Carol Ramas Atelier: Eine Keimzelle der Kreativität

21.10.2024

8 min Lesezeit

Autor*in:
Juliet Jacques
Carol Rama

Carol Rama ging unbeirrt ihren ganz eigenen Weg durch die Kunstwelt. Ihr spektakulär in Szene gesetztes Turiner Atelier wurde erst mehrere Jahre nach ihrem Tod der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Was erzählen uns die dort arrangierten Objekte über Ramas Arbeitsweise und ihr Leben als Künstlerin?

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Carol Rama wurde 1918 in Turin gebo­ren und verbrachte in der Stadt auch einen Groß­teil ihres Lebens. Mit Anfang zwan­zig begann sie zu malen und bezog 1943 ein Atelier in der Via Napione 15, das zum lebens­lan­gen Mittel­punkt ihres künst­le­ri­schen Schaf­fens wurde. Im hohen Alter wurde Rama gefei­ert und auf der Vene­dig-Bien­nale 2003 mit dem Preis für ihr Lebens­werk bedacht. Im Septem­ber 2015 starb sie im Alter von 97 Jahren in Turin: Vier Jahre später wurde ihr Wohnate­lier, das die italie­ni­sche „Vogue“ einst als Gesamt­kunst­werk vorge­stellt und abge­lich­tet hatte, als Museum öffent­lich zugäng­lich gemacht.

Bei meinem Besuch war ich beein­druckt von der stim­mungs­vol­len Beleuch­tung durch die über­all plat­zier­ten Lampen sowie von mehre­ren trag­ba­ren Fern­seh­ge­rä­ten, den zahl­rei­chen gerahm­ten Zeich­nun­gen und Foto­gra­fien von Rama und ihren Freund*innen an den Wänden, aber auch von eini­gen der inno­va­ti­ven und unkon­ven­tio­nel­len Werk­ma­te­ria­lien, für deren Verwen­dung sie berühmt war. Die nach­fol­gend beschrie­be­nen Gegen­stände, die im Rahmen einer Führung zu sehen sind, illus­trie­ren Ramas Arbeits­weise und beleuch­ten ihr Leben als Künst­le­rin.

Blick in Carol Ramas Studio mit Arbeitsutensilien.
Studio Carol Rama
© Schirn Kunsthalle Frankfurt

Der Arbeitstisch

Der Bereich rund um Carol Ramas Arbeits­tisch und die auf ihm ange­ord­ne­ten Gegen­stände lassen die außer­ge­wöhn­li­che Band­breite ihrer Praxis deut­lich werden und zeugen von der langen Spanne ihrer Lebens- und Schaf­fens­zeit. Neben ihren Gemäl­den, die die umge­ben­den Wände zieren, gibt es auch Pinsel zu sehen, eine alte Schreib­ma­schine und einen Fern­se­her, mehrere Leuch­ten und einen gläser­nen Kopf. Bei Letz­te­rem handelt es sich um eine abstra­hierte Figur, die an Ramas Werke „Sguardo“ und „Figura (sedia rossa)“ (beide 1947) erin­nert – Porträt­dar­stel­lun­gen, die auf die Wieder­gabe jegli­cher Gesichts­züge verzich­ten und den Teint statt­des­sen zu einer haut­far­be­nen ovalen Form auflö­sen. Zudem finden sich Holz­sta­tu­et­ten, die sinn­bild­haft für Ramas lebens­lange Erkun­dung des mensch­li­chen Körpers stehen, von ihren frühen Aqua­rell­ma­le­reien nack­ter Körper bis hin zu den später entstan­de­nen Arbei­ten, die die Figur in ihre einzel­nen Bestand­teile zerle­gen. Auch wenn die Atelier­um­ge­bung auf den ersten Blick chao­tisch wirken mag, bietet sie doch eine perfekte Einfüh­rung in Ramas reiche und viel­fäl­tige Welt.

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Die Fotowand

Ihre künst­le­ri­sche Vision verfolgte Rama ganz ohne Kompro­misse – ein Grund, weshalb sie größere Aner­ken­nung erst spät in ihrer Karriere fand. Doch war sie gut vernetzt in der Kunst­welt, wie die Wand mit gerahm­ten Zeich­nun­gen und Foto­gra­fien belegt. Zeit­lich umspan­nen sie die 1940er- und 1950er-Jahre, als sich die Künst­le­rin vorüber­ge­hend dem Movimento Arte Concreta (MAC) anschloss, den Umgang mit dem Gale­ris­ten Luciano Ansel­mino, der neben Rama auch Warhol vertrat, ebenso wie eine Ausstel­lung in Turin 1992 und darüber hinaus. Auch bekun­den sie über die Kunst­szene hinaus­rei­chende Kontakte: Auf einem Bild an der Wand ist Rama zusam­men mit dem US-ameri­ka­ni­schen Film­star Liza Minnelli zu sehen.

Verschiedene gerahmte Fotografien von Menschen.
Studio Carol Rama
© Schirn Kunsthalle Frankfurt

Puppen- und künstliche Tieraugen

Rama benutzte Fahr­rad­schläu­che, abge­schnit­tene Farb­tu­ben und weitere alltäg­li­che Gegen­stände, denn sie teilte mit ihren Zeit­ge­noss*innen die Über­zeu­gung, dass Kunst vom gewohn­ten Lebens­all­tag nicht losge­löst sein sollte. Im Atelier verwahrte sie eine Kiste mit Puppen- und künst­li­chen Tier­au­gen: Ihr Anblick in dieser Form ist beun­ru­hi­gend, doch in Werken wie „Brico­lage“ (1966) sprin­gen sie den Betrach­ten­den aus einem ansons­ten abstrak­ten, in brau­ner, grauer und roter Farbe gehal­te­nen Lein­wand­bild ins Auge – damit stel­len die künst­li­chen Augen eines der eindring­lichs­ten und einpräg­sams­ten unter den von Rama verwen­de­ten unkon­ven­tio­nel­len Werk­ma­te­ria­lien dar.

Pappkisten, die mit künstlichen Augen und anderen Arbeitsutensilien gefüllt sind.
Studio Carol Rama
© Schirn Kunsthalle Frankfurt
Links befindet sich eine Holzkommode. In der Mitte steht ein niedriges Regal, in dem Farben und Pigmente ordentlich einsortiert sind.
Studio Carol Rama
© Schirn Kunsthalle Frankfurt
Aufbewahrungskiste mit Stiften und Farben, die auf einem Tisch steht.
Studio Carol Rama
© Schirn Kunsthalle Frankfurt
Links ist ein Holztisch mit diversen Utensilien zu sehen. Daneben befindet sich eine Holzstaffelei, über der mehrere luftleere Gummischläuche hängen. Rechts sind Papp- und Holzkisten gestapelt.
Studio Carol Rama
© Schirn Kunsthalle Frankfurt

Man Rays handschriftliches Gedicht

Gleich mehrere Objekte bezeu­gen auch Ramas Bezie­hung zur surrea­lis­ti­schen Bewe­gung. Aller­dings gab sie der Faszi­na­tion des (männ­lich domi­nier­ten) Surrea­lis­mus für die Erotik und das Devi­ante ihren ganz eige­nen, unver­wech­sel­ba­ren Spin, so etwa in ihren Aqua­rel­len aus den 1930er- und 1940er-Jahren: In einer traum- (oder alptraum)glei­chen Vision, wie sie sich auch in der surrea­lis­ti­schen Kunst oder Film­kunst findet, zeigt Ramas „1930-1931 brevetto n. 7H1261R (Appas­sio­nata)“ eine im Roll­stuhl sitzende unbe­klei­dete Frau mit ampu­tier­ten Beinen, deren rote Pumps noch immer auf den nutz­los gewor­de­nen Fußstüt­zen stehen.
Unter­halb eines Fens­ters hängt über einem Atelier­tisch das gerahmte, von Hand geschrie­bene Gedicht des mit Rama befreun­de­ten Man Ray, der auch eine Einlei­tung für den Kata­log ihrer Einzel­aus­stel­lung in der Galle­ria Il Fauno 1974 verfasst hatte. Das Gedicht vari­iert sieben Mal den Namen der Künst­le­rin und schließt mit „Carol Rama – Femme de sept visa­ges vue par Man Ray“.

Man Ray: Gedicht für Carol Rama

Architekturdiagramme

Als Rama gegen Ende ihrer Karriere zur Figu­ra­tion zurück­kehrte, widmete sie sich insbe­son­dere der Zeich­nung und verwahrte Gefäße mit Farb- und Filz­stif­ten auf ihrem Arbeits­tisch. Auf vorge­fun­dene Zeichen­trä­ger – vor allem Archi­tek­tur­dia­gramme – brachte sie wieder­holt weib­li­che Akte, Torsi, Flügel­we­sen und weitere Fanta­sie­gestal­ten auf. In „Sedu­zioni (Numeri Onde)“ (1984) zeich­nete Rama auf (und über) ihre Heimat­stadt – in diesem Fall einen Plan der Univer­si­tät: Eine nackte weib­li­che Figur mit Flügeln, die an eine hölzerne Tür gemah­nen, sowie ein geheim­nis­vol­ler Mann mit Hut und zwei Frösche verwei­sen auf esote­ri­sches, an der Hoch­schule gelehr­tes Geheim­wis­sen. Zugleich spie­len sie auf den Ruf Turins als „Stadt der Magie“ an – wurde diese doch auf dem 45. Brei­ten­grad erbaut, dort, wo sich okkul­tis­ti­schen Vorstel­lun­gen zufolge die magi­schen Drei­ecke berüh­ren.

Stifte in Behältnissen, die auf einem Holztisch stehen.
Studio Carol Rama
© Schirn Kunsthalle Frankfurt

Der Goldene Löwe

Die kleine Statu­ette, mit der Rama 2003 in Vene­dig geehrt wurde, nimmt (zumin­dest bei meinem Besuch) keine privi­le­gierte Posi­tion gegen­über den ande­ren Gegen­stän­den in ihrem Atelier ein, sondern versteckt sich fast schon hinter einer Figur des Hindu-Gottes Shiva und mehre­ren Gefä­ßen. Die goldene, geflü­gelte Skulp­tur wurde der Künst­le­rin im Alter von 85 Jahren verlie­hen und fügt sich in voll­ende­ter Weise in das Atelier­am­biente ein, so als wäre Rama seit jeher dazu bestimmt gewe­sen, sie entge­gen­zu­neh­men – doch war sie sich völlig im Klaren darüber, dass es ja nicht die Trophäe war, die von ihrem Talent und ihrer Bedeu­tung kündete, viel­mehr ihre Kunst selbst. Über ihre späte inter­na­tio­nale Aner­ken­nung äußerte sich Rama so: „Das macht mich natür­lich stock­sauer, denn wenn ich wirk­lich so gut bin, kapiere ich nicht, warum ich so lange hungern musste, auch wenn ich eine Frau bin.“

Der Goldene Löwe der Venedig Biennale, den Carol Rama 2003 für Lebenswerk erhielt.
Studio Carol Rama
© Schirn Kunsthalle Frankfurt
Blick auf eine Wand, an der gerahmte Malereien und Fotografien hängen. Darunter befindet sich eine Holzkommode, auf der eine Telefon, eine Schreibmaschine und Holzkisten mit Büchern stehen.
Studio Carol Rama
© Schirn Kunsthalle Frankfurt
Blick in den Wohnbereich mit einem Bett und einem Sideboard auf der rechten Seite. In der Mitte befindet sich eine Holzkommode und an der Wand hängen verschiedene Fotografien und gerahmte Kunstwerke. Links ist ein Schrank zu sehen.
Studio Carol Rama
© Schirn Kunsthalle Frankfurt

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