Den Schleier lüften

16.12.2024

7 min Lesezeit

Autor*in:
Daniel Urban
Saodat Ismailova

Im kommenden Double Feature ruft Saodat Ismailova das Schicksal usbekischer Frauen in Erinnerung, die durch ihre Entschleierung zu Opfern von Femiziden wurden.

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Weiße arabi­sche Letter schim­mern auf schwar­zen Hinter­grund, auf der Tonspur flüs­tert eine Frau­en­stimme. In usbe­ki­scher Spra­che ist hier zu lesen: „Die Hujum-Bewe­gung war eine sowje­ti­sche poli­ti­sche Kampa­gne, die 1924 ins Leben geru­fen wurde. Ihr Ziel war die Eman­zi­pa­tion der einhei­mi­schen Frauen. Die Kampa­gne hatte drama­ti­sche Folgen für die usbe­ki­schen Frauen, die zwischen tradi­tio­nel­len gesell­schaft­li­chen Normen und einer auslän­di­schen Staats­ideo­lo­gie gefan­gen waren. Der Film ist dem Geden­ken an jene Frauen gewid­met, die ihr Leben für die Frei­heit der heuti­gen usbe­ki­schen Frauen geop­fert haben.“

Um Saodat Ismail­o­vas Film „Her Right“ (2020) einzu­ord­nen, ein klei­ner histo­ri­scher Rück­blick: 1918 riefen die Bolsche­wiki im Rahmen des russi­schen Bürger­kriegs auf dem Gebiet des heuti­gen Usbe­kis­tans die Turkes­ta­ni­sche Auto­nome Sozia­lis­ti­sche Sowjet­re­pu­blik, einige Jahre später schließ­lich die Usbe­ki­sche Sozia­lis­ti­sche Sowjet­re­pu­blik aus. Die Kommu­nis­ti­sche Partei (KPdSU) legte großes Augen­merk auf die Eman­zi­pie­rung der einhei­mi­schen Frauen, die einer­seits durch Bildung und Arbeit am gesell­schaft­li­chen Leben parti­zi­pie­ren soll­ten, im glei­chen Maß aber auch an der Trans­for­ma­tion vom Agrar- zum Indus­trie­staat mitzu­wir­ken hatten. Unab­hän­gig von jenen Bestre­bun­gen der kommu­nis­ti­schen Partei verfolgte die isla­mi­sche Reform­be­we­gung der Dscha­di­dis­ten schon bereits seit Anfang des 20. Jahr­hun­derts zum Teil ähnli­che Ziele. Zentra­les Kampf­wort für die von der KPdSU geplante Eman­zi­pie­rung der Frauen wurde „Hujum“, zu Deutsch „Angriff“, buch­stäb­lich gemeint als Atta­cke auf alte, tradierte Lebens­wei­sen.

Saodat Ismailova
Saodat Ismailova, Her Right, 2020, Filmstill
© the artist

Zwischen Reformdruck und Backlash

Ziele der Kampa­gne umfass­ten so die Aufhe­bung gesell­schaft­li­cher Segre­ga­tion oder die Abschaf­fung des de-facto Status von Frauen als männ­li­cher Besitz. Gesell­schaft­li­cher Unfrie­den entzün­dete sich aber haupt­säch­lich an der ange­streb­ten Entschleie­rung der Frauen, die die Kommu­nis­ti­sche Partei spätes­tens ab 1927 zuneh­mend repres­si­ver durch­zu­set­zen versuchte. Frauen, die entwe­der frei­wil­lig oder auch auf Druck der kommu­nis­ti­schen Kader ihre tradi­tio­nel­len Schleier, die Chach­van, ableg­ten, muss­ten den repres­si­ven Back­lash ihrer Fami­lien fürch­ten, der auch tödlich endete – die Histo­ri­ke­rin Mari­anne Kamp schätzt, dass Männer, aufge­hetzt durch lokale Kleri­ker, aus Rache 2500 usbe­ki­sche Frauen ermor­de­ten.

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Saodat Ismail­ova, gebo­ren 1981 in der usbe­ki­schen Haupt­stadt Tasch­kent, ruft in ihrem Film „Her Right“ das Schick­sal jener Frauen in Erin­ne­rung. In Archi­ven entdeckte die Künst­le­rin größ­ten­teils verges­sene Filme, die sich propa­gan­dis­tisch mit der Rolle der Frau beschäf­ti­gen. In einer Montage colla­giert sie filmi­sche Arbei­ten, die von den späten 1920er- bis in die frühen 1980er-Jahre reichen. Die Aufnah­men geben Einblick in die histo­ri­sche Welt Usbe­kis­tans: kleine Dörfer, verschlei­erte Frauen, der Einbruch der aufkei­men­den Indus­tria­li­sie­rung, Eisen­bahn, Demons­tra­tio­nen, entschlei­erte Frauen, Natur­auf­nah­men und immer wieder weib­li­che Gesich­ter – voller Freude oder Angst, beim Tanzen, bei der Arbeit, beim Able­gen oder Verbren­nen von Schlei­ern, auf der Flucht vor hass­er­füll­ten Männern, die mit Messern bewaff­net auf sie Jagd machen

Saodat Ismailova, Her Right, 2020, Filmstill
© the artist

“Some­ti­mes people ask me if I am defen­ding chach­vans. In fact, I am not defen­ding them as objects. What inte­rests me is the over­loo­ked story of chach­vans and the way it reminds us of the invi­si­ble presence of women who wore them.”

Saodat Ismailova

Eine weibliche Gegenerzählung

In gewis­ser Weise lässt sich Ismail­o­vas Montage jener Aufnah­men als eine Art Wieder­in­be­sitz­nahme usbe­ki­scher, weib­li­cher Histo­rie deuten: wurden zunächst die Propa­ganda-Geschich­ten von sowje­ti­schen, später usbe­ki­schen Männern erzählt, dien­ten die an reale Schick­sale usbe­ki­scher Frauen anknüp­fen­den Geschich­ten ledig­lich als ideo­lo­gi­sche Ware. Die Künst­le­rin rekur­riert mit „Her Right“ nun wieder auf die realen Akteu­rin­nen der tatsäch­li­chen Geschichte, die zwischen Staats­ideo­lo­gie einer­seits und Reli­gion und Tradi­tion ande­rer­seits unge­ach­tet ihrer eige­nen Bedürf­nisse aufge­rie­ben wurden. Im Inter­view mit dem zentral­asia­ti­schen Kultur­ma­ga­zin „The Steppe“ lässt die Künst­le­rin so auch wissen: „Some­ti­mes people ask me if I am defen­ding chach­vans. In fact, I am not defen­ding them as objects. What inte­rests me is the over­loo­ked story of chach­vans and the way it reminds us of the invi­si­ble presence of women who wore them.”

Als weite­ren Film hat sich Saodat Ismail­ova „Без страха / Bez strakha“ („Ohne Furcht“) des usbe­ki­schen Regis­seurs Ali Cham­ra­jew ausge­sucht – Ausschnitte aus dem Film tauchen auch in „Her Right“ auf, der Regis­seur hat einen großen Einfluss auf ihre eigene Arbeit. Der Film spielt in einem klei­nen usbe­ki­schen Dorf, kurz nach dem Ende des russi­schen Bürger­kriegs. Ein usbe­ki­scher Offi­zier der Roten Armee wird von einer Frau aus dem Dorf gesund­ge­pflegt und heira­tet sie anschlie­ßend. In Zusam­men­ar­beit mit den Bolsche­wiki versucht der Rotar­mist die Frauen des Dorfes im Rahmen der Hujum-Kampa­gne davon zu über­zeu­gen, ihre Schleier abzu­le­gen. Als ein junges Mädchen sich ihrer Verhül­lung entle­digt, hat dies für sie kata­stro­phale Folgen. Saodat Ismail­ova bezeich­net Cham­ra­jew Werk als heraus­ra­gen­des Beispiel usbe­ki­scher Film­ge­schichte, der einen Schlüs­sel zum Verständ­nis jener Zeit biete, „if you really want to under­stand what happe­ned with women and how the Hujum worked.”

Filmplakat

Double Feature

Entde­cke noch mehr span­nende Video Art im Programm der SCHIRN

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