„A journey through colours“, eine Reise durch die Welt der Farben sei ihre Ausstellung, sagt Melanie Bonajo. Die 1978 geborene niederländische Künstlerin trägt ein knallig-orangenes Kleid und eine gelbe Kappe mit Smiley-Motiv. In Zusammenarbeit mit Théo Demans und Clemence Seilles hat sie den Frankfurter Kunstverein in eine psychedelische Landschaft verwandelt. Kaum eine Wand im Kunstverein blieb weiß. In den fünf aufwendig gestalteten Ausstellungsräumen nimmt der Besucher auf mitunter plüschigen Sitzgelegenheiten Platz, um Bonajos Videofilme zu sehen. Das erfordert Zeit, denn fast alle Filme sind länger als dreißig Minuten.
Die halbfiktionale Dokumentarfilm-Trilogie „Night Soil“ füllt das gesamte erste Obergeschoss. „Economy of Love“ ist in eine pink schimmernde Höhle integriert. Junge Amateur-Sexarbeiterinnen aus Brooklyn erzählen darin von unkonventionellen Liebespraktiken und ihrer Einstellung zum Körper: „Sexualität ist gut für mich. Sexualität ist gut für die Welt.“ Sie betrachten die Sexualität als einen Weg zur Selbstermächtigung. Auch von Tantra-Massagen ist die Rede. Bewusst sucht sich Bonajo vor allem weibliche Gesprächspartner: „Ich möchte Frauen eine Stimme verleihen.“ Ihre Filme sind im strengen Sinne nicht dokumentarisch, denn Bild und Tonspur gehen zuweilen getrennte Wege.
Eine Ausstellung für den Körper
So sieht man eine Gruppe von sieben nackten Männern und Frauen auf einer Dachterrasse in New York. Schrittweise legen sie sich übereinander. Ihre Körper sind angemalt. Zusammen bilden sie schließlich einen Regenbogen. Die außergewöhnlich intime Erfahrung scheint den Beteiligten Spaß zu machen. „Es ist auch eine Ausstellung für den Körper“, betont Melanie Bonajo. Und fürs Auge. Regenbogenfarben ziehen sich durch die gesamte Schau. Selbst die Deckenlichter im Eingangsfoyer und die Außenfenster zum Hof stehen im Zeichen des Regenbogens. Nichts erinnert an die klinische Neutralität eines White Cube.
So glaubt man sich manchmal inmitten eines bewusstseinserweiternden Trips. Das ist kein Zufall. Melanie Bonajo spürt ein Unbehagen, sie möchte der Kälte und Rationalität der modernen, kapitalistischen Gesellschaft um jeden Preis entfliehen. Sie sucht nach alternativen Lebensformen, nach einem anderen Umgang mit der Umwelt, den Tieren, mit dem eigenen Körper. Bonajo trifft Aussteiger, Außenseiter und Benachteiligte. Der Film „Fake Paradise“, ein Teil der „Night Soil“-Trilogie, erzählt von der halluzinogenen Droge Ayahuasca, die aus dem Amazonasgebiet stammt. Dort wird sie für kultische Handlungen, aber auch für medizinische Zwecke verwendet. Jüngst wurde Ayahuasca auch außerhalb des Amazonasgebiets populär.
Eine nächtliche Zusammenkunft
Melanie Bonajo spürt in dem Film einer Bewegung nach, die sich für die Legalisierung der Droge einsetzt. Die Künstlerin verweist dabei als Beispiel auf die Bedeutung von LSD für die Hippie-Kultur der 1960er-Jahre. Viele technologische und gesellschaftliche Innovationen unserer Zeit haben ihren Ursprung in der drogengeschwängerten Gegenkultur Kaliforniens. Bonajo stellt die Frage nach dem gesellschaftsverändernden Potential psychedelischer Erfahrungen. „Fake Paradise“ wird in einem großen Zelt gezeigt, das an Nomadenbehausungen erinnert. Der Raum ist abgedunkelt. So entsteht im Zelt die Atmosphäre einer geselligen nächtlichen Zusammenkunft.
Die dunkle Seite des Fortschritts demonstriert die Filmarbeit „Progress vs. Regress“. Bonajo hat hochbetagte Frauen und Männer zu ihrem Umgang mit technischen Neuerungen der letzten Jahrzehnte befragt. In ihrem Leben haben sie viele Quantensprünge miterlebt. Alte Menschen seien „vom kapitalistischen System ausgeschlossen“, sagt die Künstlerin. Man erfährt unter anderem, dass Telefon, Fotokamera und Fernsehen nicht immer selbstverständlich waren. Die Erzählungen kombiniert Bonajo mit Emojis, Werbebildern und Bildschirmansichten von Internetsuchportalen. Zudem lässt sie die Protagonisten mit einem Selfie-Stick agieren.
Auch ein Dialog der Generationen ist Teil des Films. „Babyboomer“ und „Millennials“ sprechen über ihre Erfahrungen mit dem Internet und mit Smartphones. Präsentiert wird „Progress vs. Regress“ in einer Szenerie, die Melanie Bonajo als „futuristisches Raumschiff“ beschreibt. Die einzigen Sitzgelegenheiten im Raum sind Rollstühle. Lässt es sich in den anderen Räumen dieser Ausstellung wunderbar lümmeln, so gemahnen die Rollstühle an die körperlichen Einschränkungen im Alter.
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