Sind Künstler*innen besonders kreativ, wenn es ums Kochen geht? Ein Blick in die Küchen der Kunstwelt. Diesmal mit Ideen für ein surrealistisches Silvesterdinner, inspiriert von Salvador Dalí.
Salvador Dalí, katalanischer Superstar-Surrealist und künstlerisches Ausnahmetalent, beherrschte nicht nur sein eigenes Metier, sondern auch die Kunst, eine gute Party zu schmeißen. Sein Faible für dramatische Auftritte wäre auf einer beschaulichen Weihnachtsfeier eher fehl am Platz, aber um den letzten Tag des Jahres gebührend zu verabschieden, ist der legendäre Provokateur und Liebhaber guter Küche die perfekte Inspirationsquelle.
DAS MENÜ
„Kochen und Malen sind verwandte Künste. Wenn ich koche, füge ich ein bisschen von diesem und ein bisschen von jenem hinzu. Es ist wie das Mischen der Farben", sagte Dalí, der zeitlebens vom Essen fasziniert war und schon als Sechsjähriger deklarierte, „Köchin” zu werden. Am Ende wurde er Künstler, aber das Kulinarische ließ ihn dennoch nicht los. Dalís Werk ist gepflastert mit kulinarischen Motiven, wobei sich einige Zutaten besonders oft in seiner Bilderwelt wiederfinden. Darunter sind Eier, Fische, Brot, Milch und Seeigel – letztere sammelte der Künstler als Kind mit seinem Vater beim Wandern entlang der Mittelmeerküste rund um Cadaqués, einem ehemaligen Fischerdorf im Norden Kataloniens, um sie anschließend gemeinsam zu essen. Seine Vorliebe für Seeigel hielt ein Leben lang, später kam eine Obsession mit Krustentieren hinzu – nicht zufällig ziert ein solches Tier sein wohl berühmtestes surrealistisches Objekt, das „Hummer-Telefon” von 1938.
Auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Karriere lebte Dalí mit seiner Frau Gala, die als Muse und Geschäftsführerin zugleich agierte, ein Leben in Saus und Braus. Sie organisierten regelmäßig opulente Dinnerpartys für Freund*innen und Bekannte, bei denen dekadente Kreationen wie mit Gänsestopfleber und Trüffeln gefüllten Wachteln oder Austern, Hummer und Seeigel in verschwenderischen Mengen aufgetischt wurden. Dalís Vorliebe für Krustentiere galt nicht nur deren vorzüglichem Geschmack, sondern auch dem Umstand, dass die Tiere dank ihres Panzers auch nach dem Kochen ihre Form bewahren. Nichts hasste der Künstler mehr als weiches, formloses Essen, am meisten verabscheute er gekochten Spinat.
Wer kann und möchte, sollte für ein möglichst wahrheitsgetreues dalísches Dinner also unbedingt so viele Austern, Hummer und sonstige Meeresfrüchte auftischen, wie der Geldbeutel hergibt. Für die Vegetarier*innen und Budgetbewussten unter uns gilt: Was auch immer auf den Tisch kommt, sollte bissfest sein. Einzig Camembert ist von dieser Regel ausgenommen, da der Künstler den Weichkäse regelrecht vergötterte. Eines seiner berühmtesten Gemälde, „Die Beständigkeit der Erinnerung” von 1931 soll wohl vom Anblick eines Camembert-Käses inspiriert worden sein, der zu lange in der Sonne stand.
Um den kulinarischen Prinzipien des Künstlers gerecht zu werden, aber möglichst wenig Zeit am Herd zu verbringen, könnte man also ruhigen Gewissens Camembert-Käse mit Brot servieren. Der bescheidene Laib war ohnehin eines von Dalís liebsten Sujets: Einmal soll er sich zwei Monate lang nur damit beschäftigt haben, einen Brotkorb abzubilden. So besessen war er von Brot, dass er sich vom berühmten Pariser Bäcker Poilâne ein ganzes Schlafzimmer daraus anfertigen ließ. Bei seinem ersten Besuch in New York in 1934 zog Dalí tagelang mit einer zwei Meter langen Baguettestange durch die Straßen, in der Hoffnung, Aufmerksamkeit zu erregen, später trat er mehrmals mit einem runden, ausgehöhlten Brotlaib als Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit auf. Ebendieses runde Brot, eine traditionell katalanische Sorte mit drei Spitzen („pa de tres crostons”), ziert in 1200-facher Ausführung die dunkelrote Fassade des Dalí-Museums in seiner Heimatstadt Figueres. Auf dem Dach des Gebäudes thronen gigantische Eierskulpturen – als Symbol für das Leben, die Geburt und den Ursprung waren Eier eine zentrale Inspirationsquelle für den Künstler, er verewigte sie in seinen Gemälden mehrfach.
Obwohl er in seiner Rolle als extravaganter Gastgeber auf luxuriöse Zutaten und Haute Cuisine setzte, fand der private Dalí eher Gefallen an den einfachen, klassischen Speisen seiner Heimat. Frischer Fisch, hochwertiges Olivenöl, reife Kirschen oder eben ein perfekt gebratenes Spiegelei. Gerichte, in denen Zutaten auf unkonventionelle Weise gemischt werden – Fisch mit Fleisch, Süßes mit Salzigem – gefielen ihm ebenfalls. Wer hier ein surrealistisches Konzept vermutet, wird allerdings enttäuscht, denn es handelt sich um eine langjährige kulinarische Tradition Kataloniens. Trotzdem könnte der Ansatz als Anregung für den Abschluss des Dinners funktionieren – und zwar in Form einer süß-salzigen Nachspeise, die der Künstler gerne gegessen haben soll: Man bereite ein klassisches Omelette mit zwei Eiern und einer Prise Salz zu (in Butter angebraten), wärme ein halbes Glas Rum mit einem Esslöffel Zucker auf und gieße diese Mischung über das fertige Omelett, flambiere das Ganze und garniere es anschließend mit Orangenkonfitüre.
DIE GETRÄNKE
Als versierter Gastgeber hieß Dalí Besucher*innen gerne mit einem Glas Rosé willkommen, als noch besserer Provokateur soll er den Schaumwein wohl warm serviert haben. Tatsächlich war der Künstler ein großer Weinkenner und -liebhaber: „Wer genießen kann, trinkt keinen Wein mehr, sondern kostet Geheimnisse“, pflegte er zu sagen. War er seinen Gäst*innen wohlgesinnt, servierte er ihnen als Aperitif seinen selbstkreierten „Gala Cocktail”, dessen Rezeptur er zu unserem Vorteil nicht geheim gehalten hat. Wer ihn mixen möchte, muss lediglich einen Teil Rosé, zwei Teile Orangensaft, einen Teil Zitronensaft, zwei Teile weißen Wermut, einen Teil Campari und zwei Esslöffel Zucker in einem Cocktailshaker mit Eis mischen und in einem Cocktail- oder Sektglas servieren. Kalt, versteht sich.
DIE TISCHDEKORATION
Dalí und Gala präsentierten ihre Banketts gerne auf Tischdecken aus feinstem weißen Damast, mit weißem Porzellangeschirr und weißen Blumen in Kristallvasen. Auf dieser blanken Leinwand kamen die opulenten Speisen und Staffagen am besten zur Geltung – so auch eine Reihe lebendiger Frösche, die sie aus einer silbernen Cloche springen ließen (als tierfreundliche Alternative könnten Aufziehfrösche herhalten) oder ein ausgestopfter Pfau mit ausgebreitetem Federkleid. Statt auf Tellern wurde der Fischgang auch gerne mal in einem Schuh serviert, Garnelen zu hohen Türmen gestapelt und skulpturale Hummer auf dem Tisch verteilt. Deutlich günstiger und dennoch eindrucksvoll wären halbierte Granatäpfel mit ihren rubinroten Kernen als Tischschmuck sowie mit allerlei Obst und Gemüse gefüllte Etageren. Ein paar ganze Blumenkohlköpfe auf dem Tisch wären auch nicht fehl am Platz: Dalí liebte die „logarithmische Spirale” dieses Gemüses, 1955 fuhr er in einem weißen Rolls-Royce Phantom II, gefüllt mit geschätzten 500 Kilogramm Blumenkohl, von Spanien bis nach Paris, wo er an der Sorbonne einen Vortrag halten sollte.
DIE MUSIK
So dramatisch es auch klingen mag: Musikalisch untermalen sollte man den Abend mit Richard Wagners „Tristan und Isolde”. Dalí liebte die Oper und hörte sie beim Malen auf einem alten Plattenspieler. Wenn jemand sich über die schlechte Soundqualität beklagte, erwiderte er: „Es klingt so, als ob man Sardellen frittieren würde”.
DER DRESSCODE
Als Meister des Theatralischen liebte es Dalí, sich zu verkleiden. Er pflegte, die seltsamsten Gegenstände als Hut zu tragen (sich nach seinem Vorbild einen Schuh oder Brotlaib auf den Kopf zu binden, sollte relativ einfach umzusetzen sein) und organisierte aufwendige Kostümpartys. Unter dem Motto „A Surrealistic Night in a Surrealist Forest” lud er 1941 ins Hotel del Monte in Monterey, Kalifornien ein und forderte seine Gäst*innen dazu auf, Kostüme anzuziehen, die ihre Träume repräsentierten. Er selbst schlüpfte in einen engen Einteiler, auf dem Abbildungen von Organen klebten, seine Frau Gala ging als Einhorn. Die Festtafel gestalteten sie für den Anlass als überdimensioniertes Bett, an dessen Kopfende aus rotem Samt Gala den ganzen Abend unter einer Decke lag und bewirtet wurde. Keine schlechte Idee, falls einem nach den Strapazen der Silvesterplanung doch früher als erwartet die Augen zufallen.