Jetzt in der SCHIRN: Hans Haacke. Retrospektive
25.10.2024
15 min Lesezeit
Legende der Institutionskritik, Demokrat, Artist’s Artist: die SCHIRN präsentiert das wegweisende und aktuelle Werk von Hans Haacke.
„Gift Horse“ in der Rotunde
In ihrer öffentlich zugänglichen Rotunde zeigt die SCHIRN Hans Haackes ikonisches „Gift Horse“ (2014), das der Künstler im Rahmen der „Fourth Plinth Commission“, einer der weltweit renommiertesten Aufträge für Kunst im öffentlichen Raum, für den Trafalgar Square in London entwickelte. Als eine Art „Gegen-Denkmal“ zur imperialen Repräsentation von Macht durch die Statuen an diesem Platz zeigt Haackes 4,5 Meter hohe Bronzeskulptur ein Pferdeskelett, das sich an einer Studie aus George Stubbs’ „The Anatomy of the Horse“ orientiert. Auf einer Schleife am vorderen Oberschenkelknochen des Skeletts wird ortsspezifisch über eine elektronische Anzeige live der Ticker der Frankfurter Börse übertragen. Haackes „geschenkter Gaul“ kann als Kommentar auf eine seit Jahrhunderten von Klassengegensätzen bestimmte, dem Diktat der Märkte unterworfene Gesellschaft gelesen werden.
Vom Objekt zum Prozess
Zu sehen ist zudem eine Reihe von Werken, in denen sich Haacke mit den verschiedenen Aggregatzuständen von Wasser beschäftigte. Ein „signature work“ des Künstlers ist der „Large Condensation Cube“ (1963–1967), ein Plexiglas-Kubus, in den eine kleine Menge Wasser eingeschlossen ist. Haacke nannte diese Kuben auch „Wetterkästen“, später verglich er das meteorologische Klima auch mit dem politischen „Klima“. Diese Verknüpfung von verschiedenen Systemen ist charakteristisch für seine Arbeitsweise. Auch zeichnet sich in seiner künstlerischen Praxis hier der Übergang vom Objekt (oder der Skulptur) zum Prozess ab. Weitere „Versuchsanordnungen“ im musealen Innenraum führen mittels Verdunstung, Kondensation, Kristallisation, Verflüssigung den Wasserkreislauf („Circulation“, 1969) vor, andere Luftbewegungen („Blaues Segel“, 1964–1965) oder Wachstumsprozesse („Grass Grows“ / „Gras wächst“, 1969). Ab 1967 arbeitete Haacke auch im Außenraum, etwa mit „Sky Line“ (1967), sowie mit von ihm gesteuerten Prozessen mit Wasserdampf oder schmelzendem Schnee, und dokumentierte diese Arbeiten selbst fotografisch.
Ökologische Kunst
Immer wieder widmete er sich systemischen und ökologischen Fragestellungen. Als eines der ersten ökologischen Kunstwerke überhaupt gilt seine Fotografie „Monument to Beach Pollution“ (1970). Mit „Krefelder Abwasser-Triptychon“ (1972) und „Rheinwasseraufbereitungsanlage“ (1972) machte Haacke direkt und anklagend auf die Verschmutzung des Rheins aufmerksam. Charakteristisch sind auch seine „Realzeit-Systeme“ – in seiner Aktion „Chickens Hatching“ (Küken ausschlüpfend, 1969) ließ er in Realzeit Küken im Ausstellungsraum ausbrüten und führte Geburts- und Wachstumsprozesse in einer minimalistischen Kastenstruktur vor. „Ant Co-op“ (Ameisenkooperativ, 1969) dokumentiert die Regelmäßigkeit der von Ameisen gegrabenen Gänge und somit ein biologisches und soziales System. Der Künstler- und Dokumentarfilm „Hans Haacke. Selbstporträt eines deutschen Künstlers in New York“ (1969) gibt Einblicke in seine Arbeitsweise und zeigt zudem viele frühe prozessuale Arbeiten in Aktion.
Institutionskritik
Zu einer weiteren institutionellen Absage führte das „Manet-PROJEKT ’74“ (1974), das Haacke für die Jubiläumsausstellung des Wallraf-Richartz-Museums in Köln einreichte. Er schlug vor, das „Spargel-Stilleben“ (1880) von Édouard Manet aus der Sammlung des Museums zusammen mit den Ergebnissen einer Provenienzrecherche zu diesem Werk auszustellen. Die Informationstafeln beinhalten detaillierte, sowohl persönlich-biografische als auch beruflich-wirtschaftliche Angaben zu den Vorbesitzern sowie deren Verwicklung in den Nationalsozialismus. Die SCHIRN zeigt zwei weitere Arbeiten, die sich kritisch mit den Wechselbeziehungen von Kunstmäzenatentum und ökonomischer Aktivität auseinandersetzen: „Der Pralinenmeister“ (1981), eine Arbeit zu Verbindungen zwischen kultur- und steuerpolitischen Entscheidungen des einflussreichen Kölner Sammlers und Fabrikanten Peter Ludwig, und „Buhrlesque“ (1985) zum Schweizer Kunstsammler, Mäzen und Waffenproduzenten Dr. Dietrich Bührle.
Demokratie und Meinungsbildung
In zahlreichen Werken engagiert Haacke sich für demokratische Prozesse, Meinungsbildung sowie eine antifaschistische und pluralistische Haltung. Einige Arbeiten beschäftigen sich mit medialer Repräsentation: „News“ (1969) überträgt den Newsticker einer Nachrichtenagentur in den Ausstellungsraum, in der SCHIRN werden Meldungen ausgewählter Frankfurter Medien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Frankfurter Rundschau und von Hessenschau.de übermittelt. „Photo Opportunity (After the Storm / Walker Evans)“ (1992) befasst sich vergleichend mit Bildberichterstattung. Die SCHIRN zeigt auch Haackes machtkritische Arbeit für die documenta 7: Die Installation „Ölgemälde, Hommage à Marcel Broodthaers“ (1982) besteht aus einem von ihm selbst angefertigten Porträt des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan, das gegenüber einer großformatigen Fotografie einer Großdemonstration der Gegner*innen von dessen Politik und der Stationierung von Atomwaffen gezeigt wird.
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