Frida Kahlo hat Kultstatus. Um ihr Leben und Werk kreisen zahlreiche Mythen. Was wirklich dahinter steckt, verrät ein genauerer Blick auf ihr Selbstporträt.
ME, MYSELF AND I
„Selbstbildnis mit Dornenhalsband und Kolibri“ ist das 43. von insgesamt 143 Gemälden und eins von 60 Selbstporträts in Frida Kahlos Oeuvre. Aufgrund ihrer vielen körperlichen Beschwerden nach einer Polioerkrankung als Kind und einem schweren Busunfall als junge Frau kannte die Künstlerin den Zustand der Isolation und des Hausarrests nur zu gut. Da war ihr Hang zum Selbstporträt nur eine logische Schlussfolgerung: „I paint myself because I am so often alone, because I am the subject I know best.“
JET SET: EIN SELBSTPORTRÄT AUF REISEN
Frida Kahlo malte das Selbstporträt nach ihrer Scheidung von Diego Rivera und dem Ende ihrer Affäre mit dem Fotografen Nickolas Muray. Das Ende der Liebschaft hielt Muray nicht davon ab, das Porträt zu erwerben, um die Künstlerin in einer finanziell schwierigen Zeit zu unterstützen. Seit 1966 ist es Teil der Nickolas Muray Collection im Harry Ransom Center der University of Texas in Austin. Und seit 30 Jahren reist das Gemälde um die Welt: Es war bereits in über 30 Ausstellungen rund um den Globus - von Australien bis Deutschland - zu sehen.
DER TRANSPORT FOLGT SEINEN EIGENEN REGELN
Die University of Texas in Austin erwarb das Gemälde im Jahr 1966. Seit 1990 wird es zu ausgewählten internationalen Ausstellungen verliehen. Doch der Transport hat es in sich. Es wird per Kurierservice von Austin nach Houston gebracht und dort eine Nacht sicher gelagert, um dann zum Zielort geflogen zu werden - stets mit persönlicher Begleitung. Das Bild muss in der Transportkiste 24h klimatisieren, bevor es geöffnet wird. Nach dem Öffnen wird es von dem Kurier und der Restauratorin begutachtet und ein Zustandsprotokoll erstellt. In einem Einpackprotokoll wird genau vermerkt, wie das Bild in der Kiste lag: face up, face down, in Folie etc. Danach kann es endlich gehängt werden. Die Begleitperson des Kurierservices geht erst, wenn es sicher an der Wand befestigt ist.
DER SURREALISMUS STECKT IM DETAIL
Stolz blickt Frida Kahlo dem Betrachter in die Augen. Ihr Haar ist zu Zöpfen gebunden, die sie mit einem violetten Tuch verflochten hat. Mit seinen zwei silbernen Schmetterlingen erinnert der Knoten an eine Krone. Der Schmetterling gilt als Symbol für Regeneration und Wiedergeburt. Kahlo, die eine Reihe traumatischer Fehlgeburten erlitt, griff in ihren Werken häufig auf Sinnbilder für Regeneration zurück. Besonders kunstvoll erscheinen die zwei Libellen, die um ihren Kopf kreisen. Ihre Körper bestehen aus Blütenkelchen - ein surrealistisches Detail, das nur bei genauem Hinsehen erkennbar ist.
SCHWARZE KATZE MEETS KLAMMERAFFE
Frida Kahlo liebte Tiere und hielt sich einen eigenen kleinen Zoo in ihrer Casa Azul. Einige der Tiere fanden auch Einzug in ihre Malerei, zum Beispiel der Affe, der ihr von ihrem Ehemann Diego Rivera geschenkt wurde. Der Klammeraffe im „Selbstbildnis mit Dornenhalsband und Kolibri“ kann als direkter Hinweis auf Rivera verstanden werden: Er zieht fest am Dornenhalsband, die Stacheln bohren sich schmerzhaft in die Haut. Ist dies ein Hinweis auf die gerade gescheiterte Ehe? Auf der linken Schulter sitzt eine schwarze Katze, die oft als Symbol für Pech und Tod gedeutet wird. Sie wird außerdem mit Magie in Verbindung gebracht, taucht sie in Zaubergeschichten doch als untrüglicher Begleiter der Hexen auf. Die Katze schaut den Betrachter direkt an und scheint - darauf deutet der gewölbte Rücken hin - jederzeit zum Sprung bereit.
FRIDA CHRIST SUPERSTAR?
Das Selbstbildnis ist gespickt mit symbolisch aufgeladenen Kreaturen und Objekten, die oft als Ausdruck von Kahlos Gefühlen gedeutet werden. Natürlich ruft das Dornenhalsband mit den Blutstropfen Assoziationen mit Jesu Christi und dessen Dornenkrone hervor. Ob sich Frida Kahlo damit allerdings wirklich als Märtyrerin darstellen wollte oder der durch die Dornen entstandene Schmerz ein Symbol für ihre gescheiterte Ehe ist, dürfen die Betrachterinnen und Betrachter selbst entscheiden.
UM DEN KOLIBRI RANKEN SICH BLUTRÜNSTIGE MYTHEN
Einem Anhänger gleich ist ein Kolibri mit dunkelgrün schillerndem Gefieder an Kahlos Dornenhalsband befestigt. Mit den ausgebreiteten langen Flügeln und dem schmalen Schnabel ähnelt die Form des kleinen Vogels einem Kreuz und knüpft somit an die christliche Symbolik der Dornenkrone an. Entgegen der geläufigen Deutung des Kolibris als Krafttier, das Liebe, Hoffnung und Glück bringen soll, ist seine Symbolik im mexikanischen Volksglauben deutlich ambivalenter. In der aztekischen Mythologie nimmt der Kriegsgott Huitzilopochtli die Gestalt eines Kolibris an. Als Abbild des Kriegsgottes, erscheint der leblose Kolibri um Frida Kahlos Hals als tragisches Symbol für Aufopferung und hoffnungsvolle Hingabe.
MAGISCHE BEGEGNUNGEN IN MEXIKO
Das surrealistische Netzwerk erstreckte sich über Frankreich, Deutschland, Spanien und England bis in die Vereinigten Staaten und nach Mexiko. Ein Wendepunkt für Kahlos Karriere bildete André Bretons und Jacqueline Lambas Reise nach Mexiko im Jahr 1938. Es entwickelte sich eine (lebenslange) Freundschaft zwischen Kahlo und Lamba. Nur ein Jahr später präsentierte Frida Kahlo ihre Werke erstmals in Paris und knüpfte Kontakte zu der Künstlerin Alice Rahon und der spanischen Malerin Remedios Varo – beide ließen sich nach Beginn des zweiten Weltkriegs in Mexiko nieder. Der Reichtum der präkolumbischen Kultur, die überbordende Natur und die Volkskunst in Mexiko, die auch Eingang in Kahlo Selbstportrait finden, dienten den europäischen Exilanten als Inspirationsquelle und trugen zur Erneuerung des Surrealismus bei – mit Frida Kahlo im Zentrum.
FRIDAMANIA
Als Frida Kahlo 1954 starb, wurde sie in ihrem Heimatland Mexiko gefeiert - weltweit war sie allerdings nur einem kleinen Kreis bekannt. Erst die Retrospektive in der Whitechapel Gallery in London 1982 und das Erscheinen von Hayden Herreras Kahlo-Biografie ein Jahr später rückten sie ins internationale Rampenlicht. Mit jeder kommenden Ausstellung wuchs ihr Ruhm: Frida Kahlo ist heute eine Ikone der Kunst, übt ihre Lebensgeschichte und ihr Werk doch eine große Faszination aus. Posthum entstand eine regelrechte „Fridamania“: Ihr Gesicht ist jedem bekannt, es ziert eine Vielzahl von Waren - von Socken bis zum Duschvorhang - und ihr unverwechselbarer Look fand Einzug in die Popkultur. Nicht nur Madonna ist ein begeisterter Fan (und Sammlerin) der Künstlerin: Das „Selbstbildnis mit Dornenhalsband und Kolibri“ ist auch in der FANTASTISCHE FRAUEN Ausstellung das meistfotografierte Werk, mit mehr als 1000 Tags auf Instagram.
WER HÄTTE DAS GEDACHT
Bereits 1993 widmete die SCHIRN der mexikanischen Künstlerin eine große Retrospektive und versammelte mehr als 50 Gemälde und Arbeiten auf Papier. Ergänzt wurde der Einblick in Kahlos Oeuvre mit Werken von Diego Rivera und weiteren Weggefährtinnen und Freunden. Auftakt der Ausstellung mit dem Titel „Die Welt der Frida Kahlo - Das Blaue Haus“ bildete die Rekonstruktion von Kahlos Schlafzimmer - Bett, Kissen, Decke und mexikanische Trachten inklusive. Frida Kahlo verbrachte fast ihr gesamtes Leben im Blauen Haus in Mexiko-Stadt. Heute ein Museum, war es zu Kahlos Lebzeiten Dreh- und Angelpunkt der surrealistischen Avantgarde.