5 Gründe, Selma Selman in der SCHIRN zu sehen

28.06.2024

8 min Lesezeit

Selma Selman

Poetisch, konfrontativ, überraschend: Die SCHIRN präsentiert vom 20. Juni bis zum 15. September 2024 zwei neue Werke der Künstlerin Selma Selman in einer großen Soloschau. Aus diesen fünf Gründen lohnt sich der Besuch.

1

Neue Werke der „gefährlichsten Frau der Welt“

Erst vor weni­gen Jahren ist Selma Selman selbst­be­wusst und kraft­voll in die inter­na­tio­nale Kunst­welt vorge­drun­gen und bezeich­net sich selbst als „gefähr­lichste Frau der Welt“. Zusam­men mit ihrer Fami­lie schlach­tet sie vor Publi­kum eins­tige Status­sym­bole wie Merce­des-Benz-Autos aus, um an die weni­gen noch verwend­ba­ren Edel­me­talle zu gelan­gen. Laut und eindring­lich sind in der Regel auch die sprach­li­chen Perfor­man­ces der Künst­le­rin mit Rom*nja-Hinter­grund, in denen Wut und der Drang nach einer Umkeh­rung der Macht­ver­hält­nisse zum Ausdruck kommen. Selmans Kunst behan­delt in unter­schied­li­chen Medien eindrucks­voll Erfah­run­gen mit Diskri­mi­nie­rung, Gewalt, Sexis­mus und dem Patri­ar­chat. Ihr viel­sei­ti­ges Werk umfasst Perfor­man­ces, Skulp­tu­ren, Male­reien auf Auto­tei­len und Altme­tall, Zeich­nun­gen und Video.

In der SCHIRN präsen­tiert die Künst­le­rin Grafi­ken, kleine skulp­tu­rale Arbei­ten aus Edel­me­tal­len und zwei Perfor­man­ces, die zentrale Aspekte ihres Œuvres aufgrei­fen, sowie zwei neu entwi­ckelte Werke: Die Instal­la­tion „Flowers of Life“ (2024) aus Mehr­schalen­grei­fern verweist auf die Lebens­grund­lage ihrer Fami­lie, die auf dem Sammeln und dem Weiter­ver­kauf von Metall­schrott fußt. Die Video­ar­beit „Cros­sing the Blue Bridge“ (2024) basiert auf den Erin­ne­run­gen ihrer Mutter an Erleb­nisse in ihrer Heimat­stadt Bihać während des Bosni­en­krie­ges (1992–1995).

Foto: Selma Selman’s Archive; Image via dreamideamachine.com
Selma Selman, Mercedes Matrix, 2019, Performance
© Selma Selman, Foto: Mario Ilic; Image via dreamideamachine.com

2

Riesige Maschinen werden zu Blumen

Im Zentrum der Ausstel­lung steht die eigens neu konzi­pierte und titel­ge­bende Arbeit „Flowers of Life“ (2024). Die raumein­neh­mende Instal­la­tion besteht aus vier gebrauch­ten Mehr­schalen­grei­fern, wie sie auf Baustel­len oder Schrott­plät­zen zum Einsatz kommen. Selma Selmans Aneig­nung verwan­delt die massi­ven Maschi­nen in blumen­ar­tige kine­ti­sche Skulp­tu­ren, deren Blüten sich mithilfe eines Motors lang­sam öffnen und schlie­ßen. Im Inne­ren enthül­len sie Male­reien der Künst­le­rin. Mit „Flowers of Life“ knüpft Selman an ihre bekann­ten „Pain­tings on Metal“ (seit 2014) an, Arbei­ten mit Altme­tall, die zwischen Male­rei und Skulp­tur chan­gie­ren und auf den Schrott­han­del ihrer Fami­lie verwei­sen. Die sinn­lich-florale Inter­pre­ta­tion von „Flowers of Life“ spielt mit der Umkeh­rung von männ­li­chen und weib­li­chen Zuschrei­bun­gen und offen­bart zugleich die Frauen als zentrale Träge­rin­nen der Gemein­schaft. Mit star­ker und wehr­haf­ter Formen­spra­che deutet Selman stig­ma­ti­sie­rende Stereo­type um, die die patri­ar­chale Mehr­heits­ge­sell­schaft rund um die Kultur der Rom*nja und die Rolle der Frauen konstru­iert hat.

Selma Selman, Motherboards (The Wedding), 2023
Courtesy: the artist and Rijksakademie; Foto: Sander van Wettum

3

Sichtbarkeit und Emanzipation als Frau und Romni

Selmans Herkunft und die Einbe­zie­hung ihrer Fami­lie in ihre künst­le­ri­sche Praxis sind inte­gra­ler Bestand­teil ihres Werkes. Insbe­son­dere die inten­sive Zusam­men­ar­beit mit ihrer Mutter dreht sich um auto­bio­gra­fi­sche Erfah­run­gen, Sicht­bar­keit und Eman­zi­pa­tion als Frau und Romni und hat sich bereits in zahl­rei­chen Werken nieder­ge­schla­gen. Die SCHIRN präsen­tiert die neue filmi­sche Arbeit „Cros­sing the Blue Bridge“ in einer Instal­la­tion auf zwei Lein­wän­den. Sie handelt vom Fort­wir­ken histo­ri­scher Trau­mata, von Fürsorge, Mut und Wider­stän­dig­keit. Selman schlüpft in die Rolle ihrer Mutter und reinsze­niert deren Erin­ne­rung.

Der Film geht von Erleb­nis­sen ihrer Mutter im Bosni­en­krieg aus. An einem Tag der Waffen­ruhe im Jahr 1994 ging die Mutter mit Selmans Schwes­ter in die Stadt, um Lebens­mit­tel zu besor­gen und musste auf dem Heim­weg die mit Leichen und Tier­ka­da­vern über­säte Alija-Izet­be­gović-Brücke in Bihać über­que­ren. Beim Versuch die Augen des Kindes zu verde­cken und zugleich den schwe­ren Korb mit Lebens­mit­tel zu tragen, wehte der starke Wind ihr die Haare ins Gesicht und verdeckte die Sicht. Selman wieder­holt dieses Motiv in ihrer Insze­nie­rung. In einem eindring­lich vorge­tra­ge­nen Text auf Englisch, Bosnisch und Roma­nes verbin­det sie es u.a. mit Figu­ren der grie­chi­schen Mytho­lo­gie und stili­siert ihre Mutter zu einer Heldin, die mitver­ant­wort­lich ist, dass sich ihre Toch­ter heute unter widrigs­ten Bedin­gun­gen zu behaup­ten weiß. Die blaue Brücke wird so auch zu einem Sinn­bild für Selmans künst­le­ri­schen Akti­vis­mus, mit dem sie neue Wege erschließt.

Selma Selman, Crossing the Blue Bridge, 2024, Filmstill
Courtesy of the artist

4

Ein intersektionaler Blick ins Ich

„Super­po­si­tio­nal Inter­sec­tio­na­lism – Sleeping Guards“ (2023), eine Serie von 16 Bunt­stift­zeich­nun­gen auf rundem Papier, kreist um Selmans Selbst­bild­nis. Die Zeich­nun­gen zeigen intime Betrach­tun­gen von Frau­en­fi­gu­ren, deren Gesich­ter und Körper sich in surreale Misch­we­sen mit flui­den Iden­ti­tä­ten verwan­deln, sich ausdeh­nen und abstrakte Formen anneh­men. Das in Selmans Werk wieder­keh­rende Motiv des eindring­li­chen Blicks eines Auges taucht in diesen Bildern erneut auf und refe­riert auf Iden­ti­tät und gesell­schaft­li­che Zuschrei­bun­gen. Selman thema­ti­siert hier auch die Möglich­kei­ten und Gren­zen dessen, was sie sein kann – Frau, Künst­le­rin, Romni, inter­na­tio­nal erfolg­rei­cher Star, Toch­ter, Euro­päe­rin, Musli­min. Der Titel verbin­det das aus der Quan­ten­phy­sik kommende Phäno­men der Super­po­si­tion, bei dem ein Atom sich gleich­zei­tig in verschie­de­nen Zustän­den befin­den kann, mit dem Begriff der Inter­sek­tio­na­li­tät, der das Zusam­men­wir­ken mehre­rer Diskri­mi­nie­rungs­for­men beschreibt.

Selma Selman, Superpositional Intersectionalism – Sleeping Guards, 2023
Courtesy of the artist
Selma Selman, Superpositional Intersectionalism – Sleeping Guards, 2023
Courtesy of the artist

5

Live-Performances: Selma Selman in Aktion

Während der Lauf­zeit der Ausstel­lung finden zwei Live-Perfor­man­ces der Künst­le­rin statt. Selman zeigt zur Eröff­nung „You Have No Idea“ (seit 2015). Die eindring­li­che Perfor­mance kann je nach Situa­tion zwischen fünf Minu­ten und einein­halb Stun­den dauern. Mit der konti­nu­ier­li­chen Wieder­ho­lung des titel­ge­ben­den Satzes adres­siert sie gesell­schaft­li­che Zuschrei­bun­gen und konfron­tiert das Publi­kum mit unbe­wuss­ten Voran­nah­men über andere Menschen. Zum Book Launch des Ausstel­lungs­ka­ta­logs in der SCHIRN performt Selman die auf ihrem Insta­gram-Account erschei­nende Arbeit „Letters to Omer“ (seit 2021). In der sich fort­set­zen­den Serie von Brie­fen teilt die Künst­le­rin intime Gedan­ken, Wünsche und Visio­nen einer mögli­chen Zukunft mit einer fikti­ven Figur namens Omer.

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