Die Freiheit aus der Portokasse

12.11.2024

8 min Lesezeit

Autor*in:
Sarah Alberti
Hans Haacke

Hans Haacke reagierte 1990 unmittelbar auf die Maueröffnung in Berlin und machte Kunst aus einem Wachturm.

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Im Mai 1990 flog Hans Haacke nach Berlin. Mit zehn weite­ren Künst­ler*innen war er einge­la­den, die mit der Mauer­öff­nung aufge­ris­sene Naht­stelle der Systeme in der noch nicht wieder­ver­ein­ten Stadt sicht­bar zu machen. Wie so viele fuhr auch Haacke in diesen Wochen mit dem Fahr­rad entlang der verwais­ten Wach­türme durch den Todes­strei­fen. Und während die Grenz­an­la­gen in Berlin demon­tiert wurden, schloss er einen Vertrag mit der Natio­na­len Volks­ar­mee, zögerte damit den Abriss eines Grenz­turms in Kreuz­berg hinaus und verfrem­dete ihn weit­hin sicht­bar zu einem unge­wöhn­li­chen Konstrukt: Vom 1. Septem­ber bis zum 7. Okto­ber 1990 drehte sich auf dem Turm, von einem Gitter geschützt, ein neon­blau leuch­ten­der Merce­des-Stern. Unter getön­ten Glas­fens­tern waren die Schrift­züge „Kunst bleibt Kunst“ und „Bereit sein ist alles“ zu lesen. Der vorma­lige Todes­strei­fen wurde für fünf Wochen zur Ausstel­lungs­flä­che, der Wach­turm zum Kunst­werk mit dem Titel „Die Frei­heit wird jetzt einfach gespon­sert – aus der Porto­kasse“.

Haackes Wach­turm war Teil des Ausstel­lungs­pro­jek­tes „Die Endlich­keit der Frei­heit Berlin 1990“. Ein kultur­po­li­ti­sches Groß­pro­jekt der poli­ti­schen Wende­zeit inmit­ten eines Niemands­lands recht­li­cher Sicher­heit. Es war das einzige Ausstel­lungs­pro­jekt dieser Größen­ord­nung, das 1990 von BRD und DDR gemein­sam finan­ziert und reali­siert wurde. Der Spie­gel nannte sie die „wich­tigste Ausstel­lung“ des Jahres 1990. Der doppel­deu­tige Titel, vom Drama­ti­ker Heiner Müller formu­liert, spie­gelte die Ambi­va­lenz der Zeit: „Endlich Frei­heit“ impli­zierte die Freude über den poli­ti­schen Umbruch; „Endlich­keit“ reflek­tierte zugleich deren zeit­li­che Beschränkt­heit. Das Vakuum 1990 wurde zum Raum für Kunst, die eher verun­si­cherte als bestä­tigte.

Ost- und Westsymbolik in Haackes Wachturm-Projekt

In diesem Sinne ist auch Haackes Beitrag zu deuten. Der Turm versinn­bild­lichte den Osten, der Stern den Westen. Die Montage warf Fragen auf: Wie gehen die unter­schied­li­chen Systeme zusam­men? Sind einzelne Elemente kombi­nier­bar? Oder kommt es zu Miss­ver­ständ­nis­sen und unge­woll­ten Über­la­ge­run­gen? Die erhöhte Posi­tio­nie­rung des Sterns legt die Prophe­zei­ung nahe, dass das wirt­schaft­li­che (Kontroll-) System das bishe­rige poli­ti­sche ersetzt.

Haackes Wach­turm-Projekt verdeut­lichte im Sommer 1990 die Vormacht­stel­lung des Westens sowie die Kapi­ta­li­sie­rung des Ostens. Er versah den Turm zudem genau zu dem Zeit­punkt mit einem Symbol des Konsums, als die Mauer zum Konsum­gut wurde. Am 20. Juni 1990 verstei­gerte etwa das Aukti­ons­haus Sotheby’s in Monte Carlo 81 einzelne Mauer­seg­mente für jeweils bis zu 30.000 DM, die Gesamt­ein­nah­men betru­gen zwei Millio­nen DM.

Der Stern verweist auch konkret auf die Akti­vi­tä­ten von Daim­ler-Benz in Berlin 1990: Im Sommer hatte das Unter­neh­men Filet­stü­cke auf dem Pots­da­mer Platz für ein Zehn­tel des geschätz­ten Wertes erwor­ben. Bereits 1990 war dies öffent­lich disku­tiert worden. Haackes Wach­turm griff diese Debatte auf, kriti­sierte das Unter­neh­men und das über­stürzte Vorge­hen des Berli­ner Senats. Zwei Jahre später musste der Konzern 33,8 Millio­nen Euro nach­zah­len, da Wett­be­werbs­hü­ter*innen den Kauf­preis für rechts­wid­rig erklärt hatten. Eine ironi­sche Werbe­säule für Daim­ler-Benz – gestützt wird diese Lesart des Turms von den Schrift­zü­gen „Kunst bleibt Kunst“ und „Bereit sein ist alles“, die zwei aktu­el­len Werbe­an­zei­gen des Unter­neh­mens entlehnt waren und an den Pionier-Gruß denken ließen. Schließ­lich verwies der Stern deut­lich auf ein weite­res Berli­ner Gebäude: Auf dem Dach des Europa-Centers befin­det sich bis heute ein entspre­chen­der, wenn auch viel größe­rer Merce­des-Stern, der West-Berlin während der Teilung symbo­lisch an der west­deut­schen Wirt­schafts­kraft teil­ha­ben ließ.

Hans Haacke, „Die Freiheit wird jetzt einfach gesponsert –aus der Portokasse“, Berlin 1990
Foto: Werner Zellien, © Hans Haacke VG Bildkunst

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Während sich Haackes Merce­des-Stern in Berlin drehte, war ich noch keine zwei Jahre alt und lebte mit meinen Eltern im grauen Leip­zig. Dass mir in meinem Geburts­jahr 1989 mit der Mauer­öff­nung das Geschenk der Frei­heit mit auf den Weg gege­ben wurde, wurde mir erst mit den Jahren klar. „Wir sind das Volk“ – mit diesem Satz zog man 1989 um den Leip­zi­ger Ring, trat laut­stark ein für eine Erneue­rung der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik. Der Wech­sel hin zu „Wir sind ein Volk“ steht auch für den Stim­mungs­wech­sel hin zur deut­schen Wieder­ver­ei­ni­gung.

Hans Haacke griff die Parole auf, als er 2003 einge­la­den wurde, im Rahmen eines Wett­be­werbs den Platz rund um die Niko­lai­kir­che in Leip­zig, dem Ausgangs­punkt der Montags­de­mos, zu gestal­ten: Sein nicht reali­sier­ter Entwurf sah vor, den Schrift­zug „Wir (alle) sind das Volk“ mit blauem Licht hand­ge­schrie­ben anmu­tend auf den Trep­pen­ab­satz vor der Kirche zu proji­zie­ren.

“Das Banner bekräf­tigt unsere Verbun­den­heit mit allen Migran­ten und Flücht­lin­gen, die gegen­wär­tig in vielen Ländern der Welt viru­len­tem Frem­den­hass, Rassis­mus und lebens­be­dro­hen­den Reli­gi­ons­kon­flik­ten ausge­setzt sind.”

Hans Haacke

„Wir (alle) sind das Volk”

Im Septem­ber 2016 flog ich nach New York und traf Hans Haacke zum Inter­view. Gebo­ren 1936 in Köln, studierte er in Kassel, im Zonen­rand­ge­biet, 30 Kilo­me­ter vor der Grenze. Seit 1965 lebte er in den USA, liest Woche für Woche den Spie­gel, steht in engem Austausch mit Freund*innen und Kolleg*innen. Wieder­ge­se­hen haben wir uns in Athen, zur Eröff­nung der docu­menta 14 im Früh­jahr 2017. Für die hatte er seinen Leip­zi­ger Entwurf wieder aufge­grif­fen: Ein Banner und 10.000 Plakate kleb­ten wild in Athen, an Stra­ßen­ecken und öffent­li­chen Plät­zen. Zwölf­mal stand „We (all) are the people“ da geschrie­ben, schwarz auf weiß, in verschie­de­nen Schrift­ar­ten und Spra­chen. Auch in Kassel irri­tierte das Motiv auf zahl­rei­chen Werbe­flä­chen.

Die Sprach­wahl würde jeweils prozen­tual den Anteil an Migrant*innen und Geflüch­te­ten in Grie­chen­land und der Bundes­re­pu­blik wider­spie­geln, erläu­terte Haacke: „Das Banner bekräf­tigt unsere Verbun­den­heit mit allen Migran­ten und Flücht­lin­gen, die gegen­wär­tig in vielen Ländern der Welt viru­len­tem Frem­den­hass, Rassis­mus und lebens­be­dro­hen­den Reli­gi­ons­kon­flik­ten ausge­setzt sind.“ Der das Text­feld rahmende Regen­bo­gen­ver­lauf verleiht der Aussage einen plaka­ti­ven Touch, erin­nert an die Regen­bo­gen­fahne, die für Aufbruch und Frie­den wie für die Akzep­tanz indi­vi­du­el­ler Lebens­for­men steht. Seit der docu­menta 14 war „Wir (alle) sind das Volk“ auf Bannern, Plaka­ten und Post­kar­ten in Brüs­sel, Gent, New York, Bratis­lava und Ramal­lah, aber auch in Leip­zig, Zwickau, Halle, Dres­den, Chem­nitz, Stutt­gart, Berlin und Weimar zu sehen. Im Rahmen der Hans Haacke Retro­spek­tive in der SCHIRN ist das dezen­trale Werk nun auch in Frank­furt präsent.

Dort, wo 1990 Haackes Merce­des-Stern den Grenz­strei­fen erleuch­tete, entstand in den vergan­ge­nen Jahren ein neues Wohn­quar­tier. Im Exposé wurde mit der Geschichte des Gelän­des für den Kauf von Eigen­tums­woh­nun­gen gewor­ben: „Das Quar­tier Luisen­park Berlin-Mitte ist reprä­sen­ta­tiv, urban und wahr­haft histo­risch. Denn genau vor dem Quar­tier auf der Stall­schrei­ber­straße verlief die Berli­ner Mauer.“

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