Das Zuviel der Welt

13.08.2024

8 min Lesezeit

Selma Selman

Selma Selmans Kunst dreht sich oft um Recycling. Damit steht sie in einer langen Tradition künstlerischer Transformation.

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Wer Selma Selmans Arbeit zum ersten Mal auf der Docu­menta Fifteen begeg­net ist, weiß, dass die 1991 gebo­rene Künst­le­rin auf Auto­tei­len malt, genauer auf Merce­des- und BMW-Motor­hau­ben. Sie könne gar nicht mehr auf Lein­wand malen, sagte sie in einem Inter­view mit dem Kura­tor Hans Ulrich Obrist. „Früher“, so Selman, „habe ich auf Lein­wand gemalt.“ Bevor sie in Banja Luka in Bosnien Herze­go­wina und an der US-Ostküste Kunst studierte, agierte ihr Vater, der eigent­lich Schrott­händ­ler ist, als ihr Agent, und er verkaufte die Bilder, die sie uner­müd­lich malte. Nie behielt er ein Bild länger als ein paar Tage. „Er ist eigent­lich ein Kata­ly­sa­tor für meine Ideen“, fährt die Künst­le­rin fort, „weil wir zu Hause auf unse­rem Schrott­platz zusam­men­ge­ar­bei­tet haben.“
Sie begann, das Mate­rial zu verwen­den, auf dem das Geschäft ihrer Fami­lie aufbaut. „In meinem Dorf“, sagt sie dann noch, „ist das Symbol für Erfolg ein Merce­des-Benz. (…) Aber gleich­zei­tig fahre ich nach Deutsch­land, wo ich ihn zerstöre, und ich benutze die Teile als Malgrund.“ Dabei krachen verschie­dene Vorstel­lun­gen von Wert zusam­men, einmal der rein symbo­li­sche Wert des Wagens, der Wohl­stand verheißt, dann der Mate­ri­al­wert und schließ­lich der schwer bestimm­bare Wert als Kunst.

Selma Selman, Painting on metal – Mercedes-Benz, 2023
image via acbgaleria.hu
Selma Selman, Painting on Metal, 2020/21
Image via acbgaleria.hu

Futurist*innen des 21. Jahrhunderts

Es gibt viel zu viel von allem in der Welt, und doch ist es nicht genug. Zu wenig trink­ba­res Wasser, zu wenig saubere Luft, zu viel Abfall. Der ist ein Problem, so sehr, dass er welt­weit verscho­ben wird, oft entlang alter kolo­nia­ler Macht­li­nien. Elek­tro­schrott landet auf toxi­schen Depo­nien in Afrika, daraus werden unter gesund­heits­ge­fähr­den­den Bedin­gun­gen Rohstoffe gewon­nen. Welt­weit betrach­tet ist Recy­cling – das, was der Globale Norden als Grund­lage ökolo­gi­schen Wirt­schaf­tens betrach­tet – eigent­lich ein ziem­lich schmut­zi­ges Geschäft. Abfall wird nicht weni­ger, aber er wird weni­ger sicht­bar. Das Zuviel von allem wird verdrängt, und alte Macht­ge­fälle zwischen Zentrum und Rändern wieder­ho­len sich. Seit über 100 Jahren, sagte Selman einmal, haben Rom*nja Schrott­han­del betrie­ben, „um als unter­drückte Minder­heit in der west­li­chen Moderne zu über­le­ben.“ Daher kommt das Wissen um Halt­bar­keit und Wieder­ver­wend­bar­keit von Mate­ria­lien: „Ich glaube, dass im 21. Jahr­hun­dert die Rom*nja die führen­den sozia­len, ökolo­gi­schen und tech­no­lo­gi­schen Futu­rist*innen des Plane­ten sind.“

Selma Selman. Flowers of Life, Detailansicht
© Schirn Kunsthalle Frankfurt 2024, Foto: Norbert Miguletz

“Ich glaube, dass im 21. Jahr­hun­dert die Rom*nja die führen­den sozia­len, ökolo­gi­schen und tech­no­lo­gi­schen Futu­rist*innen des Plane­ten sind.”

Selma Selman

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Für die Perfor­mance „Merce­des Matrix“ von 2019/2020 ließ die Künst­le­rin ihren Vater und weitere Verwandte eine E-Klasse zerle­gen, bis nur noch Chas­sis und Motor­block übrig sind. Hier arbei­tete sie zum ersten Mal mit ihren Verwand­ten zusam­men. Die Teile können wieder­ver­wen­det werden, und viel­leicht steckt in dieser Arbeit ein Para­dox wie das vom Schiff des Theseus: Was bleibt vom Merce­des übrig, wenn alle Teile abge­baut, verkauft oder als Rohma­te­rial für Kunst benutzt wurden?

Selma Selman, Mercedes Matrix, 2019, Kampnagel Hamburg

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Re- und upcy­celn, Umwan­deln und Wieder­ver­wen­den sind alte Kultur­tech­ni­ken, wich­tig gerade in unse­rer Gegen­wart, in der wir mit gleich­zei­ti­ger Über­fülle und Knapp­heit umge­hen müssen. Dabei sind diese Tech­ni­ken auch schon lange künst­le­ri­sche Avant­gar­de­prak­ti­ken. Viel­leicht stand am Anfang die Idee, Müll als Mate­rial zu benut­zen. Wahr­schein­lich der radi­kalste dabei, aber sicher der erste, war der Pionier der Konzept­kunst, Marcel Duch­amp, der seine Floh­markt­funde zu Ready­ma­des erklärte.

Mierle Laderman Ukeles, Washing/ Tracks/ Maintenance Outside, 1973, Teil der Maintenance Art Performances series
A Wages for Housework march, 1977, Schlesinger Library, Radcliffe Institute / Bettye Lane,
image via thenation.com

Entzauberung und Transformation der Arbeit

1969 prägte Mierle Lader­man Ukeles den Begriff „Main­ten­ance Art“, und als junge Mutter erklärte sie die Tätig­kei­ten zu Kunst, die sie ohne­hin verrich­ten musste. Die New Yorke­rin weitete diesen Gedan­ken aus und schrubbte Muse­um­strep­pen. Sie befasste sich mit der Arbeit, die nötig ist, Groß­städte sauber zu halten, später wurde sie Resi­dency-Künst­le­rin des New York City Depart­ment of Sani­ta­tion. Ihre Praxis entstand während der zwei­ten Welle des Femi­nis­mus, die darauf bedacht war, unsicht­bare Arten von Arbeit sicht­bar zu machen – beispiels­weise wurde die Bewe­gung „Wages for House­work“ 1972 von einer Akti­vis­tin­nen­gruppe um Silvia Fede­rici initi­iert. Viel­leicht ist also der Begriff Arbeit ganz wich­tig, wenn wir über Recy­cling und Kunst spre­chen? Während Duch­amps Ready­ma­des noch ausge­stellte Arbeits­ver­wei­ge­rung waren, und sie alte Vorstel­lun­gen von Kunst aufmi­schen soll­ten, mach­ten Künst­ler*innen wie Lader­man Ukeles Arbeit selbst zum Gegen­stand. Künst­le­ri­sche – und oft männ­lich kodierte – Arbeit wurde damit ein biss­chen entzau­bert.

Selma Selman, Motherboards, 2023, Performance, Krass Kultur Crash Festival, Hamburg.
Foto: Mario Ilić, image via berlinerfestspiele.de
Selma Selman, Motherboards, 2023, Performance, Krass Kultur Crash Festival, Hamburg. Courtesy: the artist
Foto: Mario Ilić, Image via krass-festival.de

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Auch Selma Selman geht es um Arbeit, und sie eröff­net ihre fort­lau­fende Perfor­mance „Mother­boards“ (2023), indem sie Rudyard Kiplings „The Secret of the Machi­nes“ (1911) vorträgt: „We were taken from the ore-bed (orbed) and the mine,/We werde melted in the furnace (frnas) and the pit“. Im Text verschmel­zen Arbei­ter*innen und Maschine, und das Verschmel­zen von Metal­len steht für indus­tri­elle Arbeit ein. Während­des­sen bear­bei­ten Selmans Vater und andere Perfor­mende Elek­tro­schrott (das, was norma­ler­weise weit außer­halb Euro­pas entsorgt wird). Als die Arbeit im Berli­ner Gropius Bau urauf­ge­führt wurde, spiel­ten eine Cellis­tin und ein DJ Musik, die sich wiederum auf die Klänge der Arbeit bezog – aber hier geschieht noch etwas ande­res:. Selman extra­hiert Gold, ein Mate­rial, das in ihrer Praxis immer wieder auftaucht, aus dem Abfall. Später wird sie daraus einen Nagel gießen. Für eine weitere Perfor­mance löst sie Platin aus Auto­ka­ta­ly­sa­to­ren. Kiplings Verse erin­nern an das Indus­trie­zeit­al­ter, und bei der Perfor­mance steht Arbeit im Zentrum, wie eine Minia­tur­va­ri­ante von Extrak­tion.

Selma Selman, Dirt 0, 2021, Installationsansicht Art Entcounters Foundation;Timișoara
Image via artsy.net

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Würde man eine Kunst­ge­schichte des Recy­clings schrei­ben, dann müsste das auch eine Geschichte der Arbeit sein. Oder noch genauer, eine Geschichte, die davon erzählt, wie neue Vorstel­lun­gen von künst­le­ri­scher Arbeit die alten ablö­sen. Es gibt übri­gens doch noch ein Werk auf Lein­wand von Selman, „Dirt 0“, von 2021, das auch ein Ready­made ist. Denn es handelt sich dabei um ein großes Tuch, in dem ihr Vater Auto­teile trans­por­tierte, bloß im White Cube wandelt es sich in eine abstrakte, viel­leicht gesti­sche Male­rei. Selmans Arbeit kreist um Trans­for­ma­tion – Altme­tall zu Gold – und darum, wie man einst stig­ma­ti­sierte Arbeit – das Umge­hen mit Resten, dem Zuviel in der Welt – zu neuer Würde verhilft. Aber das geht nicht ohne künst­le­ri­sche Arbeit, eine weitere Verwand­lung.

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