Critical Land.
Indigene Kunst und Identität

36:19

Im Gespräch mit der Algonquin-Französischen Künstlerin Caroline Monnet. Die englische Podcast-Reihe mit Indigenen Perspektiven auf Kunst, Natur, Dekolonialisierung und Klimawandel.

19.04.2021

36 min Lesezeit

Illustrator*in:
Oriana Fenwick
Speaker*in:
Caroline Monnet

Transkript

Sylvia Cunningham: Will­kom­men bei „Critical Land“. Ich bin eure Modera­to­rin Sylvia Cunningham. Dies ist die zweite Episode eines englisch­spra­chi­gen Podcast der Schirn, paral­lel zur Ausstel­lung „Magne­tic North: Imagi­ning Canada in Pain­ting 1910-1940“. In dieser Podcast-Serie „Critical Land“ grei­fen wir einige Themen der Ausstel­lung „Magne­tic North“ auf, um über das hinaus­zu­ge­hen, was an den Wänden der Gale­rie zu sehen ist. Durch Inter­views mit Indi­ge­nen Künst­ler*innen, Akti­vist*innen und Wissen­schaft­ler*innen stel­len wir Verbin­dun­gen zwischen der Ausstel­lung und heuti­gen Kunst- und Umwelt­be­we­gun­gen her. Die Ausstel­lung unter­sucht die moderne kana­di­sche Land­schafts­ma­le­rei aus einem zeit­ge­nös­si­schen Blick­win­kel. Sie zeigt auch den Film „How a People Live“ der Anis­hina­abe-Filme­ma­che­rin Lisa Jack­son und „Mobi­lize“ der Algon­quin-fran­zö­si­schen Künst­le­rin Caro­line Monnet, von der ihr in der heuti­gen Folge hören werdet. Monnets immer­sive Video­in­stal­la­tion „Trans­at­lan­tic“ ist zeit­gleich in der öffent­lich zugäng­li­chen Rotunde der Schirn zu sehen. Ein kurzer Hinweis – wir haben in der ersten Folge von „Critical Land“ mit der Kura­to­rin der Ausstel­lung, Martina Wein­hart, und der Lakota-schot­ti­schen Kunst­his­to­ri­ke­rin Carmen Robert­son über die Group of Seven gespro­chen. Wenn du diese Inter­views noch nicht gehört hast, kannst du das hier nach­ho­len. Und nun zur heuti­gen Folge. Caro­line Monnet ist eine multi­dis­zi­pli­näre Künst­le­rin, die in Montreal lebt. Sie wuchs sowohl in Gati­neau, Québec, als auch in der Breta­gne, Frank­reich, auf. Ihre Mutter ist Algon­quin, ihr Vater Fran­zose und sie arbei­tet mit vielen verschie­de­nen Medien, darun­ter Film, Skulp­tur, Instal­la­tion und Male­rei.
[O-Ton „Mobi­lize]
Was du jetzt hörst, ist die Audio­spur aus Monnets Kurz­film „Mobi­lize“, eine der Arbei­ten, die in der Schirn zu sehen ist. Der Film hat ein unglaub­lich trei­ben­des Tempo, von der Musik, die von Tanya Tagaq gespielt wird, bis hin zu den Aktio­nen, die wir vor der Kamera sehen. Da ist ein Mann, der meis­ter­haft durch das Wasser paddelt, andere schä­len Birken­rinde, um ein Kanu zu bauen. Wir sehen auch Szenen in der beleb­ten Stadt, darun­ter Mohawk-Eisen­ar­bei­ter, die auf Stahl­trä­ger klet­tern. Ich habe Caro­line Monnet gefragt, wie dieser Film entstan­den ist.

Caroline Monnet: 2015 trat das Natio­nal Film Board of Canada an mich heran, um Mate­rial aus ihren Archi­ven aufzu­ar­bei­ten. Das war Teil ihrer „Souve­nir“-Reihe. Wir waren also vier Filme­ma­cher aus ganz Kanada, die ein drei­mi­nü­ti­ges Video mit ihren Archi­ven machen soll­ten. Die einzige Anwei­sung, die sie uns gaben, war die Indi­gene Iden­ti­tät darzu­stel­len, was ich für eine sehr abstrakte Sache hielt, denn für mich gibt es viele Indi­gene Reali­tä­ten. Ich hatte Zugang zu über 800 Filmen, von denen die meis­ten natür­lich aus einer weißen, männ­li­chen Perspek­tive gedreht wurden, die sich den Indi­ge­nen Völkern aus einem anthro­po­lo­gi­schen Blick­win­kel nähern, in dem die Prot­ago­nis­ten immer als sehr passiv darge­stellt werden, irgend­wie damit beschäf­tigt, an ihrem Hand­werk zu arbei­ten und wirk­lich darauf beste­hen, am Rande der kana­di­schen Gesell­schaft zu blei­ben. Es gibt also eine Art Span­nung zwischen dem ursprüng­li­chen Film­ma­te­rial, das in einer Zeit des histo­ri­schen Chaos und der kolo­nia­len Behand­lung der Indi­ge­nen Bevöl­ke­rung entstan­den ist, und dem Remix, den ich in „Mobi­lize“ gemacht habe. Denn ich habe diese Bilder, diese Filme benutzt, um zur Mobi­li­sie­rung der Indi­ge­nen Bevöl­ke­rung im ganzen Land aufzu­ru­fen. Weil für mich Indi­gene Iden­ti­tät etwas Leben­di­ges und Dyna­mi­sches ist. Es ist nicht etwas Passi­ves, wie es in diesen Filmen gezeigt wird. Ja, und ich wollte einfach, dass sich das Publi­kum ange­regt fühlt, wenn Indi­gene Menschen auf der Lein­wand ihre Fähig­kei­ten zeigen. Deshalb war ich beson­ders an Bildern von Menschen inter­es­siert, die laufen oder bauen, Kanu fahren, die sich einfach vorwärts­be­we­gen. Für mich ist das wirk­lich ein Gegen­pol zu der Träg­heit, die in den kana­di­schen Medien oft darge­stellt wird.

Sylvia Cunningham: Selbst die Tatsa­che, dass du einge­la­den wurdest, dies im Rahmen der „Indi­ge­nen Iden­ti­tät“ zu tun – was dieser Begriff ist, der singu­lär ist, er ist mono­li­thisch – wie hast du dich dem genä­hert? Hast du dich von deinem persön­li­chen Hinter­grund aus genä­hert oder wie konn­test du vermit­teln, dass es unmög­lich ist, dies auf eine mono­li­thi­sche Sicht­weise herun­ter­zu­bre­chen?

Caroline Monnet: Man kann es nicht auf eine mono­li­thi­sche Sicht­weise redu­zie­ren, weil es mehrere Reali­tä­ten Indi­ge­ner Iden­ti­tät gibt, und es gibt so viel Viel­falt inner­halb der großen Indi­ge­nen Gemein­schaft selbst in ganz Kanada. Ich wusste, dass ich nicht in den nost­al­gi­schen Bereich der Auswahl von Schwarz-Weiß-Filmen gehen wollte. Deshalb entschied ich mich für 16-mm-Farb­ma­te­rial, um diese Art von Konsis­tenz vom Anfang bis zum Ende des Films zu errei­chen und dem Publi­kum das Gefühl zu geben, dass ich den Film selbst gedreht habe. Und man fängt an, mehr auf die Textur und die Farben zu achten und jedes Bild zusam­men­zu­set­zen, fast wie ein Puzzle, nur dass man nicht weiß, wie das Bild am Ende ausse­hen wird. Man setzt es einfach zusam­men und fängt irgend­wie an, mit all dem eine Erzäh­lung zu finden. Ich denke, in gewis­ser Weise reprä­sen­tiert der Film auch meine eigene Fami­li­en­ge­schichte. Ich bin nicht in der Gemeinde meiner Mutter aufge­wach­sen, aber über die Gene­ra­tio­nen hinweg hat sie sich auf dem Land entwi­ckelt. Und ich denke, es gibt ein gewis­ses Maß an Privi­le­gien, das mit der Migra­tion in die Stadt einher­geht, natür­lich den Zugang zu Jobs und Bildung, aber mit diesem Privi­leg kommt auch ein gewis­ses Maß an Assi­mi­la­tion und Trauma und Vertrei­bung. Man beginnt, in diesen Städ­ten eine neue Geschichte aufzu­bauen. Das hat mich wirk­lich faszi­niert und die Vorstel­lung von Arbeit, die in der Stadt ganz anders ist als auf dem Land und nicht die glei­chen Fähig­kei­ten und Kennt­nisse erfor­dert. In dem Film ging es also wirk­lich darum aufzu­zei­gen, wie Indi­gene Menschen die kana­di­sche Gesell­schaft mitge­stal­tet haben, ich meine bis hin zum Bau von Wolken­krat­zern in unse­rer Stadt. Also ging es darum zu sagen, dass unsere Präsenz als Indi­gene Menschen nicht länger igno­riert werden kann.

Sylvia Cunningham: Du erwähnst, dass du den Umfang auf 16-mm-Farb­ma­te­rial einge­grenzt hast. Wie viele Stun­den Film waren das damals, die dir zur Verfü­gung stan­den, um damit zu arbei­ten?

Caroline Monnet: Ich meine, ich hatte Zugang zu 800 Filmen, aber ich fing an, Schlüs­sel­wör­ter einzu­ge­ben, weil man sie natür­lich nicht alle sehen kann, und die Schlüs­sel­wör­ter dreh­ten sich um „Bauen“ und „Gehen“ und „Indi­gene, die gehen“, „Indi­gene, die laufen“, „Indi­gene, die bauen“. Ich wollte die Idee, in Aktion zu sein und kein passi­ves Volk zeigen. Wir sind nicht in der Zeit stehen­ge­blie­ben, wir sind sehr aktiv und wir haben eine Reihe von Fähig­kei­ten, die, wie du weißt, tatsäch­lich sehr gefei­ert werden. Wir sind Teil dieser Gesell­schaft, dieser pulsie­ren­den Gesell­schaft, und wir haben unse­ren Platz darin. Das wollte ich zeigen, also muss man ganz instink­tiv mit diesem Prozess arbei­ten, mit Archi­ven arbei­ten. Der Sound­track von Tanya Tagaq spielte auch beim Schnitt eine wich­tige Rolle spielte, um diese Ener­gie zu erzeu­gen. Ihre Musik hat diese tradi­tio­nelle Verbin­dung und ist gleich­zei­tig sehr zeit­ge­nös­sisch, fast wie Metal-Musik. Ich fand es wirk­lich inter­es­sant, die Archive zu nutzen, um über die Zukunft zu spre­chen, und ihre Klänge halfen dabei, diese Brücke zu schla­gen.

Sylvia Cunningham: Okay, das kam also rela­tiv früh im Prozess? Das wollte ich gerade fragen. Wuss­test du, dass du die Musik von Tanya Tagaq verwen­dest möch­test und das Film­ma­te­rial darauf abstim­men würdest, um das trei­bende Tempo des Titels aufzu­bauen und zu ergän­zen?

Caroline Monnet: Ja, abso­lut. Ich hatte Zugang zu ihrem Album und ich wählte den peppigs­ten Track des Albums, weil mir von Anfang an klar war, dass ich – weil es nur drei Minu­ten sind – diese Erfah­rung machen wollte, eine Erfah­rung für die Zuschauer*innen schaf­fen wollte, bei der sie fast an den Compu­ter ange­schlos­sen sind und von Bildern bombar­diert werden und dann ihr Herz anfängt zu pochen, und sie würden außer Atem sein und sie wären total ange­trie­ben, wenn sie Indi­gene Menschen sehen, die auf der Lein­wand so abge­hen. So verste­hen sie nicht wirk­lich, was gerade mit ihnen passiert ist, aber sie haben dieses Maß an Ener­gie. Diesen Effekt mit der Darstel­lung Indi­ge­ner Menschen auf der Lein­wand zu erzeu­gen, war die Haupt­ab­sicht hinter dem Film.

Sylvia Cunningham: Es ist so hypno­ti­sie­rend und faszi­nie­rend zu beob­ach­ten, was jede*r macht – es ist wirk­lich so viel los. Im Gegen­satz dazu steht deine andere Arbeit, die gerade in der Schirn zu sehen ist, deine Video­in­stal­la­tion „Trans­at­lan­tic“, die ganz ohne mensch­li­che Präsenz auskommt. Für diese Arbeit, von der wir jetzt ein wenig Audio hören, hast du dich in einem Hafen in Europa auf ein Fracht­schiff bege­ben und bist dann nach Montreal gereist, wo du jetzt lebst. Kannst du beschrei­ben, wie diese Reise für dich war?

Caroline Monnet: Nun, „Trans­at­lan­tic“ ist eine Reise, die ich 2012 auf einem Fracht­schiff vom hollän­di­schen Hafen IJmui­den, etwas west­lich von Amster­dam, bis nach Montreal an den Großen Seen in Nord­ame­rika unter­nom­men habe. Ich brauchte 22 Tage, um den Atlan­tik zu über­que­ren. Die ganze Reise wurde mit einer Mini-DV-Hand­ka­mera doku­men­tiert. Ich denke, das Video trans­por­tiert verschie­dene Gefühls­zu­stände, die ich auf See empfun­den habe, wie starke Anspan­nung, Nervo­si­tät, Lange­weile und sogar manch­mal ein biss­chen Angst, wenn wir auf Stürme trafen, aber auch, weil ich mich in einem männer­do­mi­nier­ten Umfeld der Schiff­fahrt und Indus­trie befand. Es gab also Momente, in denen ich mich fragte, warum ich diese Reise über­haupt machen wollte. Aber der ursprüng­li­che Gedanke dahin­ter ist, dass der trans­at­lan­ti­sche Ozean für mich ein Mittel­weg war, auf dem sich meine beiden Vorfah­ren trafen. Es war eine Art symbo­li­scher Ort, und diese Idee von Gren­zen, ob sie nun physisch oder meta­pho­risch sind, war in meinen Arbei­ten immer sehr präsent. Also ist es eine Fort­set­zung dieser Idee. Ich bin zwischen zwei Konti­nen­ten, zwei Kultu­ren aufge­wach­sen, also war ich faszi­niert von dieser Idee der Duali­tät und wie poli­ti­sche und soziale Geschich­ten unsere Iden­ti­tät formen. Wir sagen immer, dass die Iden­ti­tät dem Terri­to­rium inne­wohnt, aber was bedeu­tet es, wenn man aus zwei unter­schied­li­chen Terri­to­rien kommt, wie formt das die Iden­ti­tät? Das war also sozu­sa­gen die Saat hinter dem Projekt. Aber das Projekt entwi­ckelte sich weiter, denn ich habe es 2012 gedreht, doch ich habe gut sechs Jahre gebraucht, um es fertig­zu­stel­len. Ich habe es 2018 fertig­ge­stellt und bin froh, dass es ein wenig gereift ist, denn dann begann das Projekt, den Atlan­ti­schen Ozean als fort­wäh­rende kolo­niale Bewe­gung und wirt­schaft­li­chen Austausch zwischen Europa und Nord­ame­rika zu unter­su­chen, wie die Kolo­ni­sie­rung ein histo­ri­sches Ereig­nis ist, das durch den trans­at­lan­ti­schen Skla­ven­han­del und den Völker­mord an den Urein­woh­nern defi­niert wird, sodass es ein viel einneh­men­de­res Stück wurde als nur ein persön­li­ches.

Sylvia Cunningham: Was, glaubst du, war es in den sechs Jahren dazwi­schen, dass sich dieser Rahmen und diese Erzäh­lung entwi­ckeln konn­ten? War es eine Frage der Recher­che oder ande­rer Projekte, die deine Über­le­gun­gen dazu beein­flusst haben?

Caroline Monnet: Ich schätze, es ist einfach so, dass ich die Reise gemacht habe und dann lagen die Bänder lange Zeit im Regal, ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Ich hatte keine klare Vorstel­lung davon, was ich damit machen sollte. Ich wusste, dass ich nicht wollte, dass es nur ein doku­men­ta­ri­sches Stück wird, und deshalb habe ich alle Männer bei der Arbeit in dem Stück entfernt. Es ist sehr abstrakt, es wird fast wie ein Schiff, das über eine große Kluft reist. Es ist eher eine Erfah­rung als ein Doku­ment, und es war mir sehr wich­tig, damit eine immer­sive Erfah­rung zu schaf­fen, und dafür habe ich so lange gebraucht, ich weiß nicht, warum. Weißt du, „Mobi­lize“ war in nur einem Monat fertig, von Anfang bis Ende, vom Konzept bis zur Auslie­fe­rung des Produkts, und für „Trans­at­lan­tic“ habe ich sechs Jahre gebraucht. Ja, ich glaube, ich brauchte eine gewisse Reife als Künst­le­rin und Denke­rin, um mir eine Art Instal­la­tion vorzu­stel­len und nicht nur ein Doku­ment, das auf Film­fes­ti­vals läuft. Oder ich musste mich persön­lich weiter­ent­wi­ckeln, glaube ich auch.

Sylvia Cunningham: Was wir am Anfang des Films sehen, ist diese eher indus­tri­elle Szene mit Schorn­stei­nen und dann am Ende der Reise sehen wir eine Stadt­land­schaft bei Nacht, natür­lich mit vielen Gebäu­den. Ich hatte das Gefühl, dass diese Bilder sehr veran­kernd sind, weil ich genau weiß, wo ich bin. Aber es ist die Zeit dazwi­schen, wo es einfach nur offe­nes Wasser ist, wo man sich total hinein­ge­so­gen fühlt, wo man das Gefühl hat, sich zu verlie­ren. Ich frage mich, ob das ein biss­chen daran erin­nert, wie es für dich während der drei­wö­chi­gen Reise war. Du warst ziem­lich isoliert, rich­tig? Ich meine, wie war es, drau­ßen auf dem offe­nen Meer zu sein, wo es, wie du sagtest, nur Inter­ak­tion mit der Crew gab – gab es über­haupt eine Verbin­dung zur Außen­welt während dieser 22 Tage?

Caroline Monnet: Nein, niemand wusste, wo ich war, was ein inter­es­san­tes Konzept war, es stimmt, man hat keine Verbin­dung zu Tele­fon oder Inter­net, also ist man wirk­lich 22 Tage lang auf dem Meer und es ist eine Art Zeit­ta­sche, die… man kann nirgendwo hinge­hen, man ist, wo man ist. Das ist eine sehr inter­es­sante Erfah­rung, alle deine Bezugs­punkte verschwin­den, weil es keinen Punkt gibt, keine Markie­run­gen am Hori­zont, es ist immer das Glei­che. Man gerät also in einen ande­ren Geis­tes­zu­stand, was ein sehr faszi­nie­ren­der Ort ist.

Sylvia Cunningham: Etwas, das meine Mutter sagt, und ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich ihr zustimme, aber sie sagt, dass der beste Teil einer Reise der Teil davor ist, also die Planungs­phase, die Vorfreude auf alles, die Vorfreude auf die Reise. Und der Teil danach, die Erin­ne­run­gen daran und das Wieder­er­le­ben der Reise. Was waren deine Gefühle bei der Ankunft in Montreal? Die erste Nacht, in der du wieder in deinem Bett lagst, warst du erleich­tert oder hat ein Teil von dir bereits davon geschwärmt, wieder auf dem offe­nen Meer zu sein. Wie hat sich deine Rück­kehr ange­fühlt?

Caroline Monnet: Ja, ich denke, es gab eine gewisse Roman­ti­sie­rung der Idee, den Atlan­tik zu über­que­ren. Es ist die mytho­lo­gi­sche Route, wie mein Vater nach Frank­reich kam und nach Kanada auswan­derte, und so viele andere Leute, so viele andere Gene­ra­tio­nen und Erfah­run­gen von Sied­lern. Aber ja, natür­lich war ich eksta­tisch, als ich in Montreal ankam, um endlich einen Fuß auf Land zu setzen, denn es ist eine lange Reise, man sehnt sich nach den Menschen, nach der Verbin­dung zu den Menschen, die man liebt. Also ja, es war eine inter­es­sante Reise, aber… ich bin mir nicht sicher, ob ich deiner Mutter in diesem Punkt zustimme. Es hat etwas, von Punkt A nach Punkt B zu gehen, und die Reise ist das, was faszi­nie­rend ist, wie man als Person wächst, und die Idee, eine Grenze zu über­schrei­ten oder so. Die Reise selbst ist inter­es­sant, ja.

Sylvia Cunningham: Deine beiden Werke werden in der Schirn zur glei­chen Zeit gezeigt wie die Arbei­ten der Group of Seven, die zum ersten Mal in Deutsch­land ausge­stellt werden. Wie hast du über diesen Kontext nach­ge­dacht, vor allem in dem Wissen, dass die Besu­cher*innen mit diesen verschie­de­nen Dimen­sio­nen der Kunst konfron­tiert werden, die von Menschen aus Kanada stam­men.

Caroline Monnet: Nun, wenn man in Kanada aufwächst, ist die Group of Seven so etwas wie die erste Refe­renz, die man mit Male­rei und kana­di­scher Kunst im Allge­mei­nen hat. Jedes Kind in Kanada ist damit aufge­wach­sen. Man kennt all die großen Maler wie Rembrandt und Picasso, aber man kennt auch die Group of Seven, sodass wir Kanada durch diese Gemälde verste­hen lernen. Man versteht die Darstel­lung der kana­di­schen Land­schaft vor allem durch diese Gemälde. Aber ich denke, meine Inter­pre­ta­tion davon ist, dass diese Gemälde, die dazu beige­tra­gen haben, eine Geschichte zu erzäh­len, die sich sehr von den Indi­ge­nen Perspek­ti­ven unter­schei­det, weil es um dieses unbe­rührte, unbe­wohnte Super­ter­ri­to­rium ging, das darauf wartete, entdeckt zu werden. Weißt du, sie nennen es die „terra nullius“. Diese Indi­gene Geschichte einfach aus diesen Darstel­lun­gen zu entfer­nen, die Indi­gene Präsenz aus dieser Geschichte zu entfer­nen, verewigt den kolo­nia­len Blick. Die Auslö­schung Indi­ge­ner Geschich­ten und Menschen und auch die Vertrei­bung Indi­ge­ner Menschen. Es ist also eine bitter­süße Bezie­hung zu diesen Bildern und der Group of Seven. Tech­nisch gese­hen sind sie spek­ta­ku­lär und es ist eine groß­ar­tige Bewe­gung, aber gleich­zei­tig tragen sie zu genau dem bei, woge­gen wir kämp­fen.

Sylvia Cunningham: Etwas, worüber wir in der ersten Folge von „Critical Land“ mit Profes­sor Carmen Robert­son gespro­chen haben, war der Unter­schied zwischen Land und Land­schaft. Was bedeu­ten diese Begriffe für Sie?

Caroline Monnet: Nun, Land­schaft ist für mich eine Reprä­sen­ta­tion von Topo­gra­phie und es ist etwas, das schön ist und das man sich fast vorstel­len kann, es ist Teil einer Vorstel­lung und man kann eine Land­schaft beschrei­ben. Wohin­ge­gen Land für mich das ist, wo wir hinge­hö­ren, es ist das, wo alles seinen Ursprung hat. Wir können die Erde nicht besit­zen, es ist die Erde, die uns besitzt, wir kommen von ihr und wir kehren zu ihr zurück. Ich denke, das Land ist der Begriff des Terri­to­ri­ums und das Zentrum aller Menschen, weil dort alle Wurzeln unse­res Wissens liegen – unsere Spra­chen, unsere Tradi­tio­nen, unser Gefühl der Zuge­hö­rig­keit und unser Iden­ti­täts­ge­fühl – also denke ich, dass es mehrere Terri­to­rien und mehrere Länder und kana­di­sche Land­schaf­ten gibt. Es gibt eine Viel­falt davon, und ich denke, wir können nur von dem Land spre­chen, von dem wir kommen. Ich glaube nicht, dass ich für „kana­di­sches Land“ spre­chen kann, ich kenne nur den Ort, aus dem ich komme, und die Region in Kanada, aus der ich komme, und die Verbin­dung, die ich mit diesem Land im Beson­de­ren habe, und auch die Verbin­dung meines Volkes zu diesem Land.

Sylvia Cunningham: Ich habe mir ein frühe­res Inter­view von dir ange­se­hen, und ich hoffe, ich verstehe, was du gesagt hast. Du sprachst darüber, wie sehr du dich für Indi­gene Künst­ler*innen inter­es­sierst, die auf verschie­dene Kunst­be­we­gun­gen zurück­bli­cken und sie reflek­tie­ren. Wie würdest du deine Perspek­tive auf die Land­schafts­bil­der der Group of Seven und die Zeit, in der sie malten, anwen­den – auf diese Bewe­gung?

Caroline Monnet: Wow, das ist eine wirk­lich gute Frage. Ich weiß es nicht, denn es ist eine Bewe­gung… es ist eine Bewe­gung an sich, aber wie würdest du diese Bewe­gung in der Male­rei nennen, weißt du, was ich meine? Weil es ziem­lich figu­ra­tiv ist, also bin ich mir nicht sicher, ob es eine Bewe­gung ist, die ich instink­tiv erfor­schen würde, wie den Moder­nis­mus, oder den Dada­is­mus oder den Surrea­lis­mus, wo es eine wirk­li­che welt­weite Bewe­gung gab. Diese spezi­elle Gruppe ist sehr spezi­fisch für Kanada und die Darstel­lung von Land­schaft. Sie sind eine Art Entde­cker auf dem Land, rich­tig? Sie lassen sich auf dem Land nieder und versu­chen, es so gut wie möglich darzu­stel­len, fügen aber auch ihren eige­nen Sied­ler­blick hinzu, sodass es auch eine Ebene ihrer eige­nen Vorstel­lungs­kraft ist, die in die Arbeit einfließt. Das ist also eine wirk­lich gute Frage, über die ich nach­den­ken muss, wie ich sie mir aus meiner eige­nen Indi­ge­nen Perspek­tive aneig­nen würde.

Sylvia Cunningham: Du hast sowohl Algon­quin als auch fran­zö­si­sche Wurzeln, und ich habe gese­hen, wie du zuvor darüber gespro­chen hast, tradi­tio­nelle Prak­ti­ken mit zeit­ge­nös­si­schen Prak­ti­ken zu verbin­den – dass deine Arbeit oft Brücken schlägt. Hast du deine Algon­quin-Herkunft und dein Erbe durch dein eige­nes Aufwach­sen kennen­ge­lernt, oder hast du mehr über diese Geschichte und Tradi­tio­nen als Künst­le­rin gelernt, die sich in ihrer Kunst gezielt mit diesen Themen ausein­an­der­setzt?

Caroline Monnet: Nun, ich würde sagen, als Künst­le­rin habe ich eine Arbeit gemacht, die auf Recher­chen basiert. Das hat mir erlaubt, tiefer in diese Begriffe und dieses Wissen einzu­drin­gen und mehr darüber zu erfah­ren, woher ich komme, aber es ist etwas, das immer präsent war, als ich aufge­wach­sen bin. Es ist nur nicht etwas, worüber man am Küchen­tisch spricht. Man spricht zu Hause nicht wirk­lich über seine Kultur oder es ist nicht etwas, das man mit seinen Eltern oder mit seinen Geschwis­tern oder Tanten und Onkeln zu defi­nie­ren beginnt. Wenn ich als Künst­le­rin anfange, mich mit Themen zu beschäf­ti­gen, die mir wich­tig sind, und bestimmte Dinge in unse­rer Gesell­schaft zu disku­tie­ren und einen Dialog über bestimmte Themen unse­rer Gesell­schaft zu eröff­nen, dann fange ich an, mehr zu graben und mich mit tradi­tio­nel­ler Kunst oder tradi­tio­nel­len Lehren zu beschäf­ti­gen und einfach mehr zu schauen, woher meine Leute kommen. Und wie ich schon sagte, bin ich in einem Vorort von Ottawa aufge­wach­sen, also nicht in der Gemein­schaft meiner Mutter, und ich meine, wir sind zu Beer­di­gun­gen oder Hoch­zei­ten zurück­ge­gan­gen, aber das war nichts, was in meiner Kind­heit beson­ders gefei­ert wurde. Erst später, als es auch in der kana­di­schen Gesell­schaft ein biss­chen akzep­tier­ter wurde, konnte ich ein biss­chen tiefer graben.

Sylvia Cunningham: Ist das inzwi­schen eine Brücke zu deiner Mutter und der erwei­ter­ten Fami­lie gewor­den? Ich meine, ist es etwas gewor­den, worüber du viel­leicht am Küchen­tisch spre­chen würdest?

Caroline Monnet: Ja, viel­leicht ein biss­chen mehr, weil es jetzt so einge­bet­tet ist in mein Leben und die Arbeit, die ich mache. Also ja, natür­lich, wenn meine Mutter mich fragt, woran ich arbeite, erzähle ich ihr mehr darüber oder einfach die Leute, die ich in meinem Umfeld habe. Aber ich denke, es ist eine Art, wie soll ich das sagen? Es hat fast nur vier Gene­ra­tio­nen gedau­ert uns mit kultu­rel­lem Geno­zid auszu­lö­schen. Und es ist keine 50 Jahre her, dass es uns nicht erlaubt war, uns krea­tiv auszu­drü­cken. Also gibt es ein gewis­ses Maß an Verant­wor­tung, das mit der neuen Gene­ra­tion kommt, in der Lage zu sein, präsent zu sein und diese Tradi­tio­nen am Leben zu erhal­ten. Zwischen meinem Groß­va­ter und mir klafft eine gewisse Lücke und ich möchte einfach daran arbei­ten, diese Lücke zu schlie­ßen und das in meine eigene Fami­lie und mein eige­nes Umfeld zurück­zu­brin­gen.

Sylvia Cunningham: Ich würde gerne auf einen weite­ren deiner Filme einge­hen, „Crea­tura Dada“. Ich hatte vor, ihn selbst zu beschrei­ben, aber eigent­lich würde ich mich freuen, wenn du statt­des­sen beschrei­ben würdest, was dieser Kurz­film ist.

Caroline Monnet: „Crea­tura Dada“, nun, es war der 100. Jahres­tag des Dada­is­mus und ich wurde vom Festi­val du nouveau cinéma in Montreal gebe­ten, eine Carte Blan­che zu erstel­len, also ein sehr kurzes Video zu machen. Ich hatte den „Weiße-Seite-Komplex“, ich wusste nicht, was ich tun sollte. Also beschloss ich, das kleine Budget zu nehmen, das sie mir anbo­ten, um Indi­gene Frauen an meinen Tisch einzu­la­den und ein Fest­mahl zu machen, Cham­pa­gner zu kaufen und ihnen einen schö­nen Nach­mit­tag zu berei­ten. Und es ist sehr selten, dass wir die Chance bekom­men, zusam­men­zu­kom­men und uns einfach auszu­tau­schen und mitein­an­der zu reden und Zeit zu verbrin­gen. Diese Frauen sind promi­nente Anfüh­re­rin­nen ihrer Gemein­schaft, sie sind Künst­le­rin­nen, und du weißt, dass Nadia Myre dabei war, aber auch Alanis Obom­sa­win, die ein erstaun­li­ches Vorbild für die Indi­gene Gemein­schaft ist. Ich habe die ganze Erfah­rung gefilmt, es ging darum, alle Regeln zu brechen, weil sie uns in der kana­di­schen Gesell­schaft nicht passen, und die Welt neu zu erfin­den, wie wir es für rich­tig halten. Es ging darum, als Frauen vorwärts zu marschie­ren, als Anfüh­re­rin­nen unse­rer Gemein­schaf­ten.

Sylvia Cunningham: Die Zuhö­rer*innen soll­ten sich das auf jeden Fall nach dem Inter­view anse­hen, so wie du es beschreibst, ist es eine groß­ar­tige Party und es gibt so viel Lachen und so viel Leben. Ich denke, gerade jetzt, wo Dinner­par­tys im Grunde ein No-Go sind, hat es etwas beson­ders Faszi­nie­ren­des, sich das anzu­se­hen.
[O-Ton aus „Crea­tura Dada”]
Wir müssen dabei beach­ten, dass man den Origi­nal­ton nicht hören kann. Es stellt sich also die Frage, worüber ihr alle gespro­chen habt. Kannst du beschrei­ben, was das für ein Sound ist, was wir statt­des­sen hören und was dich dazu bewo­gen hat, den Origi­nal­ton nicht einzu­be­zie­hen?

Caroline Monnet: Nun, es fühlte sich so an, als müss­ten wir das geheim halten. Wir können nicht alles preis­ge­ben, weil wir eine Revo­lu­tion planen. Wir können nicht jede*n davon wissen lassen, denn dann funk­tio­niert der Plan nicht! Und jede*r wird davon wissen. Ich denke, es ist auch deshalb inter­es­sant, weil all dieses Essen in der Gastro­no­mie als High-End-Essen gilt, aber das meiste davon ist sehr lokal, tradi­tio­nel­les Essen – Hummer, Austern. Ich habe diesen Film gemacht, nach­dem es in den Medien ein großes Thema über Indi­gene Frauen gab, die von Poli­zis­ten in der Abitibi-Region miss­braucht wurden, und dieser Film war eine Art Antwort darauf, dem nega­ti­ven, vikti­mi­sier­ten Bild von Indi­ge­nen Menschen oder Frauen, beson­ders in den Medien, entge­gen­zu­wir­ken. Frauen sind immer noch die am meis­ten margi­na­li­sierte Gruppe der kana­di­schen Gesell­schaft. Das war die Absicht hinter dem Film.

Sylvia Cunningham: Ich bin kürz­lich über dieses Zitat eines Musi­kers gestol­pert, dass die „Pande­mie keine Resi­dency“ oder „Künst­ler-Retreat“ sei, als Antwort auf den äuße­ren oder viel­leicht selbst aufer­leg­ten Druck, neue Arbei­ten zu produ­zie­ren und super krea­tiv zu sein, wenn man sich abschot­tet. Wie ist es für dich gewe­sen?

Caroline Monnet: Ja, ich meine, es war eine gute Zeit, um ein biss­chen lang­sa­mer zu machen, denn als Künst­ler*in ist man immer in der Phase des Produ­zie­rens und Präsen­tie­rens und Reprä­sen­tie­rens. Und sich die Zeit zu nehmen, nicht so viel zu reisen und mehr über die Recher­che und die Vorbe­rei­tung auf das, was kommt, nach­zu­den­ken und die Arbeit, die man macht, neu auszu­rich­ten, das war gut. Ich habe an der Fertig­stel­lung meines ersten Spiel­films gear­bei­tet, das war gut für mich, um mir mehr Zeit für die Post­pro­duk­tion zu nehmen, anstatt es zu über­stür­zen und zum nächs­ten Projekt über­zu­ge­hen. Ich schätze also, dass ich mir eine kleine Pause gegönnt habe und es nicht als eine Zeit des Schaf­fens ange­se­hen habe. Es hat sich für mich nicht wirk­lich verlang­samt, ich musste anders arbei­ten, würde ich sagen.

Sylvia Cunningham: Dieser Spiel­film, „Boot­leg­ger“ – den du mitge­schrie­ben hast und der 2017 bei den Film­fest­spie­len in Cannes als bestes Dreh­buch ausge­zeich­net wurde – kannst du uns ein biss­chen darüber erzäh­len, wo du damit stehst, worum es geht und wann wir ihn sehen können?

Caroline Monnet: Nun, der Film befin­det sich in der Endphase der Post­pro­duk­tion. Wir haben ihn im Dezem­ber 2019 gedreht und sind gerade dabei ihn fertig­zu­stel­len, also können wir ihn hoffent­lich etwas später in diesem Jahr veröf­fent­li­chen, viel­leicht diesen Sommer oder Herbst. Aber das liegt wirk­lich nicht in meinen Händen, es ist die Produk­ti­ons­firma und der Rest der Leute, die das alles orga­ni­sie­ren werden. Aber es ist natür­lich aufre­gend, einen ersten Spiel­film zu machen, es ist ein biss­chen nerven­auf­rei­bend, so ein Projekt in einer Zeit der Pande­mie zu machen, weil wir nicht wissen, wie diese Filme enden werden – ob wir Leute in den Kinos haben werden, ob wir Film­fes­ti­val-Premie­ren haben werden, ob es online zu sehen sein wird? Und natür­lich ist man ein biss­chen enttäuscht, weil man fünf Jahre an einem Projekt arbei­tet und es dann online erscheint und die Leute es auf ihren Bild­schir­men sehen, aber es ist auch eine andere Erfah­rung und viel­leicht kann man auf diese Weise mehr Leute errei­chen. Wir passen uns also an, und alles hat seine guten und schlech­ten Seiten.

Sylvia Cunningham: Die Musi­ke­rin Tanya Tagaq, die die Musik für „Mobi­lize“ gelie­fert hat, wird auch die Musik für „Boot­leg­ger“ machen, rich­tig?

Caroline Monnet: Ja genau, es ist also eine fort­lau­fende Zusam­men­ar­beit. Ich war sehr froh, dass Tanya Tagaq zuge­sagt hat, die Musik zu machen. Sie hat mit Jean Martin zusam­men­ge­ar­bei­tet, mit dem sie norma­ler­weise auch zusam­men­ar­bei­tet. Ich bin sehr zufrie­den mit den Klän­gen, die sie zusam­men geschaf­fen haben.

Sylvia Cunningham: Wie findest du, dass die Musik die Hand­lung und die Themen von „Boot­leg­ger“ ergänzt?

Caroline Monnet: In „Boot­leg­ger“ geht es um Selbst­be­stim­mung und darum, das Schick­sal in die eige­nen Hände zu nehmen und sich von pater­na­lis­ti­schen Geset­zen zu lösen. Also geht es in der Musik um die Verbin­dung zum Land, zum Terri­to­rium, um den Wunsch auszu­bre­chen. Tanya Tagaq hat den perfek­ten Klang und die Ener­gie für diese Dinge. Es ist diese Sehn­sucht nach Selbst­be­stim­mung, deshalb war ich sehr glück­lich über die Verschmel­zung meiner Bilder mit dieser Musik.

Sylvia Cunningham: Jetzt arbei­test du natür­lich an mehre­ren Projek­ten gleich­zei­tig. Hast du das Gefühl, dass die Ideen, die du in einem Stück verar­bei­test, irgend­wie ihren Weg in ein ande­res finden? Oder hältst du das getrennt?

Caroline Monnet: Ich plane nichts im Voraus, ich habe das Gefühl, dass jedes Projekt zum nächs­ten führt, und meine Praxis ist auch ziem­lich instink­tiv. Es geht darum, mit der Arbeit zu expe­ri­men­tie­ren, aber auch mit mir selbst, und ich hoffe, mich als Indi­vi­duum weiter­zu­ent­wi­ckeln und sicher­zu­stel­len, dass sich die Arbeit mit jedem Projekt weiter­ent­wi­ckelt. Aber auch mit verschie­de­nen Diszi­pli­nen zu arbei­ten, hält mich auf Trab, hält mich enga­giert und inter­es­siert. Es hält mich auch außer­halb meiner Komfort­zone, ich denke, dass ich dadurch als Künst­le­rin und Mensch wach­sen und lernen kann. Da ich Sozio­lo­gie studiert habe, hat jedes Projekt einen sozia­len Hinter­grund, egal ob es sich um eine visu­elle oder skulp­tu­rale Arbeit oder um ein Video handelt. Dieser sozio­lo­gi­sche Hinter­grund ist immer sehr präsent. Es geht darum, eine Erfah­rung zu schaf­fen, eine emotio­nale Erfah­rung mit so wenig Worten wie möglich. Es ist ein mini­ma­ler Ansatz, denke ich.

Sylvia Cunningham: Dieses Jahr wirst du deine erste Einzel­aus­stel­lung im Montreal Museum of Fine Arts haben. Kannst du uns verra­ten, woran du dafür arbei­test?

Caroline Monnet: Ja, die Ausstel­lung wird den Titel „Ninga Mìnèh“ tragen. Das ist ein Wort aus dem Anis­hina­abe­mo­win, das „Ich gebe es dir“ bedeu­tet und es ist das Wort, das wir für „Verspre­chen“ verwen­den. Es befasst sich mit der Wohn­si­tua­tion in Indi­ge­nen Gemein­den, die sich über die Jahre hinweg kaum verän­dert hat, in abge­le­ge­nen Regio­nen mit harten Wintern, Bauma­te­ria­lien können knapp und sehr teuer sein. Und sie sind nicht sehr an die Umwelt dort im Norden ange­passt. Es gibt eine Wohnungs­krise, also wollte ich darüber spre­chen und über den Mangel an Visio­nen seitens der kana­di­schen Regie­rung. Ich glaube, dass wir unsere Häuser bauen und dass unsere Häuser uns bauen. Wenn wir also billige Mate­ria­lien verwen­den und wenn es eine anhal­tende Feuch­tig­keit gibt, die Schim­mel verur­sacht, dann wirkt sich das defi­ni­tiv auf unsere mentale, physi­sche und spiri­tu­elle Gesund­heit aus. Deshalb denke ich, dass Häuser als lebende Körper behan­delt werden soll­ten. Ja, und es geht einfach darum, einen Blick darauf zu werfen, wie das staat­li­che Wohn­sys­tem die Armut in diesen Gemein­den verur­sacht hat und was wir tun können, um einen Dialog darüber zu eröff­nen.

Sylvia Cunningham: Wenn wir unsere Häuser machen und unsere Häuser uns machen, wie denkst du, dass dein Haus dich macht und wie machst du es? Denkst du, dass du das persön­lich darauf anwen­dest, wie du ein Haus baust?

Caroline Monnet: Ja, abso­lut. Ich lege sehr viel Wert auf meine Umge­bung, ich glaube wirk­lich, dass wir die Umge­bung um uns herum beein­flus­sen und die Umge­bung uns beein­flusst. Wir stel­len uns immer vor, dass die Menschen die Orte reprä­sen­tie­ren, an denen sie leben, aber im Fall der nörd­li­chen Indi­ge­nen Gemein­den, bestimm­ter Indi­ge­ner Gemein­den, glaube ich nicht, dass das stimmt. Ich glaube, dass es an Ressour­cen fehlt, um ein rich­ti­ges Zuhause zu schaf­fen und diese Ausstel­lung will diese Vorur­teile und nega­ti­ven Stereo­ty­pen aufbre­chen. Was mich betrifft, so ist es in meinem Studio im Moment ziem­lich chao­tisch, aber norma­ler­weise ist es ziem­lich orga­ni­siert und sauber. Jedes Mal, wenn ich ein neues Projekt beginne, stelle ich sicher, dass ich aufräume, einfach um diesen geis­ti­gen Frei­raum zu haben, um Dinge aufzu­räu­men. Ich mag kein Durch­ein­an­der aber so bin ich nun mal. Ich meine, andere Leute fühlen sich damit wohl. Ich persön­lich brau­che ein paar weiße Wände um mir andere Dinge vorstel­len zu können.

Sylvia Cunningham: Caro­line Monnet, multi­dis­zi­pli­näre Künst­le­rin, deren Werke „Mobi­lize“ und „Trans­at­lan­tic“ in der Schirn zu sehen sind. Vielen Dank für deine Zeit.

Caroline Monnet: Oh, es war mir ein Vergnü­gen.

Critical Land

In der Podcast­reihe „Critical Land“ zur aktu­el­len Ausstel­lung „Magne­tic North“ spricht Sylvia Cunningham u. a. mit SCHIRN-Kura­to­rin Martina Wein­hart, Kunst­his­to­ri­ke­rin Prof. Carmen Robert­son, der Künst­le­rin Caro­line Monnet sowie der Wissen­schaft­le­rin, Philo­so­phin und Unter­neh­me­rin Joce­lyn Joe-Strack und der Cree-Schriftstellerin Jessica Johns über die Male­rei der kana­di­schen Moderne, zeit­ge­nös­si­sche Kunst in Zeiten der Deko­lo­nia­li­sie­rung, das Verhält­nis von Land vs. Land­schaft und den Klima­wan­del aus Indi­ge­ner Perspek­tive. Auf Englisch

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Caroline Monnet
© Oriana Fenwick

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