandes ein Bewusstsein für Zeit und Vergänglichkeit geben.