In identitätsverliebten Zeiten können schon bloße Fragen zu jener offenbar leicht missverstanden werden. Leon Krempel, Direktor der Kunsthalle Darmstadt, stellt daher gleich zu Beginn klar: „Wir sind hier nicht auf der Suche nach DER Identität!“ Der Titel der Ausstellung, „What are We Made Of?“, in der nun 23 Künstler mit insgesamt 35 Werken aus der 2010 gegründeten Art Collection der Deutschen Telekom präsentiert werden, entfaltet sich daher eher auf der Meta-Ebene.
Nicht die Suche nach einer vermeintlichen Identität soll hier angesprochen sein, sondern gewissermaßen jene nach den Möglichkeiten, eine solche Identitätssuche überhaupt zu formulieren. Auf welcher Achse setzt man also an? Natürlich auf mehreren zugleich, wie im Großen Saal der Ausstellungshalle vorgeführt.
Hier finden sich so unterschiedliche Werke wie die von Volodymyr Kuznetsov, Iza Tarasewicz oder Ksenia Gnilitska, die allenfalls gemein haben, dass sie irgendwann in den letzten Jahren entstanden sind und von KünstlerInnen stammen, die irgendwo im ehemaligen sogenannten Ostblock aufgewachsen sind. Eine komplette Wand nimmt Kuznetsovs „How to deal with the Pigs“ ein, das eine Unterscheidung zwischen Botschaft und Medium völlig unmöglich macht. Sein plakatives, ganz in Protestästhetik geschultes Streetstyle-Gemälde von Schweinen, die sich über eine Stadt hermachen, illustriert wieder einmal anschaulich den exponentiellen Zusammenhang zwischen schmissig-gefälligen Bildern und verkürzter Kritik. Dabei rekurriert der Ukrainer auf die Proteste am Maidan, die sich auch an der Unzufriedenheit über die Oligarchen der Politikerkaste entzündeten.
Am diametral entgegengesetzten Laut-Leise-Spektrum agiert die zarte Arbeit von Ksenia Gnilitska, ebenfalls in der Ukraine geboren: Ihre in Keramik gebrannten und durch verlaufene Glasur nur entfernt erkennbaren Reisepässe, je ein russischer und ein ukrainischer, lagern hinter Glas wie Relikte einer anderen Zeit. Und dies, so deutet der Titel „Fragile of Identification“ an, sind sie als gemeinsames Doppel wohl auch. In einer völlig anderen Dimension bewegen sich wiederum die raumfüllenden Konstruktionen von Iza Tarasewicz. Installationen aus oxidierten Metallrahmen, gefüllt mit fantastisch leuchtenden Pigmenten und anderem Gestein, das eher die Spezies Mensch als Summe seiner Elemente zu erforschen scheint als dessen unzählige Selbstkategorisierungen.
Tarasewicz, die 1981 in Polen geboren wurde, gehört damit zur Generation jener Alchemisten-Künstler, deren Arbeiten sich irgendwo zwischen kunstgeschichtlichen und naturwissenschaftlichen Verweisen verorten lassen.
Die Ausstellung wirft ein Schlaglicht auf die noch junge Unternehmenssammlung
Mit der noch jungen Unternehmenssammlung soll zeitgenössische Kunst Ost- sowie Südosteuropas in die Öffentlichkeit rücken – idealer Weise jene, die noch nicht andernorts vertreten ist (als man beispielsweise Agnieszka Polskas Videoarbeit „Future Days“ ankaufte, lag der Preis der Nationalgalerie in Berlin noch in einiger Ferne.) Dass eine solche Mammutaufgabe nur beispielhaft gelöst werden kann, zeigt auch diese Ausstellung, die ja wiederum nur ein Schlaglicht auf die gesamte Sammlung wirft. Von der Krim-Krise und den noch jüngeren Protesten auf dem Maidan über den Zerfall Jugoslawiens in etliche Kleinststaaten und ethnisch-religiöse Gruppierungen bis zum Neostalinismus eines Ceaușescu mitsamt seines Untergangs reichen die politischen Umstände, innerhalb derer die hier gezeigten Arbeiten entstanden sind.
Damit nicht genug, gab es auch generationentechnisch keinerlei Vorgaben – neben Künstlerinnen und Künstlern, die kurz vor oder nach dem Mauerfall geboren sind, zeigt die Schau solche wie Vlado Martek mit seiner Guerilla-Kunstaktion „Art Has No Alternative“: Eine Pappschablone mit ebenjenem Satz und ein wenig Goldspray genügten ihm 1986 als Antwort auf den Jugo-Sozialismus, der als alternativlos deklariert wurde. Ein bisschen schade, dass der hier gezeigte Querschnitt durch die noch junge Sammlung wohl auch aus Kostengründen ganz ohne Katalog auskommen muss. Die Herausforderungen beim Aufbau, von denen Sammlungsleiter Rainald Schumacher offenherzig erzählt, kann der Besucher allenfalls erahnen.
Es begann mit einer vergleichsweise naiven Vorstellung einer Region
Festhalten sollte man vielleicht: Es begann mit einer vergleichsweise naiven Vorstellung einer Region, deren künstlerische Dimensionen sich als mindestens genauso komplex herausstellten wie der Flickenteppich an Kleinststaaten und Lebensrealitäten in der Post-Sowjet-Ära selbst. Und: Die Bedingungen, unter denen hier Kunst entsteht, sind naturgemäß andere als im Rest Europas. Der Kunstmarkt ist dort heute klein bis kaum vorhanden, der ohnehin enorme ökonomische Druck aufs Berufsbild Künstler fällt nochmals stärker aus als in Westeuropa. Maximal vier bis fünf Jahre hätten die jungen Kunstakademieabsolventen, erzählt Schumacher, um sich zu positionieren.
Wer es dann nicht geschafft habe, der werde zunehmend dekorativ, gehe ins Grafikdesign oder gebe ganz auf. Andere wiederum werden erst im hohen Alter überhaupt einer größeren Öffentlichkeit bekannt: Die 1926 geborene Rumänin Geta Brătescu beispielsweise, die hier mit mehreren ihrer Tusch- und Aquarellzeichnungen vertreten ist. Und Ion Grigorescu, ein Künstler der Prä-Mauerfall-Generation, habe seine Arbeiten gar noch unter dem Bett hervorgekramt, unsicher, „ob das überhaupt irgendetwas“, ergo: Kunst, sei. Auch auf dieser Ebene entfaltet sich also vielleicht unbeabsichtigt die Frage nach der Frage der Fremd- und Selbstverortung, wie sie jetzt in Darmstadt gestellt wird.