Sind Künstler*innen besonders kreativ, wenn es ums Kochen geht? Ein Blick in die Küchen der Kunstwelt. Diesmal mit Martha Rosler, die einen Teller beißender Sozialkritik auftischt, gewürzt mit einer kräftigen Prise Humor.
Martha Rosler denkt viel über Essen nach. Das erscheint nicht besonders erwähnenswert, da wir es eigentlich alle tun, ob aus Leidenschaft oder Notwendigkeit. Doch während unsere Gedanken ums selber kochen oder liefern lassen, dem Inhalt unseres Kühlschranks oder dem kürzesten Weg zur nächsten Eisdiele kreisen, sieht die New Yorker Konzeptkünstlerin, Aktivistin und Kulturtheoretikerin die Küche als zentralen Schauplatz sozialpolitischer Debatten. Kochen bedeutet für Rosler weit mehr als die Zubereitung von Lebensmitteln: Sie sieht darin einen politischen Akt, der viel über gesellschaftliche Rollenbilder, Klassenunterschiede und kulturelles Kapital verrät.
Als die Künstlerin sich 1975 für ihr heute ikonisches Performance-Video „Semiotics of the Kitchen” in die Küche stellt und eine Schürze überzieht, wird schnell klar, dass sie nicht vorhat, den Kochlöffel zu schwingen. Ästhetisch angelehnt an die klassischen TV-Kochsendungen aus der Zeit, verkörpert Rosler, die mit bitterernstem Gesichtsausdruck und energischen Handbewegungen eine Reihe Kochutensilien in alphabetischer Reihenfolge präsentiert, die Anti-These zur populären Fernsehköchin Julia Child. „Apron“, „Beater”, „Colander”, ruft Rosler und schaut dabei trotzig in die Kamera. In der Rolle der frustrierten Hausfrau, der das Korsett der häuslichen Pflichten die Luft abschnürt, kocht die Künstlerin höchstens vor Wut.
Der trockene Humor, mit dem Rosler hier eine durchaus ernsthafte Gesellschaftskritik abliefert, findet sich in vielen der künstlerischen Arbeiten wieder, die sie seit den Sechzigerjahren produziert hat, so vielfältig sie in Form und Inhalt auch sein mögen. Martha Rosler wechselt mühelos zwischen Film, Collage, Fotografie, Installation und Text hin und her, und auch ihre thematische Bandbreite ist beachtlich: Sie rangiert vom Vietnamkrieg über Gentrifizierungsprozesse, mediale Körperbilder, den Mechanismen des Kunstmarkts bis hin zur Konsumgesellschaft und vielen anderen großen Themen, die sie mit Präzision seziert und in ihren Werken neu zusammensetzt.
Zwischen Gastronomie und Imperialismus
Einen besonderen Fokus legt die selbsterklärte „sozialistische Feministin” dabei auf weibliche Rollenbilder und Stereotype, unter anderem in Zusammenhang mit der Kochkultur und der Nahrungsmittelindustrie. Für ihre Arbeit „A Budding Gourmet” von 1974, die sie in Form eines seriellen Postkartenromans veröffentlicht, schlüpft Martha Rosler ein weiteres Mal in die Rolle der Hausfrau. Aus Sicht der Hauptfigur erzählt sie von ihren Bemühungen, zu einer Feinschmeckerin zu werden, um den sozialen Status ihrer Familie zu erhöhen. Sie ist davon überzeugt, dass es sie zu einem besseren Menschen machen wird, die Tricks der französischen Haute Cuisine zu lernen und ihren Gäst*innen „exotische” brasilianische Gerichte aufzutischen, inspiriert von ihrer letzten Fernreise. Hinter den naiv klingenden Aussagen der Protagonistin verbirgt sich ein komplexer Diskurs über Klassenzugehörigkeit, kulinarischen Neokolonialismus und die enge Verbindung zwischen dem, was wir essen, und dem, wofür wir uns halten.
Wie sehr Gastronomie und Imperialismus miteinander verstrickt sind, zeigt Rosler in „The East is Red, The West is Bending” (1977). Hier liest sie vor laufender Kamera mit heiterer Stimme „wahnsinnig wörtlich” die Broschüre eines elektrischen Woks der Marke West Bend vor, die ambitionierten Heimköch*innen in Aussicht stellt, mit Hilfe ihres Produkts zu Expert*innen der „exotischen Küche” werden zu können. Das Küchengerät vereine die „Authentizität eines asiatischen Woks” mit westlicher Technologie (ein Stromanschluss und Antihaftbeschichtung) erklärt Rosler im Duktus einer Teleshoppingsendung – und reproduziert ganz nebenbei kolonialistische Denkmuster.
Der thailändische Künstler Rirkrit Tiravanija zitierte diese Videoarbeit übrigens in seiner Performance „Pad Thai” von 1990, als er das titelgebende Gericht in einem Wok der Marke West Bend kochte.
Unser Alltag ist durchdrungen von politischer Ideologie, auch wenn das nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich ist – das gilt auch für das vermeintlich leicht verdauliche Genre der Kochbücher. Davon befinden sich in Roslers über 7.800 Exemplare umfassenden Bibliothek mehrere Dutzend, darunter: „The Settlement Cookbook: The Way to a Man’s Heart” (1901); „Larousse Gastronomique” (1938); „The Complete Book of Oriental Cooking” (1965) und „Foods of the World” (1968-71), eine aus 27 Titeln bestehende Kochbuchserie, herausgegeben von Time Life Books. Rosler kaufte die Bücher allerdings nicht, um ihre Kochkünste damit zu avancieren, sondern als Recherchematerial.
In den frühen 1970ern schrieb sie „The Art of Cooking”, ein fiktiver Dialog zwischen Julia Child und dem damaligen Gastronomiekritiker der New York Times Craig Claiborne. Größtenteils bestehend aus Zitaten, die sie Kochbüchern verschiedener Epochen entnommen hatte, kombinierte Rosler diese neu und verwandelte sie in eine brillante, sarkastische Diskussion rund um die Hierarchien von Geschmack und Wert in Kunst und Gastronomie. Konzipiert zu einer Zeit, als die Vermarktung von reich illustrierten Kochbüchern einer aufstrebenden Mittelschicht Appetit auf neue gastronomische Erfahrungen machte, für die sie nicht die Komfortzone ihrer eigenen vier Wände verlassen musste, hat „The Art of Cooking” bis heute nichts an Aktualität eingebüßt.
Von Martha Roslers eigenen kulinarischen Vorlieben ist nichts bekannt, was nicht weiter überraschend ist, da sich die Künstlerin ausdrücklich dagegen wehrt, dass man sich mit ihr als Privatperson auseinandersetzt. Es sei völlig langweilig, findet sie. Und doch dokumentiert und veröffentlicht sie ihre Mahlzeiten regelmäßig in einem ganz bestimmten Kontext: Für ihre Serie „Air Fare” fotografiert Rosler, die seit einem halben Jahrhundert im Auftrag von Museen und Galerien um die Welt geflogen wird, das Essen, das ihr über den Wolken serviert wird.
Ihr wachsender Erfolg brachte mit den Jahren ein Upgrade in der Flugzeugkabine und entsprechend auch auf dem Tablett mit sich, doch trotzdem regen die Bilder nicht den Appetit an, sondern eher die Gedanken. In klassischer Rosler-Manier schafft es die Künstlerin hier, anhand einer Alltagsbeobachtung auf übergreifende Zusammenhänge zu verweisen und Denkanstöße zur Politik der Nahrungsmittelproduktion, der Prekarität des Servicepersonals, sozialer Ungleichheit und kultureller Normen auf den (ausklappbaren) Tisch zu bringen.