„Mir geht es nicht darum, auf der Straße erkannt zu werden“

27.01.2025

7 min Lesezeit

Autor*in:
Markus Wölfelschneider

Sie zeichnet, macht Musik und ist Schauspielerin. Seit 2021 gehört die vielseitige Lotte Schubert zum Ensemble des Schauspiels Frankfurt, wo sie aktuell etwa als Gretchen brilliert. Ein Backstagebesuch.

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Erstmal einen Kaffee in der Kantine, die Lotte Schubert scherzhaft „unser WG-Wohnzimmer“ nennt, weil sie oft auch ohne jede Verpflichtung hierherkommt. Heute Abend jedoch steht sie in Jan-Christoph Gockels Faust-Inszenierung als Gretchen auf der Bühne. Noch sind ein paar Stunden Zeit, bis sie in die Maske muss.

Oben, in der Garderobe, hängen schon die Kostüme bereit. Unter der Kleiderstange stehen vier Paar Schuhe in einer Reihe. Die mit den dicken Sohlen trägt Schubert in den Szenen, die nicht auf der großen Bühne des Schauspiels Frankfurt, sondern draußen auf dem Willy-Brandt-Platz spielen. Spontane Begegnungen mit Passant*innen inklusive. „Ich mag es, wie Gockel die Grenzen zwischen Bühne und Zuschauerraum verwischt“, sagt Schubert. „Bei ihm ist alles Bühne.“

Foto: Neven Allgeier
Lotte Schubert
Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier

Auf der Bühne

Vor dem Spiegel liegt Schuberts Textbuch mit den grün angemarkerten Stellen. Ihr Monolog gegen Ende des Stücks, der im Original gar nicht vorkommt, wurde in den Kritiken, die seit der Premiere im September erschienen sind, fast durchweg als einer der stärksten Momente der Aufführung gelobt. Bei Goethe sind es oft andere Figuren, die über Gretchen urteilen, die aus Verzweiflung zur Kindsmörderin wird. „Wir wollten ihr einen Akt der Selbstermächtigung und einen kraftvollen Abgang verschaffen. Wir dachten: Die einzige Person, die das Recht hat, ihre Geschichte zu erzählen, ist sie selbst“, erklärt Schubert den dramaturgischen Kniff.

Neben der Tür mit der lustigen Aufschrift „Fabulous Damengarderobe“ – hier werden die Kostüme vorbereitet – bilden elf Zeichnungen eine kleine Galerie. „Es ist Tradition am Theater, dass man sich zur Premiere kleine Sachen schenkt, die mit dem Stück zu tun haben. Ich habe irgendwann damit angefangen, die Schauspieler*innen in ihren Kostümen zu zeichnen“, erzählt sie. Seit 2021 gehört Schubert fest zum Ensemble. „Teil eines Ensembles zu sein, gibt mir Routine und Sicherheit“, sagt sie. „Ich habe das Gefühl: Das ist meine Bühne, hier bin ich zu Hause.“

Aktuell spielt sie auch noch in „Phädra, in Flammen“, „NSU 2.0“ und „Mascha K. (Tourist Status)“ – einem Stück über die Lyrikerin Mascha Kaléko. Im Februar feiert „Dingens“ Premiere, ein Werk von Hanoch Levin. „In der Vergangenheit habe ich viele Rollen gespielt, die über ihre Warmherzigkeit und Empathie funktionieren. In ‚Dingens‘ ist das anders. Die Charaktere in dem Stück sind in ganz schreckliche Machtkämpfe miteinander verstrickt. Meine Figur kommandiert von oben herab alle herum und macht, was sie will“, freut sich Schubert. „Das ist zur Abwechslung mal eine neue Farbe, ein neuer Hebel, den ich bedienen kann.“

Foto: Neven Allgeier

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Schon als Kind wusste die gebürtige Berlinerin, dass sie Schauspielerin werden will. Schubert stammt aus einer Theaterfamilie. Ihre Mutter ist die Schauspielerin Simone Witte, ihr Vater der Schauspieler Götz Schubert. „Ich bin praktisch hinter der Bühne aufgewachsen.“ Im Jugendclub Potsdam hat sie Theater gespielt. Ihre Eltern machten Lotte aber schon früh klar, dass sie für ihre Tochter nicht ihre Beziehungen spielen lassen werden. „Mein Papa hat gesagt: Du bist viel zu schade für den Beruf. Er kann so brutal sein. Such dir lieber etwas anderes. Wenn du es trotzdem wirklich willst, musst du es aus eigenem Antrieb schaffen.“

Erst einmal suchte sie tatsächlich etwas anderes – vielleicht auch, weil sie damals eine Phase durchmachte, in der sie sich von ihren Eltern emanzipieren wollte. Nach dem Abi arbeitete Schubert in den verwinkelten Räumen einer Galerie am Burgplatz in Weimar als kuratorische Assistentin und veranstaltete Ausstellungen. Parallel studierte sie ein Semester lang Grafikdesign und Buchkunst an der HGB Leipzig. Später wechselte sie zu Kunstgeschichte. Zu den Ausstellungen in Weimar kamen auch Schauspieler*innen vom Theater. Ihre alte Leidenschaft wurde wieder geweckt. „Ich habe meinen Papa angerufen und gesagt: Ich muss es doch noch einmal versuchen mit der Schauspielerei. Meine Eltern waren dann auch wirklich sehr supportive und haben mir Monologbücher für das Vorsprechen geschickt.“

Erst habe sie gedacht, mit Anfang 20 schon zu alt für ein Schauspielstudium zu sein. Zum Glück redeten Freunde*innen ihr das aus. Schubert wurde an der renommierten Schauspielschule Ernst Busch in Berlin angenommen. Nach dem Abschluss zog sie nach Frankfurt, um ihr erstes festes Engagement an einem Theater anzutreten.

Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier

Vor der Kamera

Hin und wieder steht Schubert auch vor der Kamera. Manchmal wird sie für Krimis angefragt. An der Seite ihres Kollegen Wolfram Koch zum Beispiel, der in der Faust-Aufführung den Mephisto gibt, spielte sie 2023 eine Polizistin im Frankfurter Tatort. „Erbarmen. Zu Spät.“ heißt die wirklich sehenswerte Folge. Sind Auftritte in Filmen eine gute Möglichkeit, die eigene Bekanntheit zu steigern und ein größeres Publikum zu erreichen? „Das ist eine total interessante Frage“, sagt Schubert, überlegt kurz und fügt dann entschieden hinzu: „Ich bin nicht Schauspielerin geworden, weil ich auf der Straße erkannt werden will. Mir geht es darum, Geschichten zu erzählen, die es wert sind, in die Welt getragen zu werden.“

Im Dezember hatte der Kurzfilm „Wurzeln und Triebe“ bei der Filmschau Baden-Württemberg Premiere, in dem Schubert eine der beiden Hauptrollen spielt. „Es geht um ein Paar, das neue Beziehungsregeln aushandelt“, erklärt sie. Die Frankfurter Regisseurin Angela Regius hatte Schubert als Lady Macbeth auf der Bühne gesehen, sich nach der Aufführung mit ihr zum Kaffeetrinken verabredet und ihr dann diese Rolle angeboten. Mittlerweile arbeiten die beiden schon am nächsten Projekt.

Film Still: Angela Regius: Wurzeln und Triebe, 2024
© Image via filmschaubw.de
Lotte Schubert
Foto: Neven Allgeier
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An dem Klavier

Zusammen mit dem Theatermusiker Thorsten Drücker macht Schubert auch Musik. Smilla Zorn & Awesome Universe nennen sich die beiden. Schubert spielt Klavier, seit sie sechs ist. „Allerdings habe ich es gehasst, zu üben. Ich wollte nicht die üblichen Etüden spielen. Lieber habe ich intuitiv herumgeklimpert und geguckt, was passiert. Dadurch habe ich einen völlig neuen Zugang zum Klavierspielen gefunden.“ Ihre ersten eigenen Lieder waren von der dunkel-melancholischen Musik inspiriert, die in ihrem Potsdamer Elternhaus lief. Musik von Tori Amos und Leonard Cohen zum Beispiel.

Die Arbeitsteilung zwischen sich und Drücker beschreibt Schubert als kreatives Ping-Pong-Spiel. Die Rohversionen der Stücke spielt Schubert am Klavier in ihrer Wohnung im Frankfurter Ostend ein – und schickt sie dann an Drücker, der seine elektronischen Sounds hinzufügt. „Wir haben einen riesigen Dropbox-Ordner, in dem bestimmt 1000 Dateien liegen.“ Aufgetreten sind die beiden zum Beispiel schon in den Kammerspielen unter dem Dach des Schauspiels Frankfurt. Außerdem im Schaufenster der Galerie Leuenroth.

Schubert nimmt uns mit auf einen Spaziergang durch das Bühnenbild. Wir entdecken Requisiten, die wir sofort mit „Faust“ in Verbindung bringen: Einen flauschigen Pudelkopf etwa. Wir erleben aber auch Überraschungen, wie die riesige Geisterbahn, in der große Teile des Stückes spielen. Für die ersten 20 Minuten der Aufführung wird Schubert als puppenartige Eisprinzessin geschminkt – Frostbeulen inklusive. Während der Hauptdarsteller schon auf dem Bühnenrand liegt (Faust wird von einer Gliederpuppe verkörpert, der die Schauspieler*innen Leben einhauchen) zieht es Schubert noch einmal zurück in die Kantine. „Ich glaube, ich esse noch eine Suppe.“

Foto: Neven Allgeier

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