WHAT'S COOKING?

VOM ATELIER AN DEN ESSTISCH: THE (FOOD) CULTURE

Sind Künstler*innen besonders kreativ, wenn es ums Kochen geht? Ein Blick in die Küchen der Kunstwelt. Diesmal an der Schnittstelle zwischen Hip-Hop und Essen.

Von Julia Keller

Als die Hip-Hop-Sängerin Kelis Anfang der 2000er ihren heute ikonischen Song „Milkshake” veröffentlichte, hatte sie noch nie ein solches Getränk zubereitet. Wie schaffte sie es dann, eine derart schmackhafte Mischung zu kreieren, dass sich alle Jungs in ihrem Hinterhof versammelten? Und warum scheinen so viele Rapper (siehe 50 Cents „Candy Shop”, Trick Daddys „Sugar” und Wu-Tang Clans Raekwon mit „Ice Cream”) ständig Heißhunger auf Süßes zu haben?

Milchmixgetränke, Brokkoli und Teufelssalat

Die Branche wirkt gespalten, denn bei anderen Kolleg*innen ist immer wieder die Rede von Brokkoli (E-40 widmete dem Gemüse sogar einen ganzen Song), Grünkohl und einer mysteriösen Salatsorte namens „Devil’s lettuce”. Wer jetzt an ausgewogene Ernährung denkt, hat die Rechnung allerdings ohne den Wirt gemacht, denn man sollte im Rap-Universum nicht jeden Satz wörtlich nehmen. Während einige Songtexte gerade dadurch brillieren, direkt und unverblümt von der Lebensrealität ihrer Autor*innen zu erzählen, sind viele Lieder gespickt mit Metaphern und versteckten Botschaften, für Außenstehende oft nur schwer zu entschlüsseln. Lebensmittel werden häufig als Codewörter genutzt, um verdeckt über einige der zentralen Themen des Rap zu sprechen: Marihuana wird unter anderem als „broccoli”, „cabbage” oder „Devil’s lettuce” bezeichnet; wenn von „cream”, „cheese”, „cake” oder „dough” die Rede ist, geht es fast immer um Geld; Streitigkeiten sind „beef”; „lollipop”, „candy” und „ice cream” haben ganz klare sexuelle Konnotationen. Was Kelis mit ihrem Milkshake genau ausdrücken wollte, möchte die Künstlerin offenlassen – hier darf frei interpretiert werden.

Maisbrot, Blattkohl und Mofongo

Die Schnittstellen zwischen Raptexten und dem Kulinarischen gehen weit über die Ebene der Doppeldeutigkeit hinaus. Wenn man genauer hinhört, entdeckt man im Rap-Repertoire unzählige Referenzen zur afroamerikanischen Soulfood-Küche: „It's Christmas time in Hollis, Queens / Mom's cooking chicken and collard greens“ sangen Run-D.M.C 1987; typische Zutaten dieser Südstaatenküche wie Maisbrot, Maisgrieß, Blattkohl, frittiertes Hühnchen und schwarzäugige Erbsen tauchen immer wieder in Songtexten auf; Goodie Mob, eine Hip-Hop-Gruppe aus Atlanta, nannten ihr Debütalbum gleich „Soul Food”. Durch das Benennen bestimmter Speisen und Ingredienzen verweisen Künstler*innen auf die eigene kulturelle Identität und signalisieren die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Die afrokaribischen, lateinamerikanischen und afroamerikanischen Wurzeln des Hip-Hop werden durch Hinweise zu den jeweiligen diasporischen Küchen sichtbar gemacht – dazu gehören Gerichte wie westafrikanische Stews, das puertoricanische Mofongo oder mexikanische Tacos.

Konserven und Kakerlakenmüsli

Auch die politische und sozialkritische Komponente, die schon seit der Geburt des Hip-Hop in der Bronx der 1970er-Jahre ein wichtiger Teil der Bewegung ist, wird mittels Erzählungen rund um das Thema Ernährung transportiert. Die prekären Verhältnisse, in denen viele Rap-Künstler*innen aufwuchsen, werden greifbar, wenn Ghostface Killah davon erzählt, Kakerlaken aus einer Müslibox zu fischen, 2 Chainz seine Konservendiät beschreibt und The Notorious B.I.G sich rappend daran erinnert, als es jeden Tag Sardinen zum Abendessen gab. Gleichzeitig bieten Rapper*innen damit ihren Hörer*innen eine Identifikations- und Projektionsfläche und unterstreichen die eigene Authentizität. „To keep it real” ist ein hoch angesehenes Gut in der Hip-Hop-Kultur, und dazu gehören Verweise auf die eigene Herkunft und den sozioökonomischen Status.

Action Bronson, image via forbes.com

Pizza auf der Motorhaube und gegrillte Farnspitzen

Entstanden als Form des kreativen Ausdrucks marginalisierter Jugendlicher, hat die Transformation des Hip-Hop in ein globales, kommerziell erfolgreiches Phänomen vielen Künstler*innen den Weg zum sozialen Aufstieg geebnet. Die Erzählung der eigenen Erfolgsgeschichte hat im Rap-Narrativ eine starke Präsenz, und auch hier sind kulinarische Referenzen ein beliebtes Mittel, um die Zugehörigkeit zu einer sozialen Elite zu demonstrieren. Als Gegenpol zu Fast-Food-Ketten wie Waffle House, McDonald's, Chick-fil-A, Roscoe’s oder Taco Bell, die immer wieder in Rap-Songs auftauchen, lassen Superstars Jay-Z und Drake gerne die Namen von Haute Cuisine-Adressen wie Nobu oder French Laundry fallen. In „Success” (aus dem Album „American Gangster” von 2007) fragt Jay-Z, aufgewachsen in einem New Yorker Sozialwohnungskomplex: „How many times can I go to Mr. Chow’s, Tao’s, Nobu?”. Die Frage meinte der damalige Rap-Millionär (heute Billionär) wohl eher rhetorisch. Wenn Kendrick Lamar wie beiläufig den Namen der französischen Delikatessen-Senfmarke „Grey Poupon” fallen lässt und darüber rappt, dass er seinen Durst mit Evian-Wasser stillt, profiliert er sich damit ganz klar als Connaisseur. Action Bronson, rotbärtiger Rapper aus Queens mit einer Vorliebe für Take-away-Mahlzeiten, die er im Stehen über der Motorhaube seines Autos verzehrt, lässt sich dabei filmen, wie er Jakobsmuscheln mit Farnspitzen im Sternerestaurant Marea isst – ein klares Signal dafür, dass er sich mühelos zwischen beiden Welten hin- und herbewegen kann.

Fettes Brot, Vanilleeis und schwarze Bohnen

Die wohl offensichtlichste Verbindung zwischen Hip-Hop und Essen findet man bei vielen Künstler*innen im Namen, da bei der Auswahl eines Pseudonyms oder Bandnamens oft aus dem kulinarischen Wortschatz geschöpft wird. Man denke an Fettes Brot, den Graffiti-Künstler Cornbread, Salt-N-Pepa (eine der ersten weiblichen Rap-Formationen), Ice Cube, die Black Eyed Peas oder Vanilla Ice. Marshall Mathers, besser bekannt als Eminem, nannte sich am Anfang seiner Karriere „M&M”, doch auf die Gefahr hin, Probleme mit der Süßigkeitenfirma zu bekommen, entschied er sich für ein anderes Pseudonym. Abgesehen von ihrer Bezeichnung haben die oben genannten Künstler*nnen keine engere Verbindung zur Kochkunst, aber für überraschend viele andere Rapper*nnen ist die Gastronomie sehr wohl ein zweites Standbein.

Cornbread, "I start this shit 1965", image via compulsivecontents.com

Rev Run in "Rev Runs's Sunday Suppers", image via cantechletter.com

Cooking with Coolio: 5 Star Meals at a 1 Star Price, image via simonandschuster.com

Grasgerichte und „Ghetto Gourmet”

Kelis besuchte nach ihrem Megahit die renommierte Kochschule „Le Cordon Bleu”, veröffentlichte ein Kochbuch und eröffnete in London ein Pop-up-Restaurant. 2020 bekam sie eine eigene Kochshow auf Netflix namens „Grasgerichte”, bei der sie – man ahnt es – mit Cannabis gewürzte Mahlzeiten verkostete. Action Bronson ist ebenfalls ausgebildeter Koch: Seine Rap-Karriere nahm erst an Fahrt auf, als er sich bei der Arbeit im Restaurant seines Vaters ein Bein brach und sich dazu gezwungen sah, eine Pause einzulegen. Seitdem führt er ein Doppelleben als rappender Koch und kochender Rapper, demonstriert in TV-Shows seinen schier unendlichen Appetit und schafft es sogar, schmackhafte Liedtexte zu schreiben: „Got the lamb rack, pan-roasted, laced it with fennel. Little yogurt that been drizzled over might be a winner. Come and see me, Nona hand-makes the fettuccine" (hier geht es um ein Lammkarree mit Fenchel und Joghurt und handgemachte Fettuccine). Auch bei Flavor Flav ist der Name Programm: Er besuchte eine Kochschule, bevor er mit Public Enemy ins Rampenlicht trat. Coolio entwickelte nicht nur eine eigene Kochshow („Cookin’ with Coolio”), sondern auch einen eigenen Kochstil, den er „Ghetto Gourmet” nennt. Rev Run von Run-D.M.C. zeigt sich in „Rev Run’s Sunday Suppers” beim Sonntagsschmaus mit seiner Familie, wobei das Kochen hauptsächlich von seiner Frau Justine übernommen wird. Interessant wird es am Beispiel Ludacris, der es tatsächlich geschafft hat, seine nicht vorhandenen Kochkünste im Fernsehen zu vermarkten („Luda Can’t Cook”).

Brathähnchen in Buttermilch mit „Street-Cred”

Doch an der Spitze der Hip-Hop-Star-Fernsehköche steht ohne Zweifel Snoop Dogg, der 2016 für eine Kochsendung mit einer der bekanntesten Persönlichkeiten im US-amerikanischen Fernsehen unter Vertrag genommen wurde: Martha Stewart. So skurril die Vorstellung auch sein mag, die damals 75-jährige Lifestyle-Unternehmerin Stewart Seite an Seite mit dem drei Dekaden jüngeren Snoop Dogg (der eine Vollzeit-Jointdreherin beschäftigt) den Kochlöffel schwingen zu sehen – „Martha & Snoop's Potluck Dinner Party” war ein großer Publikumserfolg, die Chemie zwischen den beiden einzigartig und ihr Schlagabtausch extrem unterhaltsam. An Doggs eigenen Maßstäben gemessen hat Stewart sogar mehr „Street Credibility” als er: Sie verbrachte 2004 wegen illegaler Aktiengeschäfte fünf Monate im Gefängnis. Das Rezept für Brathähnchen mit Buttermilch, das ihr dort von einer Mitinsassin beigebracht wurde, gehört mittlerweile zu Snoops Lieblingsgerichten.

Von links: Snoop Dogg, Martha Stewart, Foto: Anders Krusberg/The Martha Stewart Show, Image via people.com

So sehen die Küchen der Kunstwelt aus

Von Frida Kahlo bis Christo

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