Das große Theater

Warum diverse Teams alleine nicht ausreichen werden, um Systeme zu verändern.

21.11.2024

10 min Lesezeit

Autor*in:
Sophie Yukiko
Zu sehen ist Sophie Yukiko vor einem blauen Hintergrund. Sie trägt ein braunes, ärmelloses Oberteil, auf dem ein Philadelphia Eagles-Schriftzug zu sehen ist. Dazu eine graue Hose. Mit ihrer rechten Hand greift sie sich an den linken Unterarm.
Fotograf*in:
Lisa-Sophie Kempke

Lorem Ipsum

In progres­si­ven Insti­tu­tio­nen besteht heute der Anspruch, dass die Dinge besser gemacht werden sollen als früher. Diver­si­tät, sichere Räume, Trans­pa­renz – alle wollen eine Umge­bung erschaf­fen, in der Rassis­mus, Sexis­mus, Queer­feind­lich­keit und ein gewalt­vol­ler Umgang endlich der Vergan­gen­heit ange­hö­ren. Die Häuser und Firmen, die sich selbst als rele­vante Orte für Kunst und Kultur betrach­ten, haben in der Theo­rie schon verstan­den, dass es rich­tig out ist, einen „weißen“, tobsüch­ti­gen Genie-Tyrann an die Spitze eines Projek­tes oder einer Insti­tu­tion zu stel­len, und ihm alles zu verzei­hen und nach­zu­se­hen, weil er so unfass­bar genial ist. Die Ener­gie bündelt sich darin, Ersatz für diesen Typus zu finden und das Zepter der Macht weiter­zu­rei­chen. Doch ob das Prin­zip des Zepters und der Macht selbst viel­leicht über­dacht werden muss, wird bei der ganzen Aufre­gung selten gefragt. Und so enden auch an den Orten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, aktiv etwas gegen lang gewach­sene, toxi­sche Dyna­mi­ken und Arbeits­tra­di­tio­nen zu tun, fast alle Projekte früher oder später in Tränen. Irgend­wer hält es meis­tens irgend­wann nicht mehr aus. Trotz diver­ser Beset­zung.

Dort wo queer­fe­mi­nis­ti­sche Themen in Ausstel­lungs­hal­len und auf Bühnen gebracht werden, sind oft dieje­ni­gen Künst­ler*innen beschäf­tigt, die nicht zwangs­weise den klas­si­schen Ausbil­dungs­weg gewählt haben, sich auch mit Ästhe­ti­ken und Kunst­for­men der Subkul­tur ausein­an­der­set­zen und sich darum bemü­hen, beste­hende Narra­tive der Domi­nanz­ge­sell­schaft zu über­schrei­ben. Zum Teil mit großem Erfolg. Denn wann immer sich die gezeigte Kunst diver­ser zu ihrem Publi­kum verhält, wird auch das Publi­kum diver­ser und damit größer. Und je mehr Menschen Kunst aus diver­sen Perspek­ti­ven sehen, desto mehr kann ange­sto­ßen und bespro­chen werden. Doch während vor dem Vorhang applau­diert wird, sieht es hinter den Kulis­sen anders aus: Schau­spie­ler*innen, Tänzer*innen und andere Künst­ler*innen setzen sich während der Arbeit einer Achter­bahn­fahrt der Gefühle aus. Voller Hoff­nung auf eine neue, posi­ti­vere Erfah­rung stei­gen sie ein, machen sich vulnerabler als sonst, weil der Space und das Projekt nun vermeint­lich „Safe“ sind, bevor sie dann irgend­wann fest­stel­len, dass sie es nicht sind und am Ende genauso ange­strengt wie früher versu­chen, nicht in den Wagon zu kotzen.

Sophie Yukiko
Credit: Lisa Sophie Kempke; Design/ Kleid: Máthé

“Wann immer sich die gezeigte Kunst diver­ser zu ihrem Publi­kum verhält, wird auch das Publi­kum diver­ser und damit größer.”

Sophie Yukiko

Vor dem Vorhang großer Erfolg – hinter dem Vorhang weiterhin Panik

Man könnte fast meinen, dass jetzt, in einer Zeit, in der eine Kultur des Anspre­chens über­haupt erst entsteht und diskri­mi­nierte Perso­nen ihre Sorgen nicht mehr alleine bewäl­ti­gen müssen, der Haus­se­gen beson­ders oft schief hängt. Es knallt stän­dig, obwohl die Probleme und Sorgen wahr­schein­lich gar nicht mehr gewor­den sind. Der Unter­schied zu früher ist aber, dass sie nun offen­ge­legt und von allen ausge­hal­ten werden müssen. Wenn es aber nicht reicht darauf zu achten, Menschen zu fördern und einzu­bin­den, die lange aus einer ernst­haf­ten Teil­nahme und Mitge­stal­tung der „Hoch­kul­tur“ ausge­schlos­sen wurden, was braucht es dann? Waren das nicht die Rufe der letz­ten Jahre? Und wieso wurde es nicht deut­lich besser, selbst an den Stel­len, an denen diesen Rufen Gehör geschenkt wurde und sich die Türen einen Spalt weit öffne­ten?

Den Perso­nen, die nun endlich Posi­tio­nen beset­zen, die früher oft uner­reich­bar schie­nen, werden meis­tens so viele Erwar­tun­gen von allen Seiten aufer­legt, dass sie bereits vom ersten Tag an in einer unaus­ge­spro­che­nen Schief­lage arbei­ten. „Du bist die Retter*in.“ „Du bist die Verän­de­rung.“ „Dank Dir wird nun endlich alles besser.“ Druck baut sich auf und Schief­la­gen führen früher oder später dazu, dass Dinge aus den Rega­len fallen, egal wie verstaubt sie sind und wie lange sie dort schon aufge­ho­ben wurden. Die Wahr­heit ist, dass es diesen einen Messias der Verän­de­rung nicht geben kann.

Sophie Yukiko
Credit: Lisa Sophie Kempke; Design/ Kleid: Máthé

Revolution macht in der Regel die Gruppe, nicht das Individuum

Und sie macht es aus Über­zeu­gung, nicht zwin­gend aus Grün­den der eige­nen Iden­ti­tät. Das große Miss­ver­ständ­nis, das sich oftmals nur schwer verba­li­sie­ren lässt, ist die Annahme, dass das Einset­zen einzel­ner Perso­nen in patri­ar­chal gewach­sene Insti­tu­tio­nen und Struk­tu­ren bereits das Ziel des Prozes­ses ist. Dabei ist es unser Blick auf gemein­schaft­li­ches Arbei­ten im Allge­mei­nen, der sich verän­dern muss. Denn dieser hat sich – wie es etwa die femi­nis­ti­sche Philo­so­phin und Gelehrte Silvia Fede­rici in vielen ihrer Arbei­ten beschreibt – durch die Entste­hung des Kapi­ta­lis­mus immer weiter vom Kolla­bo­ra­ti­ven und Soli­da­ri­schen entfernt und statt­des­sen die Zentrie­rung und Über­hö­hung des Indi­vi­du­ums belohnt.

Sophie Yukiko
Credit: Lisa Sophie Kempke; Design/ Kleid: Máthé
Sophie Yukiko
Credit: Lisa Sophie Kempke; Design/ Kleid: Máthé

Lorem ipsum

Die akti­vis­ti­sche Arbeit vieler quee­rer und femi­nis­ti­scher Bewe­gun­gen hat es vor allem in den letz­ten Jahren geschafft, dass auch die mit Tradi­tion belegte Welt des Thea­ters, des Films und der bilden­den Kunst nicht mehr länger mit den Schul­tern zucken konnte, wenn sie sich mit Rassis­mus- oder Sexis­mus­vor­wür­fen konfron­tiert sah. Wer nicht als Sexist*in bezeich­net werden will, muss heute auch bewei­sen, dass er*sie keine*r ist. Ein diver­ser Cast oder eine weib­li­che Haupt­rolle können diesen Beweis aller­dings kaum liefern. Es wäre unge­recht, die Verant­wor­tung zur nach­hal­ti­gen Verän­de­rung einer Insti­tu­tion auf einzelne Schlüs­sel­fi­gu­ren abzu­wäl­zen, wenn doch die Gemein­schaft für die Struk­tur verant­wort­lich ist.

Außer­dem bewir­ken verein­zelte Perso­nal­ent­schei­dun­gen nicht zwangs­wei­send eine Erneue­rung der Struk­tur, sondern führen diese ledig­lich mit ande­ren Stim­men und Iden­ti­tä­ten fort. Schließ­lich ist nicht jede Frau* Femi­nis­tin*, viele nicht-„weiße“ Menschen haben rassis­ti­sches Denken inter­na­li­siert ohne sich darüber bewusst zu sein, nicht jede margi­na­li­sierte Person ist anti-kapi­ta­lis­tisch einge­stellt und viele schwule, lesbi­sche, trans* und nicht binäre Perso­nen wollen endlich einfach nur nach Vorne und erfolg­reich sein, anstatt die Welt zu verän­dern.

Dass das so ist, über­rascht nicht nur „weiße“-hetero-cis Perso­nen, sondern enttäuscht auch die Menschen, die auf eine queer­fe­mi­nis­ti­sche Ritter­fi­gur auf einem weißen Pferd hoffen, die den patri­ar­cha­len Zerfall in die Struk­tur einbringt und mit ihrem strah­len­den Schwert die anstren­gen­den und verlet­zen­den Macht­dy­na­mi­ken, unter denen alle anschei­nend sehr leiden, zerschlägt. Die Bemü­hun­gen um queer­fe­mi­nis­ti­sche Perspek­ti­ven, Perfor­mer*innen, Werke, Narra­tive, Künst­ler*innen und Projekte der letz­ten Jahre halte ich zum Teil für aufrich­tig. Und die Neu- und Umbe­set­zun­gen bestimm­ter Posi­tio­nen und Rollen sind dafür ein logi­scher Schritt, der nicht rück­gän­gig gemacht werden sollte, nur weil er alleine nicht die Verän­de­rung gebracht hat, die so sehn­lichst erwar­tet wird.

Sophie Yukiko
Credit: Lisa Sophie Kempke; Design/ Kleid: Máthé

Wir brauchen Etwas, das an vorherige Bemühungen anknüpft

Eine Praxis, die über die eigene Iden­ti­tät hinaus­geht, die patri­ar­chale Ordnung heraus­for­dert und ihr – wenn man so will – das femi­nis­ti­sche Ange­bot macht, eine tief­grei­fende Verän­de­rung zu wagen. Ein subver­si­ves Aufbre­chen beste­hen­der Domi­nanz­ver­hält­nisse ist nach Judith Butler, die den Begriff der queer­fe­mi­nis­ti­schen Theo­rie stark mitge­prägt hat, schließ­lich Teil jener Praxis, die benö­tigt wird, um beste­hende Normen zu unter­wan­dern. Und wer sich darüber bewusst ist, wie gewal­tig das Mons­ter der patri­ar­cha­len Norm ist, dem wird bald auch klar, dass es nur durch Unter­wan­de­rung in die Knie gezwun­gen werden kann.

Wenn wir uns also darauf geei­nigt haben, dass (euro­zen­tri­sche, kapi­ta­lis­ti­sche,) patri­ar­chale Struk­tu­ren dieje­ni­gen sind, die uns so verlet­zen und unser Zusam­men­le­ben und -arbei­ten so schwie­rig machen, dann wird es nicht ausrei­chen, diese Struk­tu­ren anders besetzt wieder zu nutzen. Viel­leicht müssen wir uns fragen, wie wir mitein­an­der umge­hen wollen, anstatt uns darauf zu konzen­trie­ren, wer mit wem umge­hen soll. Es ist eine große Heraus­for­de­rung heraus­zu­fin­den, wie Systeme abseits des uns Bekann­ten und Geleb­ten ausse­hen können. Vor allem, weil wir uns unter einer Praxis oft eine Art Hand­buch vorstel­len, das uns sagt, wie es rich­tig gehen kann und womit wir die Lücken schlie­ßen können, die entste­hen, wenn wir versu­chen, unter­drü­ckende Elemente zu entfer­nen. Ein neues Gesetz, eine neue Poli­zei, eine neue allge­mein­gül­tige Regel oder Instanz, die entschei­det. Dabei geht es doch gerade darum, (solche) Prin­zi­pen an sich zu über­den­ken. Und zwar gemein­sam. Für weni­ger Panik hinter dem Vorhang.

Design/ Kleid: Máthé

Sophie Yukiko
Credit: Lisa Sophie Kempke; Design/ Kleid: Máthé

“Viel­leicht müssen wir uns fragen, wie wir mitein­an­der umge­hen wollen, anstatt uns darauf zu konzen­trie­ren, wer mit wem umge­hen soll.”

Sophie Yukiko

Das könnte Sie auch interessieren

Lorem ipsum dolor sit amet, consetetur sadipscing elitr, sed diam nonumy eirmod tempor invidunt.

Lorem ipsum dolor sit