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DER TIEFE GRABEN DES NICHTVERSTEHENS

In der Ausstellung „Geheimgesellschaften“ spielt ein Flamingo mit den Erwartungen des Betrachters.

Ausgestopfte Tiere vermitteln ein subtiles Gefühl des Unbehagens – irgendwo zwischen Schrecken und Faszination. Das weiß jeder, der schon einmal in einem Naturkundemuseum inmitten eines Rudels präparierter Raubtiere stand. Mit ähnlichen Emotionen arbeitet der Künstler Elad Lassry in seinen Arbeiten „Wolf (Blue)“ und „Travis Parker and Chilean Flamingo“.

Vor tiefblauem Hintergrund steht der schwarze Wolf mit den Vorderpfoten auf einem niedrigen Podest – eine surreale Inszenierung. Durch Doppelung und Überlagerung des Motivs starrt er mit vier Augen in die Kamera. So suggeriert Lassry Bewegung und bricht mit Sehgewohnheiten. Lebt das Tier oder ist es tot? Das Bildpaar „Travis Parker and Chilean Flamingo“ stellt die gleiche Frage. Und gibt eine überraschende Antwort: Der ebenfalls auf einem Podest stehende Flamingo hat im zweiten Bild seine Stellung gewechselt. Er lebt also. Travis Parker hingegen verharrt ihm gegenüber in exakt der gleichen Körperhaltung und vermittelt dem Betrachter seinerseits den Eindruck starrer Leblosigkeit. Elad Lassry hat die Rollen neu verteilt.

Erklärtes Ziel des 1977 in Tel Aviv geborenen Künstlers ist es, die Möglichkeiten des Bildes im 21. Jahrhundert auszuloten, einer Zeit nach der Postmoderne, in der selbst das Zitieren von Bildern längst zur Kunstform geworden ist. Die amerikanische „Pictures Generation“, mit deren Werken Lassrys Arbeiten immer wieder in Verbindung gebracht werden, eignete sich schon in den späten 1970er-Jahren vorhandene Bildmaterialien an und überführte sie in neue Sinnzusammenhänge. Künstler wie Richard Prince, Cindy Sherman und Jack Goldstein zählen zu den Protagonisten. Die Arbeiten der Künstlergruppe entstanden zu einer Zeit, in der sich eine Parallelrealität in Film, Fernsehen und Magazinen etablierte und schließlich zum Objekt künstlerischer Auseinandersetzung wurde.

Auch Lassry, dessen Arbeiten dieses Jahr im Internationalen Pavillon der 54. Biennale in Venedig zu sehen sind, verwendet Bilder aus Zeitschriften wie „Playboy“ oder „National Geographic“. Nur selten entstehen eigene Studioaufnahmen. Er bearbeitet, arrangiert und inszeniert vorhandenes Material in seinem Atelier in Hollywood neu und platziert seine Motive auf monochromen Flächen. Durch die intensive Farbgebung, die Loslösung der Objekte, Menschen und Tiere aus ihrem Kontext und technische Manipulationen wie Doppelbelichtung entsteht eine höchst artifizielle Bildwirkung. Lassry löst die klaren Genregrenzen der Fotografie auf.

Tiere tauchen in Lassrys Bildern immer wieder auf. In einem Interview sagte er, ihn fasziniere der tiefe Graben des Nichtverstehens zwischen Mensch und Tier – unser Verhältnis zu Bildern sei ganz ähnlich. Was wir nicht verstehen, können wir nicht kontrollieren. Vielleicht erschleicht uns deswegen inmitten ausgestopfter Tiere ein unheimliches Gefühl. Lassry führt uns diese Ohnmacht vor Augen. Eine ähnliche Ohnmacht ist es wohl auch, die wir gegenüber Geheimgesellschaften empfinden, deren Organisation und Handeln für uns nicht nachvollziehbar ist.